Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.sten Bildungsniveau und dem mittleren nicht von Belang ist, da wird in Bei der weiteren Berathung der Justizausgaben wies der Abgeordnete sten Bildungsniveau und dem mittleren nicht von Belang ist, da wird in Bei der weiteren Berathung der Justizausgaben wies der Abgeordnete <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130796"/> <p xml:id="ID_449" prev="#ID_448"> sten Bildungsniveau und dem mittleren nicht von Belang ist, da wird in<lb/> einem deutschen Parlament nicht klüger gesprochen, als in einem Parlament<lb/> von Eskimos. Zweitens aber und noch deutlicher lehrt der Vorfall, wie ab¬<lb/> geschmackt die Einrichtung ist, alle Jahre bei Gelegenheit des Staatshaus¬<lb/> halts die ganze Einrichtung des Staatsdienstes in Frage stellen zu lassen.<lb/> Wir müssen nothwendig zu einem Gesetz über die Einrichtung des höheren<lb/> Staatsdienstes kommen, sobald wir die jetzt in Angriff genommene Gesetzbil¬<lb/> dung über den Staatsdienst auf den verschiedenen Stufen der Gemeinde zu<lb/> Stande gebracht haben. Alsdann wird die regelmäßige Ausgabe für den<lb/> Staatsdienst nicht mehr alljährlich bei der Budgetberathung Veranlassung<lb/> geben, an der Einrichtung selbst herumzumäkeln, herumzuzupfen und zu pfu¬<lb/> schen. Diese Art der Behandlung hält das gesundeste Staatswesen nicht aus,<lb/> und sie ist nirgend als bei uns üblich, denn wir haben ja unsere Verfassungs¬<lb/> einrichtungen hauptsächlich nach der Gelehrsamkeit und nicht nach der Ver¬<lb/> nunft construirt. Da nun unsere Gelehrsamkeit hinsichtlich des englischen<lb/> Musterlandes früher nur eine scheinbare und mit Irrthümern stark behaftete<lb/> war, so haben wir jetzt an den Irrthümern dieser mangelhaften Gelehrsam¬<lb/> keit in unsern Verfassungseinrichtungen oftmals schwer zu tragen. Auch das<lb/> wird sich bessern, der Uebelstand muß aber laut angezeigt und, unwidersprech-<lb/> lich wie er ist, der Aufmerksamkeit eingeprägt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_450" next="#ID_451"> Bei der weiteren Berathung der Justizausgaben wies der Abgeordnete<lb/> Windthorst-Bielefeld theils auf den Uebelstand der Antragsvergehen hin,<lb/> welche das neue Strafgesetzbuch eingeführt hat, theils auf die über alle Ge¬<lb/> bühr milden Strafmaße, welche die Richter bei Verbrechen gegen die öffentliche<lb/> Sicherheit anwenden. Was die sogenannten Antragsvergehen anlangt, das<lb/> heißt diejenigen Vergehen, bei denen das Gesetzbuch eine Strafverfolgung<lb/> nur auf Antrag des Verletzten zuläßt, so müssen wir jedenfalls dahin gelan¬<lb/> gen, daß der Antrag, einmal gestellt, im Laufe der Untersuchung nicht mehr<lb/> zurückgezogen werden kann und nöthigenfalls Eigenthum der Staatsanwaltschaft<lb/> wird. Die entgegenstehende Praxis ist eine Verhöhnung alles Rechtsbewußtseins.<lb/> Man sagt wohl: wo kein Kläger, ist kein Richter. Aber in jedem Verbrechen<lb/> ist nicht blos der Verletzte, sondern die Gesellschaft gefährdet, und wenn man<lb/> zulassen kann, daß die Gefährdung der Gesellschaft in einzelnen Fällen nur<lb/> unter Mitwirkung des Verletzten zu constatiren ist, so kann man doch nimmermehr<lb/> zulassen, daß die constatirte Gefährdung der Gesellschaft, nachdem der letzteren<lb/> Organe aufgerufen, durch das Belieben des unmittelbar Verletzten straflos<lb/> gemacht wird, der Gesellschaft zum Hohne. — Was die unbegreifliche Milde<lb/> der Strafrichter bei Verletzungen der öffentlichen Sicherheit anlangt, so wol-<lb/> len wir nicht gerade behaupten, das Strafgesetzbuch habe, indem es für die<lb/> Strafzumessung dem Richter einen weiten Spielraum verstattete,'die selbständig-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
sten Bildungsniveau und dem mittleren nicht von Belang ist, da wird in
einem deutschen Parlament nicht klüger gesprochen, als in einem Parlament
von Eskimos. Zweitens aber und noch deutlicher lehrt der Vorfall, wie ab¬
geschmackt die Einrichtung ist, alle Jahre bei Gelegenheit des Staatshaus¬
halts die ganze Einrichtung des Staatsdienstes in Frage stellen zu lassen.
Wir müssen nothwendig zu einem Gesetz über die Einrichtung des höheren
Staatsdienstes kommen, sobald wir die jetzt in Angriff genommene Gesetzbil¬
dung über den Staatsdienst auf den verschiedenen Stufen der Gemeinde zu
Stande gebracht haben. Alsdann wird die regelmäßige Ausgabe für den
Staatsdienst nicht mehr alljährlich bei der Budgetberathung Veranlassung
geben, an der Einrichtung selbst herumzumäkeln, herumzuzupfen und zu pfu¬
schen. Diese Art der Behandlung hält das gesundeste Staatswesen nicht aus,
und sie ist nirgend als bei uns üblich, denn wir haben ja unsere Verfassungs¬
einrichtungen hauptsächlich nach der Gelehrsamkeit und nicht nach der Ver¬
nunft construirt. Da nun unsere Gelehrsamkeit hinsichtlich des englischen
Musterlandes früher nur eine scheinbare und mit Irrthümern stark behaftete
war, so haben wir jetzt an den Irrthümern dieser mangelhaften Gelehrsam¬
keit in unsern Verfassungseinrichtungen oftmals schwer zu tragen. Auch das
wird sich bessern, der Uebelstand muß aber laut angezeigt und, unwidersprech-
lich wie er ist, der Aufmerksamkeit eingeprägt werden.
Bei der weiteren Berathung der Justizausgaben wies der Abgeordnete
Windthorst-Bielefeld theils auf den Uebelstand der Antragsvergehen hin,
welche das neue Strafgesetzbuch eingeführt hat, theils auf die über alle Ge¬
bühr milden Strafmaße, welche die Richter bei Verbrechen gegen die öffentliche
Sicherheit anwenden. Was die sogenannten Antragsvergehen anlangt, das
heißt diejenigen Vergehen, bei denen das Gesetzbuch eine Strafverfolgung
nur auf Antrag des Verletzten zuläßt, so müssen wir jedenfalls dahin gelan¬
gen, daß der Antrag, einmal gestellt, im Laufe der Untersuchung nicht mehr
zurückgezogen werden kann und nöthigenfalls Eigenthum der Staatsanwaltschaft
wird. Die entgegenstehende Praxis ist eine Verhöhnung alles Rechtsbewußtseins.
Man sagt wohl: wo kein Kläger, ist kein Richter. Aber in jedem Verbrechen
ist nicht blos der Verletzte, sondern die Gesellschaft gefährdet, und wenn man
zulassen kann, daß die Gefährdung der Gesellschaft in einzelnen Fällen nur
unter Mitwirkung des Verletzten zu constatiren ist, so kann man doch nimmermehr
zulassen, daß die constatirte Gefährdung der Gesellschaft, nachdem der letzteren
Organe aufgerufen, durch das Belieben des unmittelbar Verletzten straflos
gemacht wird, der Gesellschaft zum Hohne. — Was die unbegreifliche Milde
der Strafrichter bei Verletzungen der öffentlichen Sicherheit anlangt, so wol-
len wir nicht gerade behaupten, das Strafgesetzbuch habe, indem es für die
Strafzumessung dem Richter einen weiten Spielraum verstattete,'die selbständig-
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