Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zwei Anschauungen von der Kirche innerhalb der katholischen Kirche ge¬
genüber. Gemeinsam ist beiden der prinzipielle Boden, daß sie der Kirche
die nothwendige Vermittlung zwischen Gott und dem Menschen über¬
tragen; die Einen wollen diese Kirche selbst der absoluten Gewalt des
römischen Bischofes untergeordnet und unterworfen wissen; die Anderen sehen
die Kirche repräsentirt im Conzile der sämmtlichen Bischöfe, das in Gemein¬
schaft und in Harmonie mit dem Papste alle kirchlichen Angelegenheiten zu¬
sammenfassen und leiten solle. Wollten wir das kirchliche mit dem politi¬
schen Leben vergleichen -- allerdings nur bis zu einem gewissen Grade ist
der Vergleich zutreffend --, so würden wir den Gegensatz der absoluten und
der konstitutionellen Monarchie hierin ausgeprägt sehen können. Und daraus,
daß wenigstens das Gefühl dieses Unterschiedes ein allgemein verbreitetes ist,
daraus erklärt sich zum Theil vielleicht sogar die Vorliebe und Sympathie,
die man in weiten Kreisen den Constitutionellen in der Kirche, den Altkatho¬
liken, entgegenzutragen sich beeilt hat.

Vor jetzt bald fünf Jahrhunderten ist dem Pcipalsysteme des Mittelalters
diese episcopalistische Theorie zuerst entgegentreten; in einer Zeitspanne etwa
von sechszig Jahren (1380 -- 1440) hat sie die öffentliche Meinung Europas
beherrscht; im 17. Jahrhundert hat sie im Gallikanismus eine Art von
Auferstehung gefeiert: sie ist im 18. Jahrhundert von einer Anzahl sehr ge¬
lehrter Autoren vertheidigt und weiter ausgebildet worden; endlich ihre jüngste
Erscheinungsform ist der Altkatholicismus unserer Tage. Das ist der Stamm¬
baum der einen Partei.

Auf der andern Seite kann das Papstthum sich berufen auf den facti¬
schen Besitz der Kirchengewalt, auf die Consequenz einer allmäligen langen
Entwickelung, auf die Logik seiner Geschichte. Curialisten und Episcopalisten
haben wiederholt und immer wieder theoretisch über die Berechtigung der bei¬
den Systeme mit einander gestritten und gerungen. Welche Wendung auch der
theoretische Streit genommen, faktisch hat seit langer Zeit das Papstthum gleich¬
sam als unbeschränkter Souverain die Kirche regiert, faktisch hat nur die
kurze Periode der Refvrmconzile des 13. Jahrhunderts die päpstliche Ent¬
wickelung unterbrochen; abgesehen von dieser kurzen Besitzstörung ist das. was
man heute den Universalepiscopat und die Unfehlbarkeit des Papstes nennt,
in der katholischen Kirche schon seit langer Zeit der hergebrachte Zustand ge¬
wesen.

Aber. -- diesen Einwurf bringt gegen ähnliche Behauptungen die epis¬
copalistische Schule vor, -- man glaubt die päpstliche Entwickelung als eine
faktische Verirrung. eine Verzerrung des christlichen Urbildes, eine Entstellung
des kirchlichen Ideales erklären zu können: die wahre und echte Gestalt der
Kirche sei in den früheren christlichen Jahrhunderten, etwa bis ins 8., zu


zwei Anschauungen von der Kirche innerhalb der katholischen Kirche ge¬
genüber. Gemeinsam ist beiden der prinzipielle Boden, daß sie der Kirche
die nothwendige Vermittlung zwischen Gott und dem Menschen über¬
tragen; die Einen wollen diese Kirche selbst der absoluten Gewalt des
römischen Bischofes untergeordnet und unterworfen wissen; die Anderen sehen
die Kirche repräsentirt im Conzile der sämmtlichen Bischöfe, das in Gemein¬
schaft und in Harmonie mit dem Papste alle kirchlichen Angelegenheiten zu¬
sammenfassen und leiten solle. Wollten wir das kirchliche mit dem politi¬
schen Leben vergleichen — allerdings nur bis zu einem gewissen Grade ist
der Vergleich zutreffend —, so würden wir den Gegensatz der absoluten und
der konstitutionellen Monarchie hierin ausgeprägt sehen können. Und daraus,
daß wenigstens das Gefühl dieses Unterschiedes ein allgemein verbreitetes ist,
daraus erklärt sich zum Theil vielleicht sogar die Vorliebe und Sympathie,
die man in weiten Kreisen den Constitutionellen in der Kirche, den Altkatho¬
liken, entgegenzutragen sich beeilt hat.

Vor jetzt bald fünf Jahrhunderten ist dem Pcipalsysteme des Mittelalters
diese episcopalistische Theorie zuerst entgegentreten; in einer Zeitspanne etwa
von sechszig Jahren (1380 — 1440) hat sie die öffentliche Meinung Europas
beherrscht; im 17. Jahrhundert hat sie im Gallikanismus eine Art von
Auferstehung gefeiert: sie ist im 18. Jahrhundert von einer Anzahl sehr ge¬
lehrter Autoren vertheidigt und weiter ausgebildet worden; endlich ihre jüngste
Erscheinungsform ist der Altkatholicismus unserer Tage. Das ist der Stamm¬
baum der einen Partei.

Auf der andern Seite kann das Papstthum sich berufen auf den facti¬
schen Besitz der Kirchengewalt, auf die Consequenz einer allmäligen langen
Entwickelung, auf die Logik seiner Geschichte. Curialisten und Episcopalisten
haben wiederholt und immer wieder theoretisch über die Berechtigung der bei¬
den Systeme mit einander gestritten und gerungen. Welche Wendung auch der
theoretische Streit genommen, faktisch hat seit langer Zeit das Papstthum gleich¬
sam als unbeschränkter Souverain die Kirche regiert, faktisch hat nur die
kurze Periode der Refvrmconzile des 13. Jahrhunderts die päpstliche Ent¬
wickelung unterbrochen; abgesehen von dieser kurzen Besitzstörung ist das. was
man heute den Universalepiscopat und die Unfehlbarkeit des Papstes nennt,
in der katholischen Kirche schon seit langer Zeit der hergebrachte Zustand ge¬
wesen.

Aber. — diesen Einwurf bringt gegen ähnliche Behauptungen die epis¬
copalistische Schule vor, — man glaubt die päpstliche Entwickelung als eine
faktische Verirrung. eine Verzerrung des christlichen Urbildes, eine Entstellung
des kirchlichen Ideales erklären zu können: die wahre und echte Gestalt der
Kirche sei in den früheren christlichen Jahrhunderten, etwa bis ins 8., zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130813"/>
          <p xml:id="ID_493" prev="#ID_492"> zwei Anschauungen von der Kirche innerhalb der katholischen Kirche ge¬<lb/>
genüber. Gemeinsam ist beiden der prinzipielle Boden, daß sie der Kirche<lb/>
die nothwendige Vermittlung zwischen Gott und dem Menschen über¬<lb/>
tragen; die Einen wollen diese Kirche selbst der absoluten Gewalt des<lb/>
römischen Bischofes untergeordnet und unterworfen wissen; die Anderen sehen<lb/>
die Kirche repräsentirt im Conzile der sämmtlichen Bischöfe, das in Gemein¬<lb/>
schaft und in Harmonie mit dem Papste alle kirchlichen Angelegenheiten zu¬<lb/>
sammenfassen und leiten solle. Wollten wir das kirchliche mit dem politi¬<lb/>
schen Leben vergleichen &#x2014; allerdings nur bis zu einem gewissen Grade ist<lb/>
der Vergleich zutreffend &#x2014;, so würden wir den Gegensatz der absoluten und<lb/>
der konstitutionellen Monarchie hierin ausgeprägt sehen können. Und daraus,<lb/>
daß wenigstens das Gefühl dieses Unterschiedes ein allgemein verbreitetes ist,<lb/>
daraus erklärt sich zum Theil vielleicht sogar die Vorliebe und Sympathie,<lb/>
die man in weiten Kreisen den Constitutionellen in der Kirche, den Altkatho¬<lb/>
liken, entgegenzutragen sich beeilt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_494"> Vor jetzt bald fünf Jahrhunderten ist dem Pcipalsysteme des Mittelalters<lb/>
diese episcopalistische Theorie zuerst entgegentreten; in einer Zeitspanne etwa<lb/>
von sechszig Jahren (1380 &#x2014; 1440) hat sie die öffentliche Meinung Europas<lb/>
beherrscht; im 17. Jahrhundert hat sie im Gallikanismus eine Art von<lb/>
Auferstehung gefeiert: sie ist im 18. Jahrhundert von einer Anzahl sehr ge¬<lb/>
lehrter Autoren vertheidigt und weiter ausgebildet worden; endlich ihre jüngste<lb/>
Erscheinungsform ist der Altkatholicismus unserer Tage. Das ist der Stamm¬<lb/>
baum der einen Partei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_495"> Auf der andern Seite kann das Papstthum sich berufen auf den facti¬<lb/>
schen Besitz der Kirchengewalt, auf die Consequenz einer allmäligen langen<lb/>
Entwickelung, auf die Logik seiner Geschichte. Curialisten und Episcopalisten<lb/>
haben wiederholt und immer wieder theoretisch über die Berechtigung der bei¬<lb/>
den Systeme mit einander gestritten und gerungen. Welche Wendung auch der<lb/>
theoretische Streit genommen, faktisch hat seit langer Zeit das Papstthum gleich¬<lb/>
sam als unbeschränkter Souverain die Kirche regiert, faktisch hat nur die<lb/>
kurze Periode der Refvrmconzile des 13. Jahrhunderts die päpstliche Ent¬<lb/>
wickelung unterbrochen; abgesehen von dieser kurzen Besitzstörung ist das. was<lb/>
man heute den Universalepiscopat und die Unfehlbarkeit des Papstes nennt,<lb/>
in der katholischen Kirche schon seit langer Zeit der hergebrachte Zustand ge¬<lb/>
wesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_496" next="#ID_497"> Aber. &#x2014; diesen Einwurf bringt gegen ähnliche Behauptungen die epis¬<lb/>
copalistische Schule vor, &#x2014; man glaubt die päpstliche Entwickelung als eine<lb/>
faktische Verirrung. eine Verzerrung des christlichen Urbildes, eine Entstellung<lb/>
des kirchlichen Ideales erklären zu können: die wahre und echte Gestalt der<lb/>
Kirche sei in den früheren christlichen Jahrhunderten, etwa bis ins 8., zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0169] zwei Anschauungen von der Kirche innerhalb der katholischen Kirche ge¬ genüber. Gemeinsam ist beiden der prinzipielle Boden, daß sie der Kirche die nothwendige Vermittlung zwischen Gott und dem Menschen über¬ tragen; die Einen wollen diese Kirche selbst der absoluten Gewalt des römischen Bischofes untergeordnet und unterworfen wissen; die Anderen sehen die Kirche repräsentirt im Conzile der sämmtlichen Bischöfe, das in Gemein¬ schaft und in Harmonie mit dem Papste alle kirchlichen Angelegenheiten zu¬ sammenfassen und leiten solle. Wollten wir das kirchliche mit dem politi¬ schen Leben vergleichen — allerdings nur bis zu einem gewissen Grade ist der Vergleich zutreffend —, so würden wir den Gegensatz der absoluten und der konstitutionellen Monarchie hierin ausgeprägt sehen können. Und daraus, daß wenigstens das Gefühl dieses Unterschiedes ein allgemein verbreitetes ist, daraus erklärt sich zum Theil vielleicht sogar die Vorliebe und Sympathie, die man in weiten Kreisen den Constitutionellen in der Kirche, den Altkatho¬ liken, entgegenzutragen sich beeilt hat. Vor jetzt bald fünf Jahrhunderten ist dem Pcipalsysteme des Mittelalters diese episcopalistische Theorie zuerst entgegentreten; in einer Zeitspanne etwa von sechszig Jahren (1380 — 1440) hat sie die öffentliche Meinung Europas beherrscht; im 17. Jahrhundert hat sie im Gallikanismus eine Art von Auferstehung gefeiert: sie ist im 18. Jahrhundert von einer Anzahl sehr ge¬ lehrter Autoren vertheidigt und weiter ausgebildet worden; endlich ihre jüngste Erscheinungsform ist der Altkatholicismus unserer Tage. Das ist der Stamm¬ baum der einen Partei. Auf der andern Seite kann das Papstthum sich berufen auf den facti¬ schen Besitz der Kirchengewalt, auf die Consequenz einer allmäligen langen Entwickelung, auf die Logik seiner Geschichte. Curialisten und Episcopalisten haben wiederholt und immer wieder theoretisch über die Berechtigung der bei¬ den Systeme mit einander gestritten und gerungen. Welche Wendung auch der theoretische Streit genommen, faktisch hat seit langer Zeit das Papstthum gleich¬ sam als unbeschränkter Souverain die Kirche regiert, faktisch hat nur die kurze Periode der Refvrmconzile des 13. Jahrhunderts die päpstliche Ent¬ wickelung unterbrochen; abgesehen von dieser kurzen Besitzstörung ist das. was man heute den Universalepiscopat und die Unfehlbarkeit des Papstes nennt, in der katholischen Kirche schon seit langer Zeit der hergebrachte Zustand ge¬ wesen. Aber. — diesen Einwurf bringt gegen ähnliche Behauptungen die epis¬ copalistische Schule vor, — man glaubt die päpstliche Entwickelung als eine faktische Verirrung. eine Verzerrung des christlichen Urbildes, eine Entstellung des kirchlichen Ideales erklären zu können: die wahre und echte Gestalt der Kirche sei in den früheren christlichen Jahrhunderten, etwa bis ins 8., zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/169
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/169>, abgerufen am 26.12.2024.