Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gegenüber einer kleinen aber einflußreichen absolutistischen und klerikalen
Partei, die bet der jetzigen Zerfahrenheit der Zustände und Meinungen ge¬
fährlich zu werden drohte, erwarb Cavour durch kräftige Unterstützung des
liberalen Ministeriums binnen Kurzem den Ruf des streitbarsten Verfechters
der öffentlichen Freiheit im Parlamente. Sein festes Auftreten in der Verhand¬
lung über das sogenannte Siccardi'sche Gesetz, betreffend die Aufhebung der
geistlichen Gerichtsbarkeit, dessen Annahme ohne seine Stimme sehr zweifelhaft
zu sein schien, hob ihn auf die Höhe der Volksgunst und bahnte ihm den
Eintritt in das Cabinet, als dieses bald darauf eines seiner Mitglieder,
Santa Rosa, im Sommer 1850 durch den Tod verlor, nachdem ihm der
Erzbischof von Turin, wegen Verweigerung des Widerrufs seiner Zustimmung
zu dem Siccardi'schen Gesetze, die Absolution versagt. Das darüber tief em¬
pörte Volk von Turin erzwang die Verbannung des Erzbischofs und die
Einsetzung Cavour's in das Amt Santa Rosa's, als Minister des Handels
und Ackerbaues. "Ich habe nichts dagegen," sagte Victor Emanuel, als er
diese Ernennung im Ministerrath unterschrieb, "aber seien Sie gewiß, meine
Herren, daß Cavour Sie alle von Ihren Sitzen verdrängen wird."

Mit seinem vierzigsten Jahre trat Cavour also aus der Rolle des reden¬
den und schreibenden Politikers in das Amt des handelnden Staatsmannes
ein, für welches er geboren war und für das er sich, in der zweiten Hälfte
seines bisherigen Lebens gleichsam planmäßig, wiewohl unbewußt, vorbereitet,
namentlich durch den Betrieb mannigfacher und großartiger, geschäftlicher
Unternehmungen, bei denen er, im Gegensatze zu so manchem andern Wort¬
führer und Volksmanne jener Tage, den die Bewegung plötzlich aus dem
Studuzimmer auf die öffentliche Bühne geworfen, die Wirklichkeit der Men¬
schen und der Dinge kennen und behandeln gelernt.

Allerdings fehlte in Cavour's Wesen nicht der idealistische Zug. welcher
die nachhaltige Triebkraft jeder großen Reform zu bilden pflegt, und der kalt¬
blütigen Beobachtung mochte es immerhin scheinen, daß sein Ziel jenseits des
Bereichs der Kräfte liege, die ihm zu Gebote standen. Daß dies Ziel sich
von dem bescheidenen Wunsche der Umwandlung der piemontesischen Staats¬
zustände nach französischem Muster bis zu dem Gedanken der bundesstaat¬
lichen Einigung des ganzen Italien erweitert habe, war eine zwar nicht aus¬
gesprochene, aber unzweifelhafte Thatsache, und nicht minder lag das Mi߬
verhältniß der geringen Mittel zu dem einfachsten Zwecke auf offener Hand.
Cavour selbst täuschte sich darüber sicherlich am wenigsten und wenn er den¬
noch im festen Glauben an seiner doppelten italienischen Aufgabe beharrte und
handelte, so rechtfertigte er sein Streben nach dem Unwahrscheinlichen wenigstens
durch das rasche Ergreifen und die geschickte Benutzung auch der entferntesten


Gegenüber einer kleinen aber einflußreichen absolutistischen und klerikalen
Partei, die bet der jetzigen Zerfahrenheit der Zustände und Meinungen ge¬
fährlich zu werden drohte, erwarb Cavour durch kräftige Unterstützung des
liberalen Ministeriums binnen Kurzem den Ruf des streitbarsten Verfechters
der öffentlichen Freiheit im Parlamente. Sein festes Auftreten in der Verhand¬
lung über das sogenannte Siccardi'sche Gesetz, betreffend die Aufhebung der
geistlichen Gerichtsbarkeit, dessen Annahme ohne seine Stimme sehr zweifelhaft
zu sein schien, hob ihn auf die Höhe der Volksgunst und bahnte ihm den
Eintritt in das Cabinet, als dieses bald darauf eines seiner Mitglieder,
Santa Rosa, im Sommer 1850 durch den Tod verlor, nachdem ihm der
Erzbischof von Turin, wegen Verweigerung des Widerrufs seiner Zustimmung
zu dem Siccardi'schen Gesetze, die Absolution versagt. Das darüber tief em¬
pörte Volk von Turin erzwang die Verbannung des Erzbischofs und die
Einsetzung Cavour's in das Amt Santa Rosa's, als Minister des Handels
und Ackerbaues. „Ich habe nichts dagegen," sagte Victor Emanuel, als er
diese Ernennung im Ministerrath unterschrieb, „aber seien Sie gewiß, meine
Herren, daß Cavour Sie alle von Ihren Sitzen verdrängen wird."

Mit seinem vierzigsten Jahre trat Cavour also aus der Rolle des reden¬
den und schreibenden Politikers in das Amt des handelnden Staatsmannes
ein, für welches er geboren war und für das er sich, in der zweiten Hälfte
seines bisherigen Lebens gleichsam planmäßig, wiewohl unbewußt, vorbereitet,
namentlich durch den Betrieb mannigfacher und großartiger, geschäftlicher
Unternehmungen, bei denen er, im Gegensatze zu so manchem andern Wort¬
führer und Volksmanne jener Tage, den die Bewegung plötzlich aus dem
Studuzimmer auf die öffentliche Bühne geworfen, die Wirklichkeit der Men¬
schen und der Dinge kennen und behandeln gelernt.

Allerdings fehlte in Cavour's Wesen nicht der idealistische Zug. welcher
die nachhaltige Triebkraft jeder großen Reform zu bilden pflegt, und der kalt¬
blütigen Beobachtung mochte es immerhin scheinen, daß sein Ziel jenseits des
Bereichs der Kräfte liege, die ihm zu Gebote standen. Daß dies Ziel sich
von dem bescheidenen Wunsche der Umwandlung der piemontesischen Staats¬
zustände nach französischem Muster bis zu dem Gedanken der bundesstaat¬
lichen Einigung des ganzen Italien erweitert habe, war eine zwar nicht aus¬
gesprochene, aber unzweifelhafte Thatsache, und nicht minder lag das Mi߬
verhältniß der geringen Mittel zu dem einfachsten Zwecke auf offener Hand.
Cavour selbst täuschte sich darüber sicherlich am wenigsten und wenn er den¬
noch im festen Glauben an seiner doppelten italienischen Aufgabe beharrte und
handelte, so rechtfertigte er sein Streben nach dem Unwahrscheinlichen wenigstens
durch das rasche Ergreifen und die geschickte Benutzung auch der entferntesten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130782"/>
          <p xml:id="ID_400"> Gegenüber einer kleinen aber einflußreichen absolutistischen und klerikalen<lb/>
Partei, die bet der jetzigen Zerfahrenheit der Zustände und Meinungen ge¬<lb/>
fährlich zu werden drohte, erwarb Cavour durch kräftige Unterstützung des<lb/>
liberalen Ministeriums binnen Kurzem den Ruf des streitbarsten Verfechters<lb/>
der öffentlichen Freiheit im Parlamente. Sein festes Auftreten in der Verhand¬<lb/>
lung über das sogenannte Siccardi'sche Gesetz, betreffend die Aufhebung der<lb/>
geistlichen Gerichtsbarkeit, dessen Annahme ohne seine Stimme sehr zweifelhaft<lb/>
zu sein schien, hob ihn auf die Höhe der Volksgunst und bahnte ihm den<lb/>
Eintritt in das Cabinet, als dieses bald darauf eines seiner Mitglieder,<lb/>
Santa Rosa, im Sommer 1850 durch den Tod verlor, nachdem ihm der<lb/>
Erzbischof von Turin, wegen Verweigerung des Widerrufs seiner Zustimmung<lb/>
zu dem Siccardi'schen Gesetze, die Absolution versagt. Das darüber tief em¬<lb/>
pörte Volk von Turin erzwang die Verbannung des Erzbischofs und die<lb/>
Einsetzung Cavour's in das Amt Santa Rosa's, als Minister des Handels<lb/>
und Ackerbaues. &#x201E;Ich habe nichts dagegen," sagte Victor Emanuel, als er<lb/>
diese Ernennung im Ministerrath unterschrieb, &#x201E;aber seien Sie gewiß, meine<lb/>
Herren, daß Cavour Sie alle von Ihren Sitzen verdrängen wird."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_401"> Mit seinem vierzigsten Jahre trat Cavour also aus der Rolle des reden¬<lb/>
den und schreibenden Politikers in das Amt des handelnden Staatsmannes<lb/>
ein, für welches er geboren war und für das er sich, in der zweiten Hälfte<lb/>
seines bisherigen Lebens gleichsam planmäßig, wiewohl unbewußt, vorbereitet,<lb/>
namentlich durch den Betrieb mannigfacher und großartiger, geschäftlicher<lb/>
Unternehmungen, bei denen er, im Gegensatze zu so manchem andern Wort¬<lb/>
führer und Volksmanne jener Tage, den die Bewegung plötzlich aus dem<lb/>
Studuzimmer auf die öffentliche Bühne geworfen, die Wirklichkeit der Men¬<lb/>
schen und der Dinge kennen und behandeln gelernt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_402" next="#ID_403"> Allerdings fehlte in Cavour's Wesen nicht der idealistische Zug. welcher<lb/>
die nachhaltige Triebkraft jeder großen Reform zu bilden pflegt, und der kalt¬<lb/>
blütigen Beobachtung mochte es immerhin scheinen, daß sein Ziel jenseits des<lb/>
Bereichs der Kräfte liege, die ihm zu Gebote standen. Daß dies Ziel sich<lb/>
von dem bescheidenen Wunsche der Umwandlung der piemontesischen Staats¬<lb/>
zustände nach französischem Muster bis zu dem Gedanken der bundesstaat¬<lb/>
lichen Einigung des ganzen Italien erweitert habe, war eine zwar nicht aus¬<lb/>
gesprochene, aber unzweifelhafte Thatsache, und nicht minder lag das Mi߬<lb/>
verhältniß der geringen Mittel zu dem einfachsten Zwecke auf offener Hand.<lb/>
Cavour selbst täuschte sich darüber sicherlich am wenigsten und wenn er den¬<lb/>
noch im festen Glauben an seiner doppelten italienischen Aufgabe beharrte und<lb/>
handelte, so rechtfertigte er sein Streben nach dem Unwahrscheinlichen wenigstens<lb/>
durch das rasche Ergreifen und die geschickte Benutzung auch der entferntesten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0138] Gegenüber einer kleinen aber einflußreichen absolutistischen und klerikalen Partei, die bet der jetzigen Zerfahrenheit der Zustände und Meinungen ge¬ fährlich zu werden drohte, erwarb Cavour durch kräftige Unterstützung des liberalen Ministeriums binnen Kurzem den Ruf des streitbarsten Verfechters der öffentlichen Freiheit im Parlamente. Sein festes Auftreten in der Verhand¬ lung über das sogenannte Siccardi'sche Gesetz, betreffend die Aufhebung der geistlichen Gerichtsbarkeit, dessen Annahme ohne seine Stimme sehr zweifelhaft zu sein schien, hob ihn auf die Höhe der Volksgunst und bahnte ihm den Eintritt in das Cabinet, als dieses bald darauf eines seiner Mitglieder, Santa Rosa, im Sommer 1850 durch den Tod verlor, nachdem ihm der Erzbischof von Turin, wegen Verweigerung des Widerrufs seiner Zustimmung zu dem Siccardi'schen Gesetze, die Absolution versagt. Das darüber tief em¬ pörte Volk von Turin erzwang die Verbannung des Erzbischofs und die Einsetzung Cavour's in das Amt Santa Rosa's, als Minister des Handels und Ackerbaues. „Ich habe nichts dagegen," sagte Victor Emanuel, als er diese Ernennung im Ministerrath unterschrieb, „aber seien Sie gewiß, meine Herren, daß Cavour Sie alle von Ihren Sitzen verdrängen wird." Mit seinem vierzigsten Jahre trat Cavour also aus der Rolle des reden¬ den und schreibenden Politikers in das Amt des handelnden Staatsmannes ein, für welches er geboren war und für das er sich, in der zweiten Hälfte seines bisherigen Lebens gleichsam planmäßig, wiewohl unbewußt, vorbereitet, namentlich durch den Betrieb mannigfacher und großartiger, geschäftlicher Unternehmungen, bei denen er, im Gegensatze zu so manchem andern Wort¬ führer und Volksmanne jener Tage, den die Bewegung plötzlich aus dem Studuzimmer auf die öffentliche Bühne geworfen, die Wirklichkeit der Men¬ schen und der Dinge kennen und behandeln gelernt. Allerdings fehlte in Cavour's Wesen nicht der idealistische Zug. welcher die nachhaltige Triebkraft jeder großen Reform zu bilden pflegt, und der kalt¬ blütigen Beobachtung mochte es immerhin scheinen, daß sein Ziel jenseits des Bereichs der Kräfte liege, die ihm zu Gebote standen. Daß dies Ziel sich von dem bescheidenen Wunsche der Umwandlung der piemontesischen Staats¬ zustände nach französischem Muster bis zu dem Gedanken der bundesstaat¬ lichen Einigung des ganzen Italien erweitert habe, war eine zwar nicht aus¬ gesprochene, aber unzweifelhafte Thatsache, und nicht minder lag das Mi߬ verhältniß der geringen Mittel zu dem einfachsten Zwecke auf offener Hand. Cavour selbst täuschte sich darüber sicherlich am wenigsten und wenn er den¬ noch im festen Glauben an seiner doppelten italienischen Aufgabe beharrte und handelte, so rechtfertigte er sein Streben nach dem Unwahrscheinlichen wenigstens durch das rasche Ergreifen und die geschickte Benutzung auch der entferntesten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/138
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/138>, abgerufen am 26.12.2024.