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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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finden, sie sei von den preiswürdigen Conzilen von Costnitz und von Basel
nur einige Zeit erneuert gewesen; sie gelte es als das kirchliche Muster wieder
herzustellen; von den Irrwegen des Papismus zu dieser echten Kirche die
irrende Christenheit zurückzuführen, das gerade sei die Aufgabe unserer Zeit.

Ueber die sittliche und religiöse Bedeutung dieser Tendenzen will ich mich
ausdrücklich eines Urtheiles enthalten. Ich habe es allein mit der historischen
Ausführung und ihrer historischen Begründung zu thun. Da aber scheint
es mir sehr bedenklich mit dem mehrfach versuchten historischen Beweise der
altkatholischen oder episcopalischen Theorie auszusehen. Gegen die ganze Me¬
thode und Anlage desselben wird ein objektiver Historiker sich versucht fühlen,
von vornherein als gegen eine tendenziöse Zurechtschiebung einzelner kirchen¬
historischer Sätze zu Protestiren.

Gewiß, durchaus unhistorisch würde die Annahme sein, als bilde die
Kirchengeschichte eine ganz consequent und ganz logisch zusammenhängende
Reihe, als sei die christliche Kirche von ihrer Gründung bis zum heutigen
Tage stets eine und dieselbe gewesen und geblieben. Nein, die Kirche theilt
das Loos aller menschlichen Geschichte: sie ist dem Wechsel unterworfen, wie
alles Irdische; sie bietet in verschiedenen Zeiten verschiedene Formen dem Be¬
schauer dar, sie ändert ihren Charakter mit den Zuständen und Menschen,
unter denen sie lebt. Und eine rein historische Betrachtungsweise wird es sich da
zur Aufgabe machen, alle die einzelnen Phasen und Stufen der Entwicklung,
eine jede in ihrer besonderen Erscheinung, zum Ausdruck zu bringen. Ohne
einen einzelnen ihrer vorübergehenden Momente vor allen andern zu bevor¬
zugen oder zurückzusetzen, wird sie sich bemühen den Entwickelungsproceß als
Ganzes, den Zusammenhang der einzelnen Glieder der ganzen großen Kette
zu erklären.

Als unhistorisch wird sie es aber auch verschmähen eine einzelne Periode
oder gar eine kurze Episode aus einer Geschichte von Jahrhunderten heraus¬
zureißen und mit dem Stempel der eigentlichen Mustergültigkeit oder der
alleinigen Echtheit zu versehen. Sicher wird das nicht zulässig sein, die ganze
lange Geschichte der Kirche zu verwerfen und allein in der schnell vorüberrau¬
schenden Erscheinung jener Conzile von Costnitz und Basel die gültige Dar¬
stellung des kirchlichen Gedankens zu sehen. Bei einer objectiven Erwägung
des kirchengeschichtlichen Prozesses wird vielmehr jene conziliare Strömung des
15. Jahrhunderts als eine Abweichung von der sonst consequent betretenen
Heerstraße der Kirchengeschichte, als eine bald überwundene Neuerung in der
Kirche sich herausstellen. Und nicht über die Niederlage und den Untergang
der conziliaren Doctrin, sondern vielmehr über das Auftreten derselben am
Ende des 14. Jahrhunderts hat man erstaunt zu sein einiges Recht. Ver¬
suchen wir diesen Sachverhalt in seinen Grundzügen kurz zu erörtern!


finden, sie sei von den preiswürdigen Conzilen von Costnitz und von Basel
nur einige Zeit erneuert gewesen; sie gelte es als das kirchliche Muster wieder
herzustellen; von den Irrwegen des Papismus zu dieser echten Kirche die
irrende Christenheit zurückzuführen, das gerade sei die Aufgabe unserer Zeit.

Ueber die sittliche und religiöse Bedeutung dieser Tendenzen will ich mich
ausdrücklich eines Urtheiles enthalten. Ich habe es allein mit der historischen
Ausführung und ihrer historischen Begründung zu thun. Da aber scheint
es mir sehr bedenklich mit dem mehrfach versuchten historischen Beweise der
altkatholischen oder episcopalischen Theorie auszusehen. Gegen die ganze Me¬
thode und Anlage desselben wird ein objektiver Historiker sich versucht fühlen,
von vornherein als gegen eine tendenziöse Zurechtschiebung einzelner kirchen¬
historischer Sätze zu Protestiren.

Gewiß, durchaus unhistorisch würde die Annahme sein, als bilde die
Kirchengeschichte eine ganz consequent und ganz logisch zusammenhängende
Reihe, als sei die christliche Kirche von ihrer Gründung bis zum heutigen
Tage stets eine und dieselbe gewesen und geblieben. Nein, die Kirche theilt
das Loos aller menschlichen Geschichte: sie ist dem Wechsel unterworfen, wie
alles Irdische; sie bietet in verschiedenen Zeiten verschiedene Formen dem Be¬
schauer dar, sie ändert ihren Charakter mit den Zuständen und Menschen,
unter denen sie lebt. Und eine rein historische Betrachtungsweise wird es sich da
zur Aufgabe machen, alle die einzelnen Phasen und Stufen der Entwicklung,
eine jede in ihrer besonderen Erscheinung, zum Ausdruck zu bringen. Ohne
einen einzelnen ihrer vorübergehenden Momente vor allen andern zu bevor¬
zugen oder zurückzusetzen, wird sie sich bemühen den Entwickelungsproceß als
Ganzes, den Zusammenhang der einzelnen Glieder der ganzen großen Kette
zu erklären.

Als unhistorisch wird sie es aber auch verschmähen eine einzelne Periode
oder gar eine kurze Episode aus einer Geschichte von Jahrhunderten heraus¬
zureißen und mit dem Stempel der eigentlichen Mustergültigkeit oder der
alleinigen Echtheit zu versehen. Sicher wird das nicht zulässig sein, die ganze
lange Geschichte der Kirche zu verwerfen und allein in der schnell vorüberrau¬
schenden Erscheinung jener Conzile von Costnitz und Basel die gültige Dar¬
stellung des kirchlichen Gedankens zu sehen. Bei einer objectiven Erwägung
des kirchengeschichtlichen Prozesses wird vielmehr jene conziliare Strömung des
15. Jahrhunderts als eine Abweichung von der sonst consequent betretenen
Heerstraße der Kirchengeschichte, als eine bald überwundene Neuerung in der
Kirche sich herausstellen. Und nicht über die Niederlage und den Untergang
der conziliaren Doctrin, sondern vielmehr über das Auftreten derselben am
Ende des 14. Jahrhunderts hat man erstaunt zu sein einiges Recht. Ver¬
suchen wir diesen Sachverhalt in seinen Grundzügen kurz zu erörtern!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/170>, abgerufen am 26.12.2024.