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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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an die Heroen schlagen, vermuthlich den Heroen um die Köpfe! Solches Zeug
schreiben unsere besten Stilisten in unsren vornehmsten Wochen- und Monats¬
schriften. Aber nun sehe man erst einmal unsren politischen Tagesblätter an
-- welche Verwilderung und Verwahrlosung des sprachlichen Bewußtseins tritt
uns da in jeder Spalte entgegen: In dem stelzfüßigen Berichterstatterjargon
und in den amtlichen Bekanntmachungen der Behörden die geradezu bis zum Ekel
einen verfolgende Inversion des Subjectes und Prädicates nach dem Binde¬
worte ("der Gerichtshof verurtheilte den Angeklagten zu halbjähriger Festungs¬
haft und erfolgte noch am selbigen Tage seine Ueberführung nach --" oder:
"in den letzten Tagen hat die Temperatur bedeutend zugenommen und wird
die Ernte wohl eher stattfinden,^ als man bisher glaubte"), in dem Schablo¬
nenstil der kaufmännischen Geschäftscmzeigen das maßlos einfältige Weglassen
des Pronomens der ersten Person ("Habe am gestrigen Tage empfangen und
beehre mich ?c.), in den Privatinseraten, selbst von Leuten die auf Bildung
Anspruch machen, die gröbsten grammatischen Verstöße, wie die Anwendung
des Particips der Vergangenheit von Zeitwörter, die mit haben verbunden
werden ("bei dem uns betroffnen schweren Verluste") die völlige Confusion im
Gebrauche der Personalpronomina ("Um freundliche Rückgabe der von mir
entliehenen Bücher bittet N. N.") und hundert ähnliche Dinge. Orthogra¬
phische Fehler in den stilistischen Leistungen der geschätzten Mitarbeiter und
des inserirenden Publikums berichtigt jeder Setzer ganz von selbst; aber gram¬
matische Fehler zu beseitigen hat die Redaction einer täglich erscheinenden Zei¬
tung nicht die Zeit und wohl auch nicht das Recht. Hier liegen die Auf¬
gaben der Schule und des Unterrichts, und, wie uns scheint, Aufgaben von
mindestens eben so dringlicher, wenn nicht von dringlicherer Natur, als die
Herstellung einer einheitlichen deutschen Orthographie.

Aber wohin sind wir gerathen? Es ist gewiß schlimm, wenn jemand
einen schlechten Stil schreibt; aber noch viel schlimmer ist es, wenn er über
Dinge schreibt, die nicht zur Sache gehören. Und dieses Fehlers haben wir
uns soeben in hohem Maße schuldig gemacht. Drum schleunig zurück zu
unsrer Aufgabe.

Was uns an Sanders' Buche nicht gefallen will, das ist sein Titel. Wer
den gelesen hat, der kann nicht anders glauben, als daß er in dem Buche
eine wohlbegründete und womöglich endgiltige Belehrung über die schwankenden
Erscheinungen der deutschen Orthographie finden werde, daß er erfahren
werde, ob es nun eigentlich besser sei zu schreiben: blos oder bloß, ging oder
gieng. Heimat oder Heimath. Eltern oder Aeltern, Brod oder Brot, Greuel
oder Gräuel, Thräne oder Trahne, Sprichwort oder Sprüchwort, adlig oder
adlich, selbständig oder selbstständig, allmälig oder allmälich, unversiegbar
oder unversiechbar, Kapital oder Capitel!, canneliren oder canelliren; ob


an die Heroen schlagen, vermuthlich den Heroen um die Köpfe! Solches Zeug
schreiben unsere besten Stilisten in unsren vornehmsten Wochen- und Monats¬
schriften. Aber nun sehe man erst einmal unsren politischen Tagesblätter an
— welche Verwilderung und Verwahrlosung des sprachlichen Bewußtseins tritt
uns da in jeder Spalte entgegen: In dem stelzfüßigen Berichterstatterjargon
und in den amtlichen Bekanntmachungen der Behörden die geradezu bis zum Ekel
einen verfolgende Inversion des Subjectes und Prädicates nach dem Binde¬
worte („der Gerichtshof verurtheilte den Angeklagten zu halbjähriger Festungs¬
haft und erfolgte noch am selbigen Tage seine Ueberführung nach —" oder:
„in den letzten Tagen hat die Temperatur bedeutend zugenommen und wird
die Ernte wohl eher stattfinden,^ als man bisher glaubte"), in dem Schablo¬
nenstil der kaufmännischen Geschäftscmzeigen das maßlos einfältige Weglassen
des Pronomens der ersten Person („Habe am gestrigen Tage empfangen und
beehre mich ?c.), in den Privatinseraten, selbst von Leuten die auf Bildung
Anspruch machen, die gröbsten grammatischen Verstöße, wie die Anwendung
des Particips der Vergangenheit von Zeitwörter, die mit haben verbunden
werden („bei dem uns betroffnen schweren Verluste") die völlige Confusion im
Gebrauche der Personalpronomina („Um freundliche Rückgabe der von mir
entliehenen Bücher bittet N. N.") und hundert ähnliche Dinge. Orthogra¬
phische Fehler in den stilistischen Leistungen der geschätzten Mitarbeiter und
des inserirenden Publikums berichtigt jeder Setzer ganz von selbst; aber gram¬
matische Fehler zu beseitigen hat die Redaction einer täglich erscheinenden Zei¬
tung nicht die Zeit und wohl auch nicht das Recht. Hier liegen die Auf¬
gaben der Schule und des Unterrichts, und, wie uns scheint, Aufgaben von
mindestens eben so dringlicher, wenn nicht von dringlicherer Natur, als die
Herstellung einer einheitlichen deutschen Orthographie.

Aber wohin sind wir gerathen? Es ist gewiß schlimm, wenn jemand
einen schlechten Stil schreibt; aber noch viel schlimmer ist es, wenn er über
Dinge schreibt, die nicht zur Sache gehören. Und dieses Fehlers haben wir
uns soeben in hohem Maße schuldig gemacht. Drum schleunig zurück zu
unsrer Aufgabe.

Was uns an Sanders' Buche nicht gefallen will, das ist sein Titel. Wer
den gelesen hat, der kann nicht anders glauben, als daß er in dem Buche
eine wohlbegründete und womöglich endgiltige Belehrung über die schwankenden
Erscheinungen der deutschen Orthographie finden werde, daß er erfahren
werde, ob es nun eigentlich besser sei zu schreiben: blos oder bloß, ging oder
gieng. Heimat oder Heimath. Eltern oder Aeltern, Brod oder Brot, Greuel
oder Gräuel, Thräne oder Trahne, Sprichwort oder Sprüchwort, adlig oder
adlich, selbständig oder selbstständig, allmälig oder allmälich, unversiegbar
oder unversiechbar, Kapital oder Capitel!, canneliren oder canelliren; ob


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[0093] an die Heroen schlagen, vermuthlich den Heroen um die Köpfe! Solches Zeug schreiben unsere besten Stilisten in unsren vornehmsten Wochen- und Monats¬ schriften. Aber nun sehe man erst einmal unsren politischen Tagesblätter an — welche Verwilderung und Verwahrlosung des sprachlichen Bewußtseins tritt uns da in jeder Spalte entgegen: In dem stelzfüßigen Berichterstatterjargon und in den amtlichen Bekanntmachungen der Behörden die geradezu bis zum Ekel einen verfolgende Inversion des Subjectes und Prädicates nach dem Binde¬ worte („der Gerichtshof verurtheilte den Angeklagten zu halbjähriger Festungs¬ haft und erfolgte noch am selbigen Tage seine Ueberführung nach —" oder: „in den letzten Tagen hat die Temperatur bedeutend zugenommen und wird die Ernte wohl eher stattfinden,^ als man bisher glaubte"), in dem Schablo¬ nenstil der kaufmännischen Geschäftscmzeigen das maßlos einfältige Weglassen des Pronomens der ersten Person („Habe am gestrigen Tage empfangen und beehre mich ?c.), in den Privatinseraten, selbst von Leuten die auf Bildung Anspruch machen, die gröbsten grammatischen Verstöße, wie die Anwendung des Particips der Vergangenheit von Zeitwörter, die mit haben verbunden werden („bei dem uns betroffnen schweren Verluste") die völlige Confusion im Gebrauche der Personalpronomina („Um freundliche Rückgabe der von mir entliehenen Bücher bittet N. N.") und hundert ähnliche Dinge. Orthogra¬ phische Fehler in den stilistischen Leistungen der geschätzten Mitarbeiter und des inserirenden Publikums berichtigt jeder Setzer ganz von selbst; aber gram¬ matische Fehler zu beseitigen hat die Redaction einer täglich erscheinenden Zei¬ tung nicht die Zeit und wohl auch nicht das Recht. Hier liegen die Auf¬ gaben der Schule und des Unterrichts, und, wie uns scheint, Aufgaben von mindestens eben so dringlicher, wenn nicht von dringlicherer Natur, als die Herstellung einer einheitlichen deutschen Orthographie. Aber wohin sind wir gerathen? Es ist gewiß schlimm, wenn jemand einen schlechten Stil schreibt; aber noch viel schlimmer ist es, wenn er über Dinge schreibt, die nicht zur Sache gehören. Und dieses Fehlers haben wir uns soeben in hohem Maße schuldig gemacht. Drum schleunig zurück zu unsrer Aufgabe. Was uns an Sanders' Buche nicht gefallen will, das ist sein Titel. Wer den gelesen hat, der kann nicht anders glauben, als daß er in dem Buche eine wohlbegründete und womöglich endgiltige Belehrung über die schwankenden Erscheinungen der deutschen Orthographie finden werde, daß er erfahren werde, ob es nun eigentlich besser sei zu schreiben: blos oder bloß, ging oder gieng. Heimat oder Heimath. Eltern oder Aeltern, Brod oder Brot, Greuel oder Gräuel, Thräne oder Trahne, Sprichwort oder Sprüchwort, adlig oder adlich, selbständig oder selbstständig, allmälig oder allmälich, unversiegbar oder unversiechbar, Kapital oder Capitel!, canneliren oder canelliren; ob

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/93>, abgerufen am 06.02.2025.