Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Königs Karl Albert endlich brach. Noch rechtzeitig, vierzehn Tage vor
der Pariser Februarrevolution, deren Rückstoß seinen Thron wahrscheinlich
zertrümmert haben würde, erklärte er seinen Entschluß, mit freiwilligem Ver¬
zicht auf unbeschränkte Gewalt, unter dem Vorbehalt jedoch der katholischen
Staatsreligion, dem Lande eine Verfassung zu geben, deren Verkündigung
alsbald erfolgte, und die im Wesentlichen noch heute als das Grundgesetz
für Italien gilt. Eine unter Balbo's Vorsitz zusammentretende Commission,
in welche auch Cavour berufen wurde, hatte zunächst das erforderliche Wahl¬
gesetz auszuarbeiten, das in der Hauptsache nach den Vorschlägen des Risor-
gimento zu Stande kam und also mit gutem Grunde als das Werk Cavour's
angesehen werden konnte.

Eine der ersten Wirkungen des Wahlgesetzes war dem Urheber desselben
nicht günstig. Die in Turin selbst aufgestellte, Candidatur Cavour's scheiterte.
Er war den Wählern nicht revolutionär genug und namentlich zu besonnen
in Auffassung des Verhältnisses Italiens zu Oesterreich. Denn bei
tödtlichem Hasse gegen den Nationalfeind, konnte er sich nicht verhehlen, daß
Italien demselben einstweilen nicht gewachsen sei, er wollte also vor dem
Bruch mit Oesterreich Zeit gewinnen, Kräfte sammeln, günstige Umstände
abwarten. Nachdem aber der Aufstand in Mailand ausgebrochen, die öster¬
reichische Besatzung aus der lombardischen Hauptstadt vertrieben und die wild
erregte piemontesische Jugend sich massenhaft in den Unabhängigkeitskampf
jenseits der Grenze gestürzt hatte, da mußte sich Cavour gestehen, daß es zum
Zögern zu spät geworden; er stimmte nunmehr ein in das allgemeine Kriegs¬
geschrei gegen die fremden Unterdrücker. "Und wenn wir nur S000 Soldaten
hätten," schrieb er, "wir müßten sie auf der Stelle nach Mailand schicken."

Der Krieg brach aus, die Schlacht bei Goito wurde verloren, Cavour
meldete sich zum freiwilligen Eintritt in das geschlagene Heer, Karl Albert
aber fühlte sich zu weiterem Widerstande unfähig, und der Waffenstillstand zu
Mailand machte dem Kampfe ein vorläufiges Ende.

Die Lage des neuen piemontesischen Verfassungsstaates war äußerst
schwierig, fast hoffnungslos im Innern wie nach außen. Von der einen
Seite der österreichischen Uebermacht fast wehrlos preisgegeben, wurde sein
Bestand durch wühlenden Parteikampf in Frage gestellt. Auch an König
Karl Albert gab es nach seiner Vergangenheit, seinem bekannten Charakter,
seiner unzweifelhaften Herzensneigung keinen Verlaß von einem Tage zum
andern, die mächtige altconservative Partei sah in der erlittenen Niederlage
eine Wirkung der dem Staate aufgedrungenen Neuerungen und das geschla¬
gene Heer fand im Anschlusse an diese Meinung einen willkommenen Trost
für die eigne Demüthigung, während die Revolutionspartei die Ursache des


Grenzboten l, 1874. 17

des Königs Karl Albert endlich brach. Noch rechtzeitig, vierzehn Tage vor
der Pariser Februarrevolution, deren Rückstoß seinen Thron wahrscheinlich
zertrümmert haben würde, erklärte er seinen Entschluß, mit freiwilligem Ver¬
zicht auf unbeschränkte Gewalt, unter dem Vorbehalt jedoch der katholischen
Staatsreligion, dem Lande eine Verfassung zu geben, deren Verkündigung
alsbald erfolgte, und die im Wesentlichen noch heute als das Grundgesetz
für Italien gilt. Eine unter Balbo's Vorsitz zusammentretende Commission,
in welche auch Cavour berufen wurde, hatte zunächst das erforderliche Wahl¬
gesetz auszuarbeiten, das in der Hauptsache nach den Vorschlägen des Risor-
gimento zu Stande kam und also mit gutem Grunde als das Werk Cavour's
angesehen werden konnte.

Eine der ersten Wirkungen des Wahlgesetzes war dem Urheber desselben
nicht günstig. Die in Turin selbst aufgestellte, Candidatur Cavour's scheiterte.
Er war den Wählern nicht revolutionär genug und namentlich zu besonnen
in Auffassung des Verhältnisses Italiens zu Oesterreich. Denn bei
tödtlichem Hasse gegen den Nationalfeind, konnte er sich nicht verhehlen, daß
Italien demselben einstweilen nicht gewachsen sei, er wollte also vor dem
Bruch mit Oesterreich Zeit gewinnen, Kräfte sammeln, günstige Umstände
abwarten. Nachdem aber der Aufstand in Mailand ausgebrochen, die öster¬
reichische Besatzung aus der lombardischen Hauptstadt vertrieben und die wild
erregte piemontesische Jugend sich massenhaft in den Unabhängigkeitskampf
jenseits der Grenze gestürzt hatte, da mußte sich Cavour gestehen, daß es zum
Zögern zu spät geworden; er stimmte nunmehr ein in das allgemeine Kriegs¬
geschrei gegen die fremden Unterdrücker. „Und wenn wir nur S000 Soldaten
hätten," schrieb er, „wir müßten sie auf der Stelle nach Mailand schicken."

Der Krieg brach aus, die Schlacht bei Goito wurde verloren, Cavour
meldete sich zum freiwilligen Eintritt in das geschlagene Heer, Karl Albert
aber fühlte sich zu weiterem Widerstande unfähig, und der Waffenstillstand zu
Mailand machte dem Kampfe ein vorläufiges Ende.

Die Lage des neuen piemontesischen Verfassungsstaates war äußerst
schwierig, fast hoffnungslos im Innern wie nach außen. Von der einen
Seite der österreichischen Uebermacht fast wehrlos preisgegeben, wurde sein
Bestand durch wühlenden Parteikampf in Frage gestellt. Auch an König
Karl Albert gab es nach seiner Vergangenheit, seinem bekannten Charakter,
seiner unzweifelhaften Herzensneigung keinen Verlaß von einem Tage zum
andern, die mächtige altconservative Partei sah in der erlittenen Niederlage
eine Wirkung der dem Staate aufgedrungenen Neuerungen und das geschla¬
gene Heer fand im Anschlusse an diese Meinung einen willkommenen Trost
für die eigne Demüthigung, während die Revolutionspartei die Ursache des


Grenzboten l, 1874. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130779"/>
          <p xml:id="ID_389" prev="#ID_388"> des Königs Karl Albert endlich brach. Noch rechtzeitig, vierzehn Tage vor<lb/>
der Pariser Februarrevolution, deren Rückstoß seinen Thron wahrscheinlich<lb/>
zertrümmert haben würde, erklärte er seinen Entschluß, mit freiwilligem Ver¬<lb/>
zicht auf unbeschränkte Gewalt, unter dem Vorbehalt jedoch der katholischen<lb/>
Staatsreligion, dem Lande eine Verfassung zu geben, deren Verkündigung<lb/>
alsbald erfolgte, und die im Wesentlichen noch heute als das Grundgesetz<lb/>
für Italien gilt. Eine unter Balbo's Vorsitz zusammentretende Commission,<lb/>
in welche auch Cavour berufen wurde, hatte zunächst das erforderliche Wahl¬<lb/>
gesetz auszuarbeiten, das in der Hauptsache nach den Vorschlägen des Risor-<lb/>
gimento zu Stande kam und also mit gutem Grunde als das Werk Cavour's<lb/>
angesehen werden konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_390"> Eine der ersten Wirkungen des Wahlgesetzes war dem Urheber desselben<lb/>
nicht günstig. Die in Turin selbst aufgestellte, Candidatur Cavour's scheiterte.<lb/>
Er war den Wählern nicht revolutionär genug und namentlich zu besonnen<lb/>
in Auffassung des Verhältnisses Italiens zu Oesterreich. Denn bei<lb/>
tödtlichem Hasse gegen den Nationalfeind, konnte er sich nicht verhehlen, daß<lb/>
Italien demselben einstweilen nicht gewachsen sei, er wollte also vor dem<lb/>
Bruch mit Oesterreich Zeit gewinnen, Kräfte sammeln, günstige Umstände<lb/>
abwarten. Nachdem aber der Aufstand in Mailand ausgebrochen, die öster¬<lb/>
reichische Besatzung aus der lombardischen Hauptstadt vertrieben und die wild<lb/>
erregte piemontesische Jugend sich massenhaft in den Unabhängigkeitskampf<lb/>
jenseits der Grenze gestürzt hatte, da mußte sich Cavour gestehen, daß es zum<lb/>
Zögern zu spät geworden; er stimmte nunmehr ein in das allgemeine Kriegs¬<lb/>
geschrei gegen die fremden Unterdrücker. &#x201E;Und wenn wir nur S000 Soldaten<lb/>
hätten," schrieb er, &#x201E;wir müßten sie auf der Stelle nach Mailand schicken."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_391"> Der Krieg brach aus, die Schlacht bei Goito wurde verloren, Cavour<lb/>
meldete sich zum freiwilligen Eintritt in das geschlagene Heer, Karl Albert<lb/>
aber fühlte sich zu weiterem Widerstande unfähig, und der Waffenstillstand zu<lb/>
Mailand machte dem Kampfe ein vorläufiges Ende.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_392" next="#ID_393"> Die Lage des neuen piemontesischen Verfassungsstaates war äußerst<lb/>
schwierig, fast hoffnungslos im Innern wie nach außen. Von der einen<lb/>
Seite der österreichischen Uebermacht fast wehrlos preisgegeben, wurde sein<lb/>
Bestand durch wühlenden Parteikampf in Frage gestellt. Auch an König<lb/>
Karl Albert gab es nach seiner Vergangenheit, seinem bekannten Charakter,<lb/>
seiner unzweifelhaften Herzensneigung keinen Verlaß von einem Tage zum<lb/>
andern, die mächtige altconservative Partei sah in der erlittenen Niederlage<lb/>
eine Wirkung der dem Staate aufgedrungenen Neuerungen und das geschla¬<lb/>
gene Heer fand im Anschlusse an diese Meinung einen willkommenen Trost<lb/>
für die eigne Demüthigung, während die Revolutionspartei die Ursache des</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten l, 1874. 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0135] des Königs Karl Albert endlich brach. Noch rechtzeitig, vierzehn Tage vor der Pariser Februarrevolution, deren Rückstoß seinen Thron wahrscheinlich zertrümmert haben würde, erklärte er seinen Entschluß, mit freiwilligem Ver¬ zicht auf unbeschränkte Gewalt, unter dem Vorbehalt jedoch der katholischen Staatsreligion, dem Lande eine Verfassung zu geben, deren Verkündigung alsbald erfolgte, und die im Wesentlichen noch heute als das Grundgesetz für Italien gilt. Eine unter Balbo's Vorsitz zusammentretende Commission, in welche auch Cavour berufen wurde, hatte zunächst das erforderliche Wahl¬ gesetz auszuarbeiten, das in der Hauptsache nach den Vorschlägen des Risor- gimento zu Stande kam und also mit gutem Grunde als das Werk Cavour's angesehen werden konnte. Eine der ersten Wirkungen des Wahlgesetzes war dem Urheber desselben nicht günstig. Die in Turin selbst aufgestellte, Candidatur Cavour's scheiterte. Er war den Wählern nicht revolutionär genug und namentlich zu besonnen in Auffassung des Verhältnisses Italiens zu Oesterreich. Denn bei tödtlichem Hasse gegen den Nationalfeind, konnte er sich nicht verhehlen, daß Italien demselben einstweilen nicht gewachsen sei, er wollte also vor dem Bruch mit Oesterreich Zeit gewinnen, Kräfte sammeln, günstige Umstände abwarten. Nachdem aber der Aufstand in Mailand ausgebrochen, die öster¬ reichische Besatzung aus der lombardischen Hauptstadt vertrieben und die wild erregte piemontesische Jugend sich massenhaft in den Unabhängigkeitskampf jenseits der Grenze gestürzt hatte, da mußte sich Cavour gestehen, daß es zum Zögern zu spät geworden; er stimmte nunmehr ein in das allgemeine Kriegs¬ geschrei gegen die fremden Unterdrücker. „Und wenn wir nur S000 Soldaten hätten," schrieb er, „wir müßten sie auf der Stelle nach Mailand schicken." Der Krieg brach aus, die Schlacht bei Goito wurde verloren, Cavour meldete sich zum freiwilligen Eintritt in das geschlagene Heer, Karl Albert aber fühlte sich zu weiterem Widerstande unfähig, und der Waffenstillstand zu Mailand machte dem Kampfe ein vorläufiges Ende. Die Lage des neuen piemontesischen Verfassungsstaates war äußerst schwierig, fast hoffnungslos im Innern wie nach außen. Von der einen Seite der österreichischen Uebermacht fast wehrlos preisgegeben, wurde sein Bestand durch wühlenden Parteikampf in Frage gestellt. Auch an König Karl Albert gab es nach seiner Vergangenheit, seinem bekannten Charakter, seiner unzweifelhaften Herzensneigung keinen Verlaß von einem Tage zum andern, die mächtige altconservative Partei sah in der erlittenen Niederlage eine Wirkung der dem Staate aufgedrungenen Neuerungen und das geschla¬ gene Heer fand im Anschlusse an diese Meinung einen willkommenen Trost für die eigne Demüthigung, während die Revolutionspartei die Ursache des Grenzboten l, 1874. 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/135
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/135>, abgerufen am 26.08.2024.