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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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wurde, den Ort zu wechseln und Unterhalt zu finden, Reiterschaaren, in denen
sich zum erstenmal ein kavalleristischer Geist im modernen Sinne entwickelte und
die bereit waren, für jeden zu fechten, der ihnen gut zahlte und ihrem unge¬
stümen Drang nach raschen Thaten Genüge zu leisten versprach. -- Sie saßen
aus "geringen", leichten Pferden mit gekürzten oder hochgebundenen Schweifen
(eourtg-nah); statt des verschließbaren Helmes, des schweren Panzers und der
Arm- und Beinschienen trugen sie offene Eisenhüte (Hundskappen), bequeme
Brustharnische (Corselets) oder gar nur schmiegsame Lederkoller mit "Hals¬
bergen", aus denen sich später die noch jetzt in einigen Armeen, z. B. in
der bäurischen, üblichen "Ringkragen" entwickelt haben. -- Wohlfeil ausge¬
rüstet, um möglichst billig aufgestellt werden zu können, hatten diese "deutschen
Reiter" zwar ein bescheidenes Ansehen und wurden zeitig die "Schwarzen"
genannt, weil sie, unbekümmert um Glanz, oder um den Rost abzuhalten,
den Harnisch mit schwarzer Farbe bestrichen; aber so wenig einnehmend sie
auch ausschauten, so lobt sie doch schon Avila, der schmähsüchtige Spanier,
"wegen ihrer Geschicklichkeit im Scharmützel", und beschreibt sie genau (1S47).
Seitdem hatten dann Markgraf Albrecht und Kurfürst Moritz diese Waffen¬
art weiter ausgebildet, und die "Schwarzen", deren beste Werbeplätze Nieder--
Sachsens Ebenen, Mecklenburg, Holstein, Pommern, die Mark, der Niederrhein,
Hessen und Franken waren, trugen zu den Erfolgen jener Fürsten ganz
wesentlich bei.

Die deutschen Reiter gliederten sich in eigenthümlich organisirte Haufen,
um ihre Hauptwaffe, das zwei bis drei Spannen lange Faustrohr, desto
mörderischer anzuwenden. Die vorderste Reihe nämlich schoß, ganz nahe an
den Feind gerückt, ihre "feuerschlagenden" Faustrohre ab. warf schnell das
Pferd links herum, und zog sich "caracolirend", hinter den Haufen zurück,
während die nächsten Glieder immer und immer wieder folgten und ein unauf¬
hörliches Feuer unterhielten. Solcher Waffengebrauch, welcher sehr bedeutende
Uebung voraussetzt, erschütterte die muthigsten Eisenreiter, zumal sie verein¬
zelt den schnellen Reitern nicht folgen konnten, ohne ihnen Blößen zu bieten/)

Ein seltsames Schauspiel gewährt die Artillerie dieser Zeit. Es läßt
sich nicht verkennen, daß sich eine Menge Menschen, namentlich in den Städten,
angelegentlich mit derselben beschäftigten. Bei Belagerungen begegnen wir
einer überaus großen Anzahl von Geschützen; die Feldartillerie dagegen bleibt
stehn, ja es hat fast den Anschein, als ob ihre Entwicklung, soweit das
taktische Moment in Frage kommt. Rückschritte machte. Vielleicht, daß die
schnellere Kriegführung und die Erleichterung der Reiterei wie des Fußvolks
Bewegungen von der Artillerie verlangten, die sie mit dem bisherigen Mate-



") Verzl, Max Jähns: Roß und Reiter in Leben und Sprache, Glauben und Geschichte
der Deutschen. Leipzig 1872.

wurde, den Ort zu wechseln und Unterhalt zu finden, Reiterschaaren, in denen
sich zum erstenmal ein kavalleristischer Geist im modernen Sinne entwickelte und
die bereit waren, für jeden zu fechten, der ihnen gut zahlte und ihrem unge¬
stümen Drang nach raschen Thaten Genüge zu leisten versprach. — Sie saßen
aus „geringen", leichten Pferden mit gekürzten oder hochgebundenen Schweifen
(eourtg-nah); statt des verschließbaren Helmes, des schweren Panzers und der
Arm- und Beinschienen trugen sie offene Eisenhüte (Hundskappen), bequeme
Brustharnische (Corselets) oder gar nur schmiegsame Lederkoller mit „Hals¬
bergen", aus denen sich später die noch jetzt in einigen Armeen, z. B. in
der bäurischen, üblichen „Ringkragen" entwickelt haben. — Wohlfeil ausge¬
rüstet, um möglichst billig aufgestellt werden zu können, hatten diese „deutschen
Reiter" zwar ein bescheidenes Ansehen und wurden zeitig die „Schwarzen"
genannt, weil sie, unbekümmert um Glanz, oder um den Rost abzuhalten,
den Harnisch mit schwarzer Farbe bestrichen; aber so wenig einnehmend sie
auch ausschauten, so lobt sie doch schon Avila, der schmähsüchtige Spanier,
„wegen ihrer Geschicklichkeit im Scharmützel", und beschreibt sie genau (1S47).
Seitdem hatten dann Markgraf Albrecht und Kurfürst Moritz diese Waffen¬
art weiter ausgebildet, und die „Schwarzen", deren beste Werbeplätze Nieder--
Sachsens Ebenen, Mecklenburg, Holstein, Pommern, die Mark, der Niederrhein,
Hessen und Franken waren, trugen zu den Erfolgen jener Fürsten ganz
wesentlich bei.

Die deutschen Reiter gliederten sich in eigenthümlich organisirte Haufen,
um ihre Hauptwaffe, das zwei bis drei Spannen lange Faustrohr, desto
mörderischer anzuwenden. Die vorderste Reihe nämlich schoß, ganz nahe an
den Feind gerückt, ihre „feuerschlagenden" Faustrohre ab. warf schnell das
Pferd links herum, und zog sich „caracolirend", hinter den Haufen zurück,
während die nächsten Glieder immer und immer wieder folgten und ein unauf¬
hörliches Feuer unterhielten. Solcher Waffengebrauch, welcher sehr bedeutende
Uebung voraussetzt, erschütterte die muthigsten Eisenreiter, zumal sie verein¬
zelt den schnellen Reitern nicht folgen konnten, ohne ihnen Blößen zu bieten/)

Ein seltsames Schauspiel gewährt die Artillerie dieser Zeit. Es läßt
sich nicht verkennen, daß sich eine Menge Menschen, namentlich in den Städten,
angelegentlich mit derselben beschäftigten. Bei Belagerungen begegnen wir
einer überaus großen Anzahl von Geschützen; die Feldartillerie dagegen bleibt
stehn, ja es hat fast den Anschein, als ob ihre Entwicklung, soweit das
taktische Moment in Frage kommt. Rückschritte machte. Vielleicht, daß die
schnellere Kriegführung und die Erleichterung der Reiterei wie des Fußvolks
Bewegungen von der Artillerie verlangten, die sie mit dem bisherigen Mate-



") Verzl, Max Jähns: Roß und Reiter in Leben und Sprache, Glauben und Geschichte
der Deutschen. Leipzig 1872.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/16>, abgerufen am 25.12.2024.