Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.No. 34) nachgewiesen; schärfer und schonungsloser hat Bruno Meyer in einem Bedarf es noch der Beispiele? Es möchte vielleicht gut sein, einige an¬ No. 34) nachgewiesen; schärfer und schonungsloser hat Bruno Meyer in einem Bedarf es noch der Beispiele? Es möchte vielleicht gut sein, einige an¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192894"/> <p xml:id="ID_255" prev="#ID_254"> No. 34) nachgewiesen; schärfer und schonungsloser hat Bruno Meyer in einem<lb/> Aufsatze über „Die Pflege der Sprache, eine nationale Aufgabe" (Deutsche<lb/> Warte. 1871, Heft 7) die immer mehr um sich greifende Verderbniß unsres<lb/> sprachlichen Ausdrucks aufgedeckt. Es ist nach unsrer Ansicht nicht richtig,<lb/> bei Beurtheilung dieser Frage, so wie Mezger thut, sich auf unsre literari¬<lb/> schen Größen zu beschränken. Stellen etwa sie allein den deutschen Stil dar?<lb/> Wir verlangen nicht, daß man die gemeine Colportageliteratur berücksichtige,<lb/> aber wenigstens das, daß man jenes Durchschnittsmaß sprachlicher Bildung<lb/> im Auge behalte, welches heutzutage nicht sowohl durch Bücher — wieviel<lb/> Procent Menschen lesen überhaupt heute noch Bücher? — als vielmehr durch<lb/> die ausgedehnte periodische Literatur der zahlreichen Monats- und Wochen¬<lb/> schriften und vor allem der zahllosen politischen Journale repräsentirt, ge¬<lb/> pflegt und verbreitet wird. Sieht man die Sachen so an, dann wird man<lb/> viel eher geneigt sein, dem strengen Urtheil Bruno Meyer's als der milden<lb/> Auffassung Mezger's beizustimmen. Das Deutsch zwar, welches in unsern<lb/> Monats- und Wochenschriften geboten wird, erhebt sich fast durchweg über<lb/> das Niveau der Mittelmäßigkeit. Hier retouchirt wahrscheinlich in der Regel<lb/> eine stilistisch feiner fühlende Hand hinter den Coulissen die sämmtlichen ein¬<lb/> gelaufenen Beiträge und glättet ihre Unebenheiten einigermaßen aus. Und<lb/> dennoch kann man selten eine Nummer zur Hand nehmen, die über alle<lb/> sprachlichen Schwächen erhaben wäre. Nicht ohne Beschämung kann ein<lb/> sprachlich gebildeter Mensch heute einen Blick in die Zeitschriften aus dem<lb/> Ende des vorigen und dem Anfange dieses Jahrhunderts werfen; er wird<lb/> da viel veraltetes gewahren; aber wenn er den Fehler vermeidet, veraltetes<lb/> und schlechtes mit einander zu verwechseln, so kann er sich schlechterdings<lb/> nicht darüber täuschen, daß damals ein größeres Quantum sprachlicher Cor-<lb/> rectheit und Gewandheit Gemeingut derer, die mit der Feder sich zu schaffen<lb/> machten, gewesen sein muß, als in unsrer Zeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_256" next="#ID_257"> Bedarf es noch der Beispiele? Es möchte vielleicht gut sein, einige an¬<lb/> zuführen, damit es nicht den Anschein gewinnt, als schälten wir ins Blaue<lb/> hinein. Zu suchen braucht man wahrlich nicht weit darnach. Man sehe<lb/> einmal, um nur eins von Hunderten anzuführen, den Unfug, der heutzutage<lb/> in der Anwendung von Adverbien und adverbiellen Bestimmungen getrieben<lb/> wird^ es ist wahrhaftig, als wäre den Leuten alles grammatische Bewußtsein<lb/> abhanden gekommen. Adverbium ist eine nähere Bestimmung, die act on'bum<lb/> tritt; daher ihr Name. Ein Adverbium zu einem Substantiv zu setzen vermag<lb/> nur die griechische Sprache, die deutsche nun und nimmermehr. Der Grieche<lb/> konnte sagen- „in der dort Schlacht", „die damals Menschen", „unter den<lb/> neuerdings Tyrannen" und ähnliches. Wird einem nun nicht förmlich grie¬<lb/> chisch zu Muthe, wenn man fast täglich lesen muß: „die schrittweise Vervoll-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
No. 34) nachgewiesen; schärfer und schonungsloser hat Bruno Meyer in einem
Aufsatze über „Die Pflege der Sprache, eine nationale Aufgabe" (Deutsche
Warte. 1871, Heft 7) die immer mehr um sich greifende Verderbniß unsres
sprachlichen Ausdrucks aufgedeckt. Es ist nach unsrer Ansicht nicht richtig,
bei Beurtheilung dieser Frage, so wie Mezger thut, sich auf unsre literari¬
schen Größen zu beschränken. Stellen etwa sie allein den deutschen Stil dar?
Wir verlangen nicht, daß man die gemeine Colportageliteratur berücksichtige,
aber wenigstens das, daß man jenes Durchschnittsmaß sprachlicher Bildung
im Auge behalte, welches heutzutage nicht sowohl durch Bücher — wieviel
Procent Menschen lesen überhaupt heute noch Bücher? — als vielmehr durch
die ausgedehnte periodische Literatur der zahlreichen Monats- und Wochen¬
schriften und vor allem der zahllosen politischen Journale repräsentirt, ge¬
pflegt und verbreitet wird. Sieht man die Sachen so an, dann wird man
viel eher geneigt sein, dem strengen Urtheil Bruno Meyer's als der milden
Auffassung Mezger's beizustimmen. Das Deutsch zwar, welches in unsern
Monats- und Wochenschriften geboten wird, erhebt sich fast durchweg über
das Niveau der Mittelmäßigkeit. Hier retouchirt wahrscheinlich in der Regel
eine stilistisch feiner fühlende Hand hinter den Coulissen die sämmtlichen ein¬
gelaufenen Beiträge und glättet ihre Unebenheiten einigermaßen aus. Und
dennoch kann man selten eine Nummer zur Hand nehmen, die über alle
sprachlichen Schwächen erhaben wäre. Nicht ohne Beschämung kann ein
sprachlich gebildeter Mensch heute einen Blick in die Zeitschriften aus dem
Ende des vorigen und dem Anfange dieses Jahrhunderts werfen; er wird
da viel veraltetes gewahren; aber wenn er den Fehler vermeidet, veraltetes
und schlechtes mit einander zu verwechseln, so kann er sich schlechterdings
nicht darüber täuschen, daß damals ein größeres Quantum sprachlicher Cor-
rectheit und Gewandheit Gemeingut derer, die mit der Feder sich zu schaffen
machten, gewesen sein muß, als in unsrer Zeit.
Bedarf es noch der Beispiele? Es möchte vielleicht gut sein, einige an¬
zuführen, damit es nicht den Anschein gewinnt, als schälten wir ins Blaue
hinein. Zu suchen braucht man wahrlich nicht weit darnach. Man sehe
einmal, um nur eins von Hunderten anzuführen, den Unfug, der heutzutage
in der Anwendung von Adverbien und adverbiellen Bestimmungen getrieben
wird^ es ist wahrhaftig, als wäre den Leuten alles grammatische Bewußtsein
abhanden gekommen. Adverbium ist eine nähere Bestimmung, die act on'bum
tritt; daher ihr Name. Ein Adverbium zu einem Substantiv zu setzen vermag
nur die griechische Sprache, die deutsche nun und nimmermehr. Der Grieche
konnte sagen- „in der dort Schlacht", „die damals Menschen", „unter den
neuerdings Tyrannen" und ähnliches. Wird einem nun nicht förmlich grie¬
chisch zu Muthe, wenn man fast täglich lesen muß: „die schrittweise Vervoll-
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