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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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verliehenen Prärogative getrieben, ihr Privilegium ihnen zu entziehen: an
das Organ der Gesammtkirche, an das Conzil, falle dies Recht dann zurück.
Das war ja klar, in den Büchern des Kirchenrechtes standen diese Sätze nicht;
auf positive Rechtssätze waren sie nicht zu begründen. Aber man meinte, bei
den Lücken der positiven Gesetzgebung müßte man an das natürliche oder ver¬
nünftige Recht sich wenden; immer sei und bleibe es doch gestattet, in Noth¬
fällen das positive aus dem natürlichen Rechte zu ergänzen. Ein deutscher
Theologe, Heinrich von Langenstein, entwickelte 1381 diese Anschauungen; an
der Pariser Universität, dem Muttersitze theologischer Wissenschaften in jener
Zeit, fanden sie Beifall: Clemangis, d'Ailly, Gerson adoptirten seine
Sätze und entwickelten von seinen Prämissen noch andere weitergehende Folge¬
rungen; die Universität trug sie schon 1394 in offiziellen Denkschriften vor.

Wir bemerken, die Aufgabe, die hier dem Conzile zugewiesen wurde, war
eine engbegrenzte: es sollte das Schisma aus der Welt schaffen, die Einheit
der Kirche neu begründen. Und nur als eine vorübergehende Nothhülfe, eine
Einrichtung aä Koo, nicht als bleibende kirchliche Schöpfung oder als Glied
des kirchlichen Organismus trat diese Forderung des Conziles damals auf.

Aber als dieser Vorschlag nicht sogleich durchschlug, als die Versuche,
das Schisma zu heilen, keinen Erfolg hatten, als sogar die Schäden des
kirchlichen Lebens aus dem Schisma neue Nahrung und Ausbreitung gewan¬
nen, da brachte die fortgesetzte Discussion des conziliaren Projektes neue Ge¬
danken und neue Aufgaben hervor. Es wendete sich das Auge der Menschen
überhaupt auf die Uebelstände des kirchlichen Lebens hin; man empfand den
Schaden, den die Ausdehnung der päpstlichen Regierungsrechte der Religion
und Sittlichkeit der Völker zugefügt; man redete von einem Amtsmißbrauche
des Papstthumes, -- und man verwies die Untersuchung und Abhülfe dieser
Schäden und Mißbräuche an dasselbe allgemeine Conzil, das der Noth des
Schisma ein Ende bereiten sollte: die "Reformation der Kirche an Haupt
und Gliedern" bildete bald den Hauptinhalt des conziliaren Programmes.

Es würde eine interessante und lohnende Aufgabe sein, durch die Schrif¬
tenwelt jener Tage hindurch, die allmälige, stufenweise Entwickelung und Ver¬
vollständigung des conziliaren Programmes und der damit zusammenhängen¬
den conziliaren Doctrin im Einzelnen zu verfolgen. Von der aus dem
Naturrechte hergeleiteten Idee, daß nur das Conzil das Schisma beseitigen
würde, kam man Schritt für Schritt dahin, daß man diesem Rettungsmittel
aus unlösbarer Verwirrung überhaupt und für immer eine bedeutende Stel¬
lung und Aufgabe in der Kirche zudachte und zuwies. Die einzelnen Autoren
der neuen conziliaren Schule wichen in einzelnen Sätzen wohl von einander
ab: der Eine bemühte sich so nahe als möglich den bisherigen Zuständen sich
anzuschließen, der Andere formulirte etwas radikaler die Folgesätze aus den


verliehenen Prärogative getrieben, ihr Privilegium ihnen zu entziehen: an
das Organ der Gesammtkirche, an das Conzil, falle dies Recht dann zurück.
Das war ja klar, in den Büchern des Kirchenrechtes standen diese Sätze nicht;
auf positive Rechtssätze waren sie nicht zu begründen. Aber man meinte, bei
den Lücken der positiven Gesetzgebung müßte man an das natürliche oder ver¬
nünftige Recht sich wenden; immer sei und bleibe es doch gestattet, in Noth¬
fällen das positive aus dem natürlichen Rechte zu ergänzen. Ein deutscher
Theologe, Heinrich von Langenstein, entwickelte 1381 diese Anschauungen; an
der Pariser Universität, dem Muttersitze theologischer Wissenschaften in jener
Zeit, fanden sie Beifall: Clemangis, d'Ailly, Gerson adoptirten seine
Sätze und entwickelten von seinen Prämissen noch andere weitergehende Folge¬
rungen; die Universität trug sie schon 1394 in offiziellen Denkschriften vor.

Wir bemerken, die Aufgabe, die hier dem Conzile zugewiesen wurde, war
eine engbegrenzte: es sollte das Schisma aus der Welt schaffen, die Einheit
der Kirche neu begründen. Und nur als eine vorübergehende Nothhülfe, eine
Einrichtung aä Koo, nicht als bleibende kirchliche Schöpfung oder als Glied
des kirchlichen Organismus trat diese Forderung des Conziles damals auf.

Aber als dieser Vorschlag nicht sogleich durchschlug, als die Versuche,
das Schisma zu heilen, keinen Erfolg hatten, als sogar die Schäden des
kirchlichen Lebens aus dem Schisma neue Nahrung und Ausbreitung gewan¬
nen, da brachte die fortgesetzte Discussion des conziliaren Projektes neue Ge¬
danken und neue Aufgaben hervor. Es wendete sich das Auge der Menschen
überhaupt auf die Uebelstände des kirchlichen Lebens hin; man empfand den
Schaden, den die Ausdehnung der päpstlichen Regierungsrechte der Religion
und Sittlichkeit der Völker zugefügt; man redete von einem Amtsmißbrauche
des Papstthumes, — und man verwies die Untersuchung und Abhülfe dieser
Schäden und Mißbräuche an dasselbe allgemeine Conzil, das der Noth des
Schisma ein Ende bereiten sollte: die „Reformation der Kirche an Haupt
und Gliedern" bildete bald den Hauptinhalt des conziliaren Programmes.

Es würde eine interessante und lohnende Aufgabe sein, durch die Schrif¬
tenwelt jener Tage hindurch, die allmälige, stufenweise Entwickelung und Ver¬
vollständigung des conziliaren Programmes und der damit zusammenhängen¬
den conziliaren Doctrin im Einzelnen zu verfolgen. Von der aus dem
Naturrechte hergeleiteten Idee, daß nur das Conzil das Schisma beseitigen
würde, kam man Schritt für Schritt dahin, daß man diesem Rettungsmittel
aus unlösbarer Verwirrung überhaupt und für immer eine bedeutende Stel¬
lung und Aufgabe in der Kirche zudachte und zuwies. Die einzelnen Autoren
der neuen conziliaren Schule wichen in einzelnen Sätzen wohl von einander
ab: der Eine bemühte sich so nahe als möglich den bisherigen Zuständen sich
anzuschließen, der Andere formulirte etwas radikaler die Folgesätze aus den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/177>, abgerufen am 26.12.2024.