Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.es im parlamentarischen Sprachgebrauchs heißt, suchen zu müssen. In diesem Die neue Verwaltung arbeitete wie mit Dampfkraft an dem Auf- und Die große Schwierigkeit blieb immer noch die durch das Siccardi'sche Ein sehr empfindlicher Punkt der Klerisei wurde indessen mit Zustimmung es im parlamentarischen Sprachgebrauchs heißt, suchen zu müssen. In diesem Die neue Verwaltung arbeitete wie mit Dampfkraft an dem Auf- und Die große Schwierigkeit blieb immer noch die durch das Siccardi'sche Ein sehr empfindlicher Punkt der Klerisei wurde indessen mit Zustimmung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130786"/> <p xml:id="ID_411" prev="#ID_410"> es im parlamentarischen Sprachgebrauchs heißt, suchen zu müssen. In diesem<lb/> Sinne hielt er die ihm früher dargereichte Hand Natazzi's fest, und zog<lb/> denselben sobald wie möglich als Chef der Justizverwaltung in sein Ministerium.</p><lb/> <p xml:id="ID_412"> Die neue Verwaltung arbeitete wie mit Dampfkraft an dem Auf- und<lb/> Ausbau des einstweilen nur im Aufriß vorhandenen Verfassungsstaats.<lb/> Während Lamarmora mit raschen und festen Griffen das zerrüttete Heerwesen<lb/> auf mustergültigen Fuß wiederherstellte und Ratazzi sein anerkanntes juristi¬<lb/> sches Talent einer raschen Umgestaltung der Rechtsgesetzgebung widmete, fand<lb/> Cavour selbst seine Hauptaufgabe in dem Bestreben, das öffentliche Leben mit<lb/> dem Geiste der Verfassung zu erfüllen, und das Königreich Sardinien durch<lb/> seine staatlichen Zustände und bürgerlichen Einrichtungen zum magnetischen<lb/> Pole für ganz Italien zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_413"> Die große Schwierigkeit blieb immer noch die durch das Siccardi'sche<lb/> Gesetz keineswegs vollendete Berichtigung des Verhältnisses der Kirche zum<lb/> Staate. So sehr'Cavour von der Nothwendigkeit weiterer Maßregeln zu<lb/> diesem Zwecke durchdrungen war, eben so sehr scheute er sich doch, als gläu¬<lb/> biger Katholik nicht nur, sondern auch als Politiker, vor einem rücksichtslosen<lb/> Durchgreifen, das die mit den tausendjährigen kirchlichen Gewohnheiten des<lb/> Volkes eng verwachsenen sittlichen Ueberzeugungen desselben zu zerreißen<lb/> drohete. Nur mit Selbstüberwindung verstand er sich dazu, einem Gesetzent¬<lb/> wurf bezüglich der bürgerlichen Eheschließung zuzustimmen, den er hinterdrein<lb/> vielleicht nicht ungern im Senate scheitern sah. Bewilligte er Beschränkungen<lb/> des Klosterunfugs, der eine Bevölkerung von 18000 Mönchen und Nonnen<lb/> in dem kleinen Staate hatte heranwachsen lassen, so setzte er doch an die Auf¬<lb/> rechterhaltung gewisser geistlicher Orden seine ministerielle Existenz. Dem<lb/> Verlangen, die bischöflichen Seminare der Staatsaufsicht zu unterwerfen, stellte<lb/> er den Hinweis entgegen, daß ja die Universitäten ihrerseits der Bevormun¬<lb/> dung durch die Bischöfe enthoben seien. „Ist es," sagte er, „dem Priesterthum,<lb/> in der Zeit, wo dasselbe die weltliche Gewalt in Händen hatte, nicht ge¬<lb/> lungen, den Fortschritt der liberalen Ideen zu verhindern, wie viel weniger<lb/> heute, wo wir sie in der Schule, mit dem freien Worte, der Presse bekämpfen<lb/> können." Sein Aberglaube an die freie Kirche im freien Staate hielt Stich.</p><lb/> <p xml:id="ID_414" next="#ID_415"> Ein sehr empfindlicher Punkt der Klerisei wurde indessen mit Zustimmung<lb/> Cavour's durch Ratazzi hart getroffen, nämlich deren Besitzstand. Der Justiz¬<lb/> minister setzte es durch, daß die Steuerfreiheit desselben aufgehoben und ein<lb/> großer Theil des geistlichen Grundeigenthums zum Vortheil einer staatlichen<lb/> Kirchenkasse eingezogen wurde. Der Papst wüthete; eine Reihe rasch auf<lb/> einander folgende Todesfälle in der königlichen Familie galt der Priester¬<lb/> partei als ein unverkennbares Zeichen des göttlichen Zornes, Victor Ema-<lb/> nuel schwankte, eine Ministerkrisis drohte auszubrechen, die Alles, in Frage</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0142]
es im parlamentarischen Sprachgebrauchs heißt, suchen zu müssen. In diesem
Sinne hielt er die ihm früher dargereichte Hand Natazzi's fest, und zog
denselben sobald wie möglich als Chef der Justizverwaltung in sein Ministerium.
Die neue Verwaltung arbeitete wie mit Dampfkraft an dem Auf- und
Ausbau des einstweilen nur im Aufriß vorhandenen Verfassungsstaats.
Während Lamarmora mit raschen und festen Griffen das zerrüttete Heerwesen
auf mustergültigen Fuß wiederherstellte und Ratazzi sein anerkanntes juristi¬
sches Talent einer raschen Umgestaltung der Rechtsgesetzgebung widmete, fand
Cavour selbst seine Hauptaufgabe in dem Bestreben, das öffentliche Leben mit
dem Geiste der Verfassung zu erfüllen, und das Königreich Sardinien durch
seine staatlichen Zustände und bürgerlichen Einrichtungen zum magnetischen
Pole für ganz Italien zu machen.
Die große Schwierigkeit blieb immer noch die durch das Siccardi'sche
Gesetz keineswegs vollendete Berichtigung des Verhältnisses der Kirche zum
Staate. So sehr'Cavour von der Nothwendigkeit weiterer Maßregeln zu
diesem Zwecke durchdrungen war, eben so sehr scheute er sich doch, als gläu¬
biger Katholik nicht nur, sondern auch als Politiker, vor einem rücksichtslosen
Durchgreifen, das die mit den tausendjährigen kirchlichen Gewohnheiten des
Volkes eng verwachsenen sittlichen Ueberzeugungen desselben zu zerreißen
drohete. Nur mit Selbstüberwindung verstand er sich dazu, einem Gesetzent¬
wurf bezüglich der bürgerlichen Eheschließung zuzustimmen, den er hinterdrein
vielleicht nicht ungern im Senate scheitern sah. Bewilligte er Beschränkungen
des Klosterunfugs, der eine Bevölkerung von 18000 Mönchen und Nonnen
in dem kleinen Staate hatte heranwachsen lassen, so setzte er doch an die Auf¬
rechterhaltung gewisser geistlicher Orden seine ministerielle Existenz. Dem
Verlangen, die bischöflichen Seminare der Staatsaufsicht zu unterwerfen, stellte
er den Hinweis entgegen, daß ja die Universitäten ihrerseits der Bevormun¬
dung durch die Bischöfe enthoben seien. „Ist es," sagte er, „dem Priesterthum,
in der Zeit, wo dasselbe die weltliche Gewalt in Händen hatte, nicht ge¬
lungen, den Fortschritt der liberalen Ideen zu verhindern, wie viel weniger
heute, wo wir sie in der Schule, mit dem freien Worte, der Presse bekämpfen
können." Sein Aberglaube an die freie Kirche im freien Staate hielt Stich.
Ein sehr empfindlicher Punkt der Klerisei wurde indessen mit Zustimmung
Cavour's durch Ratazzi hart getroffen, nämlich deren Besitzstand. Der Justiz¬
minister setzte es durch, daß die Steuerfreiheit desselben aufgehoben und ein
großer Theil des geistlichen Grundeigenthums zum Vortheil einer staatlichen
Kirchenkasse eingezogen wurde. Der Papst wüthete; eine Reihe rasch auf
einander folgende Todesfälle in der königlichen Familie galt der Priester¬
partei als ein unverkennbares Zeichen des göttlichen Zornes, Victor Ema-
nuel schwankte, eine Ministerkrisis drohte auszubrechen, die Alles, in Frage
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