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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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reich und vertrieb es im Reich an vielen Orten. Die Dürerin wandte sich
an den Magistrat und bat unter Vorzeigung des Patentes um Schutz, den
ihr auch Nürnberg gewährte, indem es unter dem 2. October 1332 einen
langathmigen Brief gleichlautend an die Städte Straßburg, Frankfurt, Leip¬
zig, Augsburg und Anntdorff (Antwerpen) sandte. Nach Darlegung des
Thatbestandes, wird die Bitte ausgesprochen: "Die wöllen bey Iren Bürgern
Buchfürern vnnd Druckern verfügen, dise des Thürers nachgedruckte pücher
In euer Stadt oder andern Ortler Im heyligen Reich nit seyl oder andern
zuuerkauffen, damit vunser Bürgerin die Thürerin nit vrsach hab"). .. u. f. w.

Ein ähnlicher Fall ereignete sich schon früher, wiederum mit einem be¬
kannten Werke Dürer's. Im Jahre 1518 wurden auf einer Kirchweih vor
den Thoren der Stadt "etliche gedruckte figuren, zu des Kaisers triumpfe ge¬
hörig," von einem Landfahrer feil geboten. Ein Formschneider aus der
Stadt, der sie sah und augenblicklich erkannte, machte bei dem Rathe Anzeige.
Dieser ließ dem Landfahrer die Figuren sogleich abnehmen. Derselbe erklärte,
er habe sie von einem Schreiber auf dem Säumarkt gekauft und von diesem
das Versprechen erhalten, er wolle noch mehr bringen. Der Rath ließ auf
den Schreiber fahnden und sich durch den Probst Melchior Psintzing bei dem
Kaiser entschuldigen. (Baader, Beiträge II. 37.)

Zeiten haben auch in Ausdrucksweise, Verkehrsform u. f. w. ihre Cha¬
raktereigenthümlichkeiten. Dies Geschlecht ist zierlich, höfisch, galant, jenes
grob, zügellos, ausschweifend; und es ist nicht richtig überall eine fortschrei¬
tende Verfeinerung der Sitten vorauszusetzen. Das fünfzehnte Jahrhundert
war fein, formell, "modern", wenn ich so sagen soll, das sechszehnte brachte auch
ein Zerfallen der Verkehrsformen. "Grobianische" Manier, Schimpfreden,
Pamphlet, rüdes Wesen in den Vergnügungen, unanständige Tänze, virtuose
Saufereien kommen auf die Tagesordnung. Nimmt man hierzu politische Zer¬
würfnisse, religiöse Leidenschaften, so muß man sagen, daß dies alles ein
classischer Boden für zügellose Carrikatur und Schmähgedicht ist. Natürlich
nimmt sich der Formschneider und Bücherführer dieses Themas an, ebenso
natürlich aber auch tritt der Magistrat, schon seines conservativen Charakters
wegen mit Verbot und Censur dazwischen. Ein Nürnberger Briefmaler
Hans Gulden mund hat das Mißgeschick, vom Rathe wiederholt censurirt
zu werden. Derselbe druckt im Jahre 1L21 "ein schändlich gemei vnd Form,
do Henrtch Polerla mit einer hinter sich ragenden Feder gleich den Schweizern
auf einer Kuh sitzt." Er wurde auf einen versperrten Thurm gesetzt und



*) Daß dieses Schreiben, wie zu erwarte" war, wirkungslos blieb, ist aus einem ein
Jahr später in gleicher Angelegenheit an den Kaiser gerichteten Schreiben zu ersehen, ob letz¬
teres besser geholfen haben mag? Ich bezweifele es.

reich und vertrieb es im Reich an vielen Orten. Die Dürerin wandte sich
an den Magistrat und bat unter Vorzeigung des Patentes um Schutz, den
ihr auch Nürnberg gewährte, indem es unter dem 2. October 1332 einen
langathmigen Brief gleichlautend an die Städte Straßburg, Frankfurt, Leip¬
zig, Augsburg und Anntdorff (Antwerpen) sandte. Nach Darlegung des
Thatbestandes, wird die Bitte ausgesprochen: „Die wöllen bey Iren Bürgern
Buchfürern vnnd Druckern verfügen, dise des Thürers nachgedruckte pücher
In euer Stadt oder andern Ortler Im heyligen Reich nit seyl oder andern
zuuerkauffen, damit vunser Bürgerin die Thürerin nit vrsach hab"). .. u. f. w.

Ein ähnlicher Fall ereignete sich schon früher, wiederum mit einem be¬
kannten Werke Dürer's. Im Jahre 1518 wurden auf einer Kirchweih vor
den Thoren der Stadt „etliche gedruckte figuren, zu des Kaisers triumpfe ge¬
hörig," von einem Landfahrer feil geboten. Ein Formschneider aus der
Stadt, der sie sah und augenblicklich erkannte, machte bei dem Rathe Anzeige.
Dieser ließ dem Landfahrer die Figuren sogleich abnehmen. Derselbe erklärte,
er habe sie von einem Schreiber auf dem Säumarkt gekauft und von diesem
das Versprechen erhalten, er wolle noch mehr bringen. Der Rath ließ auf
den Schreiber fahnden und sich durch den Probst Melchior Psintzing bei dem
Kaiser entschuldigen. (Baader, Beiträge II. 37.)

Zeiten haben auch in Ausdrucksweise, Verkehrsform u. f. w. ihre Cha¬
raktereigenthümlichkeiten. Dies Geschlecht ist zierlich, höfisch, galant, jenes
grob, zügellos, ausschweifend; und es ist nicht richtig überall eine fortschrei¬
tende Verfeinerung der Sitten vorauszusetzen. Das fünfzehnte Jahrhundert
war fein, formell, „modern", wenn ich so sagen soll, das sechszehnte brachte auch
ein Zerfallen der Verkehrsformen. „Grobianische" Manier, Schimpfreden,
Pamphlet, rüdes Wesen in den Vergnügungen, unanständige Tänze, virtuose
Saufereien kommen auf die Tagesordnung. Nimmt man hierzu politische Zer¬
würfnisse, religiöse Leidenschaften, so muß man sagen, daß dies alles ein
classischer Boden für zügellose Carrikatur und Schmähgedicht ist. Natürlich
nimmt sich der Formschneider und Bücherführer dieses Themas an, ebenso
natürlich aber auch tritt der Magistrat, schon seines conservativen Charakters
wegen mit Verbot und Censur dazwischen. Ein Nürnberger Briefmaler
Hans Gulden mund hat das Mißgeschick, vom Rathe wiederholt censurirt
zu werden. Derselbe druckt im Jahre 1L21 „ein schändlich gemei vnd Form,
do Henrtch Polerla mit einer hinter sich ragenden Feder gleich den Schweizern
auf einer Kuh sitzt." Er wurde auf einen versperrten Thurm gesetzt und



*) Daß dieses Schreiben, wie zu erwarte» war, wirkungslos blieb, ist aus einem ein
Jahr später in gleicher Angelegenheit an den Kaiser gerichteten Schreiben zu ersehen, ob letz¬
teres besser geholfen haben mag? Ich bezweifele es.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/148>, abgerufen am 25.08.2024.