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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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sind den bestehenden Universitäten viele tüchtige Kräfte entzogen worden, de¬
ren Ersatz an vielen Stellen nicht leicht geworden, hier und da geradezu un¬
möglich gewesen ist. Und je mehr man im Großen und Ganzen die Zusam¬
mensetzung des Straßburger Lehrkörpers als eine merkwürdig gelungene und
anerkennungswerthe Leistung wird rühmen dürfen -- (vielleicht das philolo¬
gische Fach allein ausgenommen) -- desto eindringlicher war die Rückwirkung
auf den alten Zustand. Unter unsere akademischen Lehrer ist seit der Zeit
eine große Unruhe und Beweglichkeit gefahren; einzelne wandern von einer
Stellung zur anderen. Und auch der Beobachtung wird sich ein unbefange¬
ner Betrachter nicht verschließen können, daß heute der Nachfrage nach alt¬
akademischen Lehrern das Angebot wissenschaftlich erprobter Kräfte nicht mehr
entspricht. Wer die Berufungen der letzten Jahre mustert, stößt auf eine
weit größere Anzahl von sogenannten Anstellungen ,,auf Hoffnung" als dies
jemals früher der Fall war. Wir sind allerdings der Hoffnung, daß
dies sich im Lauf der Zeit ausgleichen wird. Die Uebergangszeit muß eben
durchlebt werden.

Eine Universität in Straßburg war eine politische und nationale Noth¬
wendigkeit. Eine große Zukunft steht ihr bevor. Jetzt schon wächst die Zahl
der Studirenden, sie muß und wird weiter wachsen. Freilich eine Frucht
des neuen Zustandes wird in manchem Deutschen eine schmerzliche Empfin¬
dung erregt haben. Wir wenigstens sehen in dem Verfall der Univer¬
sität Heidelberg eine Nachwirkung der Straßburger Anfänge. Heidelberg
unterliegt in der Concurrenz mit Straßburg.

Seltsam, alle Welt redet und klagt über den Rückgang Berlins. Daß in
Heidelberg ein ähnlicher Proceß beobachtet und studirt werden kann, pflegt
übersehen zu werden: auf c. 600 Studirende ist man reducirt. Aber wie
Berlin, so zeigt auch das Heidelberger Beispiel, daß es nicht allein die Lei¬
stungsfähigkeit und Beliebtheit der Lehrer ist, was die Blüthe der Universi¬
täten bedingt. Noch lehren in Heidelberg wissenschaftliche Größen ersten Ran¬
ges, Männer wie Bunsen und Kirchhofs, Windscheid und Renaud. Holtzmann
und Hausrath, Fischer und Treitschke, -- und dennoch die Abnahme! Die
theologische Frequenz Heidelbergs bildet schon seit Jahren das Object schaden¬
frohen Spottes der positiven Theologen; neuerdings aber erstreckt sich die
studentische Fahnenflucht auch in die anderen Facultäten hinein. Wir wissen
keinen andern Grund zu nennen, als die erdrückende Nachbarschaft des neuen
Straßburgs. Will Baden diese Concurrenz aufnehmen, so wird es Anstren¬
gungen der höchsten Art zu machen haben, Anstrengungen seine bewährten
Lehrer zu fesseln und seine Lücken zu ergänzen in einer Weise, die allerdings
vielleicht aus pecuniären und noch aus anderen Gründen über seine Kräfte
hinausgehen dürfte.


sind den bestehenden Universitäten viele tüchtige Kräfte entzogen worden, de¬
ren Ersatz an vielen Stellen nicht leicht geworden, hier und da geradezu un¬
möglich gewesen ist. Und je mehr man im Großen und Ganzen die Zusam¬
mensetzung des Straßburger Lehrkörpers als eine merkwürdig gelungene und
anerkennungswerthe Leistung wird rühmen dürfen — (vielleicht das philolo¬
gische Fach allein ausgenommen) — desto eindringlicher war die Rückwirkung
auf den alten Zustand. Unter unsere akademischen Lehrer ist seit der Zeit
eine große Unruhe und Beweglichkeit gefahren; einzelne wandern von einer
Stellung zur anderen. Und auch der Beobachtung wird sich ein unbefange¬
ner Betrachter nicht verschließen können, daß heute der Nachfrage nach alt¬
akademischen Lehrern das Angebot wissenschaftlich erprobter Kräfte nicht mehr
entspricht. Wer die Berufungen der letzten Jahre mustert, stößt auf eine
weit größere Anzahl von sogenannten Anstellungen ,,auf Hoffnung" als dies
jemals früher der Fall war. Wir sind allerdings der Hoffnung, daß
dies sich im Lauf der Zeit ausgleichen wird. Die Uebergangszeit muß eben
durchlebt werden.

Eine Universität in Straßburg war eine politische und nationale Noth¬
wendigkeit. Eine große Zukunft steht ihr bevor. Jetzt schon wächst die Zahl
der Studirenden, sie muß und wird weiter wachsen. Freilich eine Frucht
des neuen Zustandes wird in manchem Deutschen eine schmerzliche Empfin¬
dung erregt haben. Wir wenigstens sehen in dem Verfall der Univer¬
sität Heidelberg eine Nachwirkung der Straßburger Anfänge. Heidelberg
unterliegt in der Concurrenz mit Straßburg.

Seltsam, alle Welt redet und klagt über den Rückgang Berlins. Daß in
Heidelberg ein ähnlicher Proceß beobachtet und studirt werden kann, pflegt
übersehen zu werden: auf c. 600 Studirende ist man reducirt. Aber wie
Berlin, so zeigt auch das Heidelberger Beispiel, daß es nicht allein die Lei¬
stungsfähigkeit und Beliebtheit der Lehrer ist, was die Blüthe der Universi¬
täten bedingt. Noch lehren in Heidelberg wissenschaftliche Größen ersten Ran¬
ges, Männer wie Bunsen und Kirchhofs, Windscheid und Renaud. Holtzmann
und Hausrath, Fischer und Treitschke, — und dennoch die Abnahme! Die
theologische Frequenz Heidelbergs bildet schon seit Jahren das Object schaden¬
frohen Spottes der positiven Theologen; neuerdings aber erstreckt sich die
studentische Fahnenflucht auch in die anderen Facultäten hinein. Wir wissen
keinen andern Grund zu nennen, als die erdrückende Nachbarschaft des neuen
Straßburgs. Will Baden diese Concurrenz aufnehmen, so wird es Anstren¬
gungen der höchsten Art zu machen haben, Anstrengungen seine bewährten
Lehrer zu fesseln und seine Lücken zu ergänzen in einer Weise, die allerdings
vielleicht aus pecuniären und noch aus anderen Gründen über seine Kräfte
hinausgehen dürfte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/117>, abgerufen am 26.12.2024.