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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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liebe Pagenkorps, eine Auszeichnung, die er indessen nicht zu würdigen ver¬
stand. Die Lakaiendienste, welche er in entsprechender Livree dem Prinzen von
Carignano, später König Karl Albert zu leisten hatte, waren so wenig nach
seinem Geschmack, daß er sich Nachlässigkeiten und Verstöße zu Schulden kommen
ließ, durch welche er die Gunst des Prinzen und den Hofdienst nach zwei
Jahren verwirkte.

Durch seine raschen Fortschritte in den nothwendigsten Studien dagegen
brachte Cavour es dahin, mit dem sechzehnten Jahre -- vier Jahre vor dem
vorschriftsmäßigen Alter -- zum Jngenieuroffizier befördert zu werden. Wäh¬
rend er in dieser Eigenschaft in Genua stand, brach die französische Juli¬
revolution aus, welche den Geist des jungen Lieutenants heftig erregte und
ihn zu ketzerischen Aeußerungen hinriß, welche in Turin hinterbracht wurden,
und eine Strafversetzung des schon aus der Pagenzeit übel angeschriebenen
Thäters zur Folge hatten. Als einige Monate später Karl Albert den Thron
bestieg, forderte und erhielt Cavour seinen Abschied.

Cavour war damit an einem wichtigen Wendepunkt seines Lebens ange¬
kommen: herausgetreten aus der ihm vielmehr angewiesenen, als von ihm
gewählten Laufbahn, auf sich selbst und seine eigne Kraft gestellt, in offenen
Zwiespalt gerathen mit dem seit 1831 in Karl Albert verkörperten Königthums
in dem Manne, welchem Cavour aus der Knabenzeit einen Groll nachtrug, an
welchem auch die schmähliche öffentliche Rolle, die der Prinz von Carignano
im Anfange der zwanziger Jahre gespielt, vielleicht ihren Antheil haben
mochte. *)

Mit einem Wort, Cavour hatte setzt die Stellung in der Welt genommen,
welche seiner Naturanlage, seinem inneren Berufe entsprach: er war ein Mann
der Opposition, des Fortschritts geworden, er trat ein in die Reihen der Libe¬
ralen, vor denen das rechtgläubige Italien drei Kreuze schlug.

Der Spielraum der vereinzelten freisinnigen Politiker im damaligen
Turin war beschränkt bis zur Armseligkeit. Man mußte sich damit be¬
gnügen, das Haus des französischen Gesandten in Turin, Grafen Ba¬
rente zu besuchen, dort die im Lande verbotenen Pariser Zeitungen zu
lesen und politische Gedanken und Wünsche auszutauschen, welche über
die Grenzen der in Frankreich vorhandenen staatlichen Wirklichkeit selten



") Der Prinz von Carignano trat bekanntlich an die Spitze des Turiner Aufstandes von
1821 , welcher darauf abzweckte, die damalige spanische Verfassung im Königreich Sardinien
einzuführen, ließ jedoch beim ersten Anschein von Gefahr die anfänglich siegreiche Revolution
im Stiche, schloß sich dem französischen Feldzuge gegen das consiitutionclle Spanien an, ver¬
sagte, nachdem er König geworden, seinen ehemaligen Mitschuldigen im eigenen Lande sogar die
Begnadigung und führte bis 1848 das härteste absolutistisch-jesuitische Regiment. Nachdem er
jedoch im Anfänge des Jahres 1848 eine Verfassung gegeben, die er dem Lande nicht länger vor¬
enthalten konnte und Oesterreich den Krieg erklärt, vergeudete der vergeßliche Volksmund an
ihn den Beinamen des "Hochherzigen", den auch Cavour nachsprechen zu müssen glaubte.

liebe Pagenkorps, eine Auszeichnung, die er indessen nicht zu würdigen ver¬
stand. Die Lakaiendienste, welche er in entsprechender Livree dem Prinzen von
Carignano, später König Karl Albert zu leisten hatte, waren so wenig nach
seinem Geschmack, daß er sich Nachlässigkeiten und Verstöße zu Schulden kommen
ließ, durch welche er die Gunst des Prinzen und den Hofdienst nach zwei
Jahren verwirkte.

Durch seine raschen Fortschritte in den nothwendigsten Studien dagegen
brachte Cavour es dahin, mit dem sechzehnten Jahre — vier Jahre vor dem
vorschriftsmäßigen Alter — zum Jngenieuroffizier befördert zu werden. Wäh¬
rend er in dieser Eigenschaft in Genua stand, brach die französische Juli¬
revolution aus, welche den Geist des jungen Lieutenants heftig erregte und
ihn zu ketzerischen Aeußerungen hinriß, welche in Turin hinterbracht wurden,
und eine Strafversetzung des schon aus der Pagenzeit übel angeschriebenen
Thäters zur Folge hatten. Als einige Monate später Karl Albert den Thron
bestieg, forderte und erhielt Cavour seinen Abschied.

Cavour war damit an einem wichtigen Wendepunkt seines Lebens ange¬
kommen: herausgetreten aus der ihm vielmehr angewiesenen, als von ihm
gewählten Laufbahn, auf sich selbst und seine eigne Kraft gestellt, in offenen
Zwiespalt gerathen mit dem seit 1831 in Karl Albert verkörperten Königthums
in dem Manne, welchem Cavour aus der Knabenzeit einen Groll nachtrug, an
welchem auch die schmähliche öffentliche Rolle, die der Prinz von Carignano
im Anfange der zwanziger Jahre gespielt, vielleicht ihren Antheil haben
mochte. *)

Mit einem Wort, Cavour hatte setzt die Stellung in der Welt genommen,
welche seiner Naturanlage, seinem inneren Berufe entsprach: er war ein Mann
der Opposition, des Fortschritts geworden, er trat ein in die Reihen der Libe¬
ralen, vor denen das rechtgläubige Italien drei Kreuze schlug.

Der Spielraum der vereinzelten freisinnigen Politiker im damaligen
Turin war beschränkt bis zur Armseligkeit. Man mußte sich damit be¬
gnügen, das Haus des französischen Gesandten in Turin, Grafen Ba¬
rente zu besuchen, dort die im Lande verbotenen Pariser Zeitungen zu
lesen und politische Gedanken und Wünsche auszutauschen, welche über
die Grenzen der in Frankreich vorhandenen staatlichen Wirklichkeit selten



") Der Prinz von Carignano trat bekanntlich an die Spitze des Turiner Aufstandes von
1821 , welcher darauf abzweckte, die damalige spanische Verfassung im Königreich Sardinien
einzuführen, ließ jedoch beim ersten Anschein von Gefahr die anfänglich siegreiche Revolution
im Stiche, schloß sich dem französischen Feldzuge gegen das consiitutionclle Spanien an, ver¬
sagte, nachdem er König geworden, seinen ehemaligen Mitschuldigen im eigenen Lande sogar die
Begnadigung und führte bis 1848 das härteste absolutistisch-jesuitische Regiment. Nachdem er
jedoch im Anfänge des Jahres 1848 eine Verfassung gegeben, die er dem Lande nicht länger vor¬
enthalten konnte und Oesterreich den Krieg erklärt, vergeudete der vergeßliche Volksmund an
ihn den Beinamen des „Hochherzigen", den auch Cavour nachsprechen zu müssen glaubte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/129>, abgerufen am 26.12.2024.