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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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öffentlichen Unglücks vielmehr in der Unzulänglichkeit der Zugeständnisse suchte,
die man ihr bisher gemacht.

Das neugebildete Ministerium Alfieri-Pinelli. obgleich die Namen seiner
Mitglieder einen wohlverdienten guten Klang hatten, schien kaum befähigt,
das Land aus den schweren Gefahren der Lage in die richtige Bahn zu
bringen, fand jedoch in Cavour, den inzwischen eine Ergänzungswahl in die
Kammer gebracht, einen treuen und wirksamen Beistand. Zumal in der Be¬
kämpfung einer leidenschaftlichen, aber von talentvollen Männern geführten
und von der Stimmung des Tages getragenen radikalen Opposition, welche
vor allen Dingen die unverweilte Erneuerung des Krieges verlangte. Gegen¬
über dem schwunghaften Phantasten Gioberti, dem polternden Volkstribunen
Brofferio, dem eben so begabten wie ehrgeizigen Ränkeschmied Rarazzi, war
Cavour der muthige Anwalt einer Negierungspolitik, die im vollen Bewußt¬
sein ihrer ungeheuren Verantwortlichkeit kein frevelhaftes Spiel treiben und
am wenigsten das Schicksal des Staats gewissenlos auf eine letzte schwache
Karte setzen wollte. Unbekümmert um den Hohn und die Verdächtigungen
der tapferen Herren von der äußersten Linken, und mit offner Verachtung des
gegen ihn gerichteten Wuthgeschreis der Zuhörerschaft auf den Tribünen,
bekämpfte Cavour mannhaft den in der Kammer sich breit machenden politi¬
schen Unverstand und sein Verdienst war es, wenn mancher tödtliche Angriff
auf das Ministerium eine Reihe von Monaten hindurch abgeschlagen wurde.

Gegen Ende des Jahres 1848 indessen stellte sich heraus, daß das Mi¬
nisterium Alfieri-Pinelli neben der bisherigen Kammer nicht länger bestehen
könne, diese wurde aufgelöst, im Januar 1849 fanden Neuwahlen statt, und
Cavour, dessen parlamentarische Rolle freilich nicht geeignet gewesen, ihm die
Gunst des fieberhaft erhitzten Volks zu gewinnen, unterlag gegen einen unbe¬
deutenden Mitbewerber zum zweiten Male. Da die große Mehrheit der neuen
Kammer unzweifelhaft der entschiedensten Opposition angehörte, so trat das
Ministerium zurück, und wurde Gioberti an die Spitze eines neuen Cabinets
berufen. Kaum indessen hatte der bisherige Gegner einer gemäßigten Politik
die Führung der Staatsgeschäfte übernommen, als er in richtiger Würdigung
der öffentlichen Verhältnisse und der Pflichten seines Amtes, mit Verleugnung
seiner eignen Vergangenheit, die Wege seiner Vorgänger einschlug. Cavour
aber wurde von diesem Augenblick in seinem Risorgimento der eifrige Vertheidiger
des Ministeriums, dessen Chef mehr als ein Anderer dazu beigetragen, ihn
von seinem Sitze im Parlamente zu verdrängen. Statt Oesterreich den Krieg
zu erklären, wie allgemein verlangt und erwartet wurde, entwarf Gioberti
den überraschenden, und auffallender Weise von Cavour unterstützten Plan,
die Revolution im Kirchenstaate, in Toscana, Parma, Modena mit piemon-
tesischen Waffen zu bekämpfen, um dem österreichischen Einschreiten zuvorzu-


öffentlichen Unglücks vielmehr in der Unzulänglichkeit der Zugeständnisse suchte,
die man ihr bisher gemacht.

Das neugebildete Ministerium Alfieri-Pinelli. obgleich die Namen seiner
Mitglieder einen wohlverdienten guten Klang hatten, schien kaum befähigt,
das Land aus den schweren Gefahren der Lage in die richtige Bahn zu
bringen, fand jedoch in Cavour, den inzwischen eine Ergänzungswahl in die
Kammer gebracht, einen treuen und wirksamen Beistand. Zumal in der Be¬
kämpfung einer leidenschaftlichen, aber von talentvollen Männern geführten
und von der Stimmung des Tages getragenen radikalen Opposition, welche
vor allen Dingen die unverweilte Erneuerung des Krieges verlangte. Gegen¬
über dem schwunghaften Phantasten Gioberti, dem polternden Volkstribunen
Brofferio, dem eben so begabten wie ehrgeizigen Ränkeschmied Rarazzi, war
Cavour der muthige Anwalt einer Negierungspolitik, die im vollen Bewußt¬
sein ihrer ungeheuren Verantwortlichkeit kein frevelhaftes Spiel treiben und
am wenigsten das Schicksal des Staats gewissenlos auf eine letzte schwache
Karte setzen wollte. Unbekümmert um den Hohn und die Verdächtigungen
der tapferen Herren von der äußersten Linken, und mit offner Verachtung des
gegen ihn gerichteten Wuthgeschreis der Zuhörerschaft auf den Tribünen,
bekämpfte Cavour mannhaft den in der Kammer sich breit machenden politi¬
schen Unverstand und sein Verdienst war es, wenn mancher tödtliche Angriff
auf das Ministerium eine Reihe von Monaten hindurch abgeschlagen wurde.

Gegen Ende des Jahres 1848 indessen stellte sich heraus, daß das Mi¬
nisterium Alfieri-Pinelli neben der bisherigen Kammer nicht länger bestehen
könne, diese wurde aufgelöst, im Januar 1849 fanden Neuwahlen statt, und
Cavour, dessen parlamentarische Rolle freilich nicht geeignet gewesen, ihm die
Gunst des fieberhaft erhitzten Volks zu gewinnen, unterlag gegen einen unbe¬
deutenden Mitbewerber zum zweiten Male. Da die große Mehrheit der neuen
Kammer unzweifelhaft der entschiedensten Opposition angehörte, so trat das
Ministerium zurück, und wurde Gioberti an die Spitze eines neuen Cabinets
berufen. Kaum indessen hatte der bisherige Gegner einer gemäßigten Politik
die Führung der Staatsgeschäfte übernommen, als er in richtiger Würdigung
der öffentlichen Verhältnisse und der Pflichten seines Amtes, mit Verleugnung
seiner eignen Vergangenheit, die Wege seiner Vorgänger einschlug. Cavour
aber wurde von diesem Augenblick in seinem Risorgimento der eifrige Vertheidiger
des Ministeriums, dessen Chef mehr als ein Anderer dazu beigetragen, ihn
von seinem Sitze im Parlamente zu verdrängen. Statt Oesterreich den Krieg
zu erklären, wie allgemein verlangt und erwartet wurde, entwarf Gioberti
den überraschenden, und auffallender Weise von Cavour unterstützten Plan,
die Revolution im Kirchenstaate, in Toscana, Parma, Modena mit piemon-
tesischen Waffen zu bekämpfen, um dem österreichischen Einschreiten zuvorzu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/136>, abgerufen am 26.08.2024.