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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Die anderen Universitäten Süddeutschlands hatten sich nichtsdestoweniger
auf ihrer früheren Stellung. Von kleinen Schwankungen sehen wir ab; im
Ganzen behaupten München, Freiburg, Würzburg, Erlangen ihren
Platz mit Ehren. Tübingen hat sogar Fortschritte aufzuweisen; es ist
auch hier wie in Sachsen die Negierung. die mit außerordentlicher Regsamkeit
Neuberufungen betreibt und von den Unterlassungssünden und Fehlern an
anderen Stellen für ihre Schule Vortheil zu ziehen sich beeilt (so z. B. bei
der Berufung Hoffmeister's aus Heidelberg und Noorden's aus Marburg).

Vor einigen Jahren wurde sehr rührig discutirt über den Fortbestand
oder Untergang der ganz kleinen Universitäten. Die Erfahrungen der letzten
Jahre dürften vielleicht Anlaß geben, die Frage aufs neue zu discutiren.
Grade der äußerliche Rückgang studentischen Besuches auf jenen und die all¬
gemeine Abnahme akademischer Kapacitäten könnten eine Aufhebung einzelner
Universitäten fordern. Jena und Gießen, Rostock und Kiel -- (in
Kiel trotz der großen aufmerksamen Pflege und Fürsorge, welche die preußische
Negierung diesem Schmerzenskinds schenkt) -- gehen heute diesem Lose lang¬
sam entgegen. Ob eine Wiedergeburt möglich, ob sie sich überall lohnt, wer
will dies sagen? Auch Baden möchten wohlmeinende Freunde vielleicht den
Rath ertheilen dürfen, seine Kräfte auf Heidelberg zu concentriren und Frei¬
burg lieber ganz aufzugeben, statt beide sich verbluten zu lassen. Für die
Erhaltung von Kiel wird man einen nationalpolitischen Grund anführen
können, aber die Beibehaltung von Gießen und Rostock rechtfertigt sich haupt¬
sächlich nur durch dynastische und particularistische Motive. Ihr Abscheiden
ist eine Frage der Zeit.

Unter den preußischen Universitäten haben die größeren, Breslau und
Göttingen, in den letzten Jahren einen erfreulichen Aufschwung erfahren.
Hier sind die äußeren Bedingungen günstig gegeben; hier hat die Regierung
ihrerseits verständig nachgeholfen und ihre Schuldigkeit gethan. Auch Halle
ist in seinem blühenden Zustande verblieben. Manchen Schwankungen unter¬
lag in letzter Zeit grade Bonn. Die ärgerlichen Händel von 1865 übten
hier doch eine gewisse Nachwirkung; traurige Verluste trafen grade hier den
Lehrkörper; die ultramontanen Kämpfe blieben nicht ohne Einfluß auf die
Universität, wenn man auch die Abnahme der katholisch-theologischen Fakultät
vielleicht als ein Glück für das Ganze der Universität dereinst bezeichnen wird.
Aber mit allem Diesem ist die Gefahr für Bonn entstanden, in die Kategorie
der Provinzialuniversitäten herabzusinken. Noch ist die Frage in der Schwebe,
noch ist die Universität in dem Zwitterzustande zwischen einer für das Allge¬
meine einflußreichen großen Hochschule, wie sie früher es gewesen, und einer
den Bedürfnissen der Rheinprovinz allein dienenden Anstalt. Nicht ohne


Die anderen Universitäten Süddeutschlands hatten sich nichtsdestoweniger
auf ihrer früheren Stellung. Von kleinen Schwankungen sehen wir ab; im
Ganzen behaupten München, Freiburg, Würzburg, Erlangen ihren
Platz mit Ehren. Tübingen hat sogar Fortschritte aufzuweisen; es ist
auch hier wie in Sachsen die Negierung. die mit außerordentlicher Regsamkeit
Neuberufungen betreibt und von den Unterlassungssünden und Fehlern an
anderen Stellen für ihre Schule Vortheil zu ziehen sich beeilt (so z. B. bei
der Berufung Hoffmeister's aus Heidelberg und Noorden's aus Marburg).

Vor einigen Jahren wurde sehr rührig discutirt über den Fortbestand
oder Untergang der ganz kleinen Universitäten. Die Erfahrungen der letzten
Jahre dürften vielleicht Anlaß geben, die Frage aufs neue zu discutiren.
Grade der äußerliche Rückgang studentischen Besuches auf jenen und die all¬
gemeine Abnahme akademischer Kapacitäten könnten eine Aufhebung einzelner
Universitäten fordern. Jena und Gießen, Rostock und Kiel — (in
Kiel trotz der großen aufmerksamen Pflege und Fürsorge, welche die preußische
Negierung diesem Schmerzenskinds schenkt) — gehen heute diesem Lose lang¬
sam entgegen. Ob eine Wiedergeburt möglich, ob sie sich überall lohnt, wer
will dies sagen? Auch Baden möchten wohlmeinende Freunde vielleicht den
Rath ertheilen dürfen, seine Kräfte auf Heidelberg zu concentriren und Frei¬
burg lieber ganz aufzugeben, statt beide sich verbluten zu lassen. Für die
Erhaltung von Kiel wird man einen nationalpolitischen Grund anführen
können, aber die Beibehaltung von Gießen und Rostock rechtfertigt sich haupt¬
sächlich nur durch dynastische und particularistische Motive. Ihr Abscheiden
ist eine Frage der Zeit.

Unter den preußischen Universitäten haben die größeren, Breslau und
Göttingen, in den letzten Jahren einen erfreulichen Aufschwung erfahren.
Hier sind die äußeren Bedingungen günstig gegeben; hier hat die Regierung
ihrerseits verständig nachgeholfen und ihre Schuldigkeit gethan. Auch Halle
ist in seinem blühenden Zustande verblieben. Manchen Schwankungen unter¬
lag in letzter Zeit grade Bonn. Die ärgerlichen Händel von 1865 übten
hier doch eine gewisse Nachwirkung; traurige Verluste trafen grade hier den
Lehrkörper; die ultramontanen Kämpfe blieben nicht ohne Einfluß auf die
Universität, wenn man auch die Abnahme der katholisch-theologischen Fakultät
vielleicht als ein Glück für das Ganze der Universität dereinst bezeichnen wird.
Aber mit allem Diesem ist die Gefahr für Bonn entstanden, in die Kategorie
der Provinzialuniversitäten herabzusinken. Noch ist die Frage in der Schwebe,
noch ist die Universität in dem Zwitterzustande zwischen einer für das Allge¬
meine einflußreichen großen Hochschule, wie sie früher es gewesen, und einer
den Bedürfnissen der Rheinprovinz allein dienenden Anstalt. Nicht ohne


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[0118] Die anderen Universitäten Süddeutschlands hatten sich nichtsdestoweniger auf ihrer früheren Stellung. Von kleinen Schwankungen sehen wir ab; im Ganzen behaupten München, Freiburg, Würzburg, Erlangen ihren Platz mit Ehren. Tübingen hat sogar Fortschritte aufzuweisen; es ist auch hier wie in Sachsen die Negierung. die mit außerordentlicher Regsamkeit Neuberufungen betreibt und von den Unterlassungssünden und Fehlern an anderen Stellen für ihre Schule Vortheil zu ziehen sich beeilt (so z. B. bei der Berufung Hoffmeister's aus Heidelberg und Noorden's aus Marburg). Vor einigen Jahren wurde sehr rührig discutirt über den Fortbestand oder Untergang der ganz kleinen Universitäten. Die Erfahrungen der letzten Jahre dürften vielleicht Anlaß geben, die Frage aufs neue zu discutiren. Grade der äußerliche Rückgang studentischen Besuches auf jenen und die all¬ gemeine Abnahme akademischer Kapacitäten könnten eine Aufhebung einzelner Universitäten fordern. Jena und Gießen, Rostock und Kiel — (in Kiel trotz der großen aufmerksamen Pflege und Fürsorge, welche die preußische Negierung diesem Schmerzenskinds schenkt) — gehen heute diesem Lose lang¬ sam entgegen. Ob eine Wiedergeburt möglich, ob sie sich überall lohnt, wer will dies sagen? Auch Baden möchten wohlmeinende Freunde vielleicht den Rath ertheilen dürfen, seine Kräfte auf Heidelberg zu concentriren und Frei¬ burg lieber ganz aufzugeben, statt beide sich verbluten zu lassen. Für die Erhaltung von Kiel wird man einen nationalpolitischen Grund anführen können, aber die Beibehaltung von Gießen und Rostock rechtfertigt sich haupt¬ sächlich nur durch dynastische und particularistische Motive. Ihr Abscheiden ist eine Frage der Zeit. Unter den preußischen Universitäten haben die größeren, Breslau und Göttingen, in den letzten Jahren einen erfreulichen Aufschwung erfahren. Hier sind die äußeren Bedingungen günstig gegeben; hier hat die Regierung ihrerseits verständig nachgeholfen und ihre Schuldigkeit gethan. Auch Halle ist in seinem blühenden Zustande verblieben. Manchen Schwankungen unter¬ lag in letzter Zeit grade Bonn. Die ärgerlichen Händel von 1865 übten hier doch eine gewisse Nachwirkung; traurige Verluste trafen grade hier den Lehrkörper; die ultramontanen Kämpfe blieben nicht ohne Einfluß auf die Universität, wenn man auch die Abnahme der katholisch-theologischen Fakultät vielleicht als ein Glück für das Ganze der Universität dereinst bezeichnen wird. Aber mit allem Diesem ist die Gefahr für Bonn entstanden, in die Kategorie der Provinzialuniversitäten herabzusinken. Noch ist die Frage in der Schwebe, noch ist die Universität in dem Zwitterzustande zwischen einer für das Allge¬ meine einflußreichen großen Hochschule, wie sie früher es gewesen, und einer den Bedürfnissen der Rheinprovinz allein dienenden Anstalt. Nicht ohne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/118>, abgerufen am 27.08.2024.