Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stattet sogar, dem Leser Kopfzerbrechen oder einige Verstandesanstrengung zuzu-
muthen, und das ist der Weg, auf dem die Bücher der oben erwähnten vorzüglichen
Gattung zu Stande kommen können. Unser Verfasser berichtet nichts, was nicht
leicht zu begreifen wäre, und für die Richtigkeit der Erzählung sprechen die
Belege. Die Erzählung würde aber einen weit größeren Eindruck machen
und dadurch weit mehr zum Nachdenken anregen, wenn sie nicht so viel
Kenntnisse voraussetzte, die einer SpezialWissenschaft angehören, nämlich der
Kirchengeschichte und dem Kirchenrecht; und doch wollte der Verfasser sich nur
an das nichtgelehrte Publikum wenden. Aber was weiß dieses z. B. von
pseudo-ifidorischen Decretalen oder von Febronius. In der neueren halv
oder ganz populären Kirchenrechtsliteratur ist dieser Gegenstand und andere
ähnliche freilich oft genug mehr oder minder ausführlich berührt worden, und
dem Verfasser, der an dieser Literatur schwerlich unbetheiligt ist, mögen die¬
selben zum Ueberdruß gegenwärtig sein. Schreibt man aber gemeinverständ¬
lich in dem allein berechtigten Sinne, so darf man keine technischen Vorstel¬
lungen voraussetzen, sondern darf sich die Mühe nicht verdrießen lassen, alles
Derartige von neuem wieder zu vergegenwärtigen. Weitläufigkeit und pedan¬
tischen Ton dabei zu vermeiden, giebt es ja artige Kunstgriffe genug. Sie
bilden das unerläßliche Handwerkszeug des gemeinverständlichen Schrift¬
stellers.

Nun aber der Ausstellungen genug, und zu dem quoä tabula cioevt.

Der Verfasser weist in kurzen Zügen nach, wie und warum die ersten
allgemeinen Concilien unter dem wesentlichen Einfluß der oströmischen Kaiser
nicht nur zu Stande, sondern auch zu jedem ihrer wichtigen Akte kamen. Er er¬
zählt dann, durch welche Umstände, Usurpationen und Fälschungen die Allein¬
gewalt des Papstes auch über die Concilien eine Zeitlang zum System er¬
hoben werden wollte, wie aber die Natur der Sache, d. h, die unausweich¬
liche Nothwendigkeit sich alsbald wieder geltend machte, den natürlichen Ver¬
tretern des Laienstandes, d. i. der weltlichen Obrigkeit und der weltlichen
Wissenschaft die ihnen gebührende Mitwirkung für die Veranstaltung und
für die Beschlüsse der Concilien einzuräumen. Das vatikanische Concil stellt
sich demnach als eine Neuerung dar, der gegenüber die europäischen Staaten
noch immer in der Lage sind, die Frage aufzuwerfen, ob sie die Neuerung
als rechtmäßig hinnehmen dürfen und hinzunehmen gut thun.

Der Frage nach der rechtmäßigen Beschaffenheit der allgemeinen Con¬
cilien in Bezug auf Berufung, Zusammensetzung und die Grenzen ihrer Ge¬
walt ist eine der nicht zu wenigen Waffen, durch deren Handhabung die
europäischen Staaten befugt sind, sich gegen die Wirksamkeit der jesuitisch-
curialistischen Usurpationen zu schützen. Eine andere derartige Waffe ist be¬
kanntlich die Regelung der Papstwahl. Welche dieser Waffen, ob ihrer alle


stattet sogar, dem Leser Kopfzerbrechen oder einige Verstandesanstrengung zuzu-
muthen, und das ist der Weg, auf dem die Bücher der oben erwähnten vorzüglichen
Gattung zu Stande kommen können. Unser Verfasser berichtet nichts, was nicht
leicht zu begreifen wäre, und für die Richtigkeit der Erzählung sprechen die
Belege. Die Erzählung würde aber einen weit größeren Eindruck machen
und dadurch weit mehr zum Nachdenken anregen, wenn sie nicht so viel
Kenntnisse voraussetzte, die einer SpezialWissenschaft angehören, nämlich der
Kirchengeschichte und dem Kirchenrecht; und doch wollte der Verfasser sich nur
an das nichtgelehrte Publikum wenden. Aber was weiß dieses z. B. von
pseudo-ifidorischen Decretalen oder von Febronius. In der neueren halv
oder ganz populären Kirchenrechtsliteratur ist dieser Gegenstand und andere
ähnliche freilich oft genug mehr oder minder ausführlich berührt worden, und
dem Verfasser, der an dieser Literatur schwerlich unbetheiligt ist, mögen die¬
selben zum Ueberdruß gegenwärtig sein. Schreibt man aber gemeinverständ¬
lich in dem allein berechtigten Sinne, so darf man keine technischen Vorstel¬
lungen voraussetzen, sondern darf sich die Mühe nicht verdrießen lassen, alles
Derartige von neuem wieder zu vergegenwärtigen. Weitläufigkeit und pedan¬
tischen Ton dabei zu vermeiden, giebt es ja artige Kunstgriffe genug. Sie
bilden das unerläßliche Handwerkszeug des gemeinverständlichen Schrift¬
stellers.

Nun aber der Ausstellungen genug, und zu dem quoä tabula cioevt.

Der Verfasser weist in kurzen Zügen nach, wie und warum die ersten
allgemeinen Concilien unter dem wesentlichen Einfluß der oströmischen Kaiser
nicht nur zu Stande, sondern auch zu jedem ihrer wichtigen Akte kamen. Er er¬
zählt dann, durch welche Umstände, Usurpationen und Fälschungen die Allein¬
gewalt des Papstes auch über die Concilien eine Zeitlang zum System er¬
hoben werden wollte, wie aber die Natur der Sache, d. h, die unausweich¬
liche Nothwendigkeit sich alsbald wieder geltend machte, den natürlichen Ver¬
tretern des Laienstandes, d. i. der weltlichen Obrigkeit und der weltlichen
Wissenschaft die ihnen gebührende Mitwirkung für die Veranstaltung und
für die Beschlüsse der Concilien einzuräumen. Das vatikanische Concil stellt
sich demnach als eine Neuerung dar, der gegenüber die europäischen Staaten
noch immer in der Lage sind, die Frage aufzuwerfen, ob sie die Neuerung
als rechtmäßig hinnehmen dürfen und hinzunehmen gut thun.

Der Frage nach der rechtmäßigen Beschaffenheit der allgemeinen Con¬
cilien in Bezug auf Berufung, Zusammensetzung und die Grenzen ihrer Ge¬
walt ist eine der nicht zu wenigen Waffen, durch deren Handhabung die
europäischen Staaten befugt sind, sich gegen die Wirksamkeit der jesuitisch-
curialistischen Usurpationen zu schützen. Eine andere derartige Waffe ist be¬
kanntlich die Regelung der Papstwahl. Welche dieser Waffen, ob ihrer alle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192887"/>
          <p xml:id="ID_231" prev="#ID_230"> stattet sogar, dem Leser Kopfzerbrechen oder einige Verstandesanstrengung zuzu-<lb/>
muthen, und das ist der Weg, auf dem die Bücher der oben erwähnten vorzüglichen<lb/>
Gattung zu Stande kommen können. Unser Verfasser berichtet nichts, was nicht<lb/>
leicht zu begreifen wäre, und für die Richtigkeit der Erzählung sprechen die<lb/>
Belege. Die Erzählung würde aber einen weit größeren Eindruck machen<lb/>
und dadurch weit mehr zum Nachdenken anregen, wenn sie nicht so viel<lb/>
Kenntnisse voraussetzte, die einer SpezialWissenschaft angehören, nämlich der<lb/>
Kirchengeschichte und dem Kirchenrecht; und doch wollte der Verfasser sich nur<lb/>
an das nichtgelehrte Publikum wenden. Aber was weiß dieses z. B. von<lb/>
pseudo-ifidorischen Decretalen oder von Febronius. In der neueren halv<lb/>
oder ganz populären Kirchenrechtsliteratur ist dieser Gegenstand und andere<lb/>
ähnliche freilich oft genug mehr oder minder ausführlich berührt worden, und<lb/>
dem Verfasser, der an dieser Literatur schwerlich unbetheiligt ist, mögen die¬<lb/>
selben zum Ueberdruß gegenwärtig sein. Schreibt man aber gemeinverständ¬<lb/>
lich in dem allein berechtigten Sinne, so darf man keine technischen Vorstel¬<lb/>
lungen voraussetzen, sondern darf sich die Mühe nicht verdrießen lassen, alles<lb/>
Derartige von neuem wieder zu vergegenwärtigen. Weitläufigkeit und pedan¬<lb/>
tischen Ton dabei zu vermeiden, giebt es ja artige Kunstgriffe genug. Sie<lb/>
bilden das unerläßliche Handwerkszeug des gemeinverständlichen Schrift¬<lb/>
stellers.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_232"> Nun aber der Ausstellungen genug, und zu dem quoä tabula cioevt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_233"> Der Verfasser weist in kurzen Zügen nach, wie und warum die ersten<lb/>
allgemeinen Concilien unter dem wesentlichen Einfluß der oströmischen Kaiser<lb/>
nicht nur zu Stande, sondern auch zu jedem ihrer wichtigen Akte kamen. Er er¬<lb/>
zählt dann, durch welche Umstände, Usurpationen und Fälschungen die Allein¬<lb/>
gewalt des Papstes auch über die Concilien eine Zeitlang zum System er¬<lb/>
hoben werden wollte, wie aber die Natur der Sache, d. h, die unausweich¬<lb/>
liche Nothwendigkeit sich alsbald wieder geltend machte, den natürlichen Ver¬<lb/>
tretern des Laienstandes, d. i. der weltlichen Obrigkeit und der weltlichen<lb/>
Wissenschaft die ihnen gebührende Mitwirkung für die Veranstaltung und<lb/>
für die Beschlüsse der Concilien einzuräumen. Das vatikanische Concil stellt<lb/>
sich demnach als eine Neuerung dar, der gegenüber die europäischen Staaten<lb/>
noch immer in der Lage sind, die Frage aufzuwerfen, ob sie die Neuerung<lb/>
als rechtmäßig hinnehmen dürfen und hinzunehmen gut thun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_234" next="#ID_235"> Der Frage nach der rechtmäßigen Beschaffenheit der allgemeinen Con¬<lb/>
cilien in Bezug auf Berufung, Zusammensetzung und die Grenzen ihrer Ge¬<lb/>
walt ist eine der nicht zu wenigen Waffen, durch deren Handhabung die<lb/>
europäischen Staaten befugt sind, sich gegen die Wirksamkeit der jesuitisch-<lb/>
curialistischen Usurpationen zu schützen. Eine andere derartige Waffe ist be¬<lb/>
kanntlich die Regelung der Papstwahl. Welche dieser Waffen, ob ihrer alle</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0084] stattet sogar, dem Leser Kopfzerbrechen oder einige Verstandesanstrengung zuzu- muthen, und das ist der Weg, auf dem die Bücher der oben erwähnten vorzüglichen Gattung zu Stande kommen können. Unser Verfasser berichtet nichts, was nicht leicht zu begreifen wäre, und für die Richtigkeit der Erzählung sprechen die Belege. Die Erzählung würde aber einen weit größeren Eindruck machen und dadurch weit mehr zum Nachdenken anregen, wenn sie nicht so viel Kenntnisse voraussetzte, die einer SpezialWissenschaft angehören, nämlich der Kirchengeschichte und dem Kirchenrecht; und doch wollte der Verfasser sich nur an das nichtgelehrte Publikum wenden. Aber was weiß dieses z. B. von pseudo-ifidorischen Decretalen oder von Febronius. In der neueren halv oder ganz populären Kirchenrechtsliteratur ist dieser Gegenstand und andere ähnliche freilich oft genug mehr oder minder ausführlich berührt worden, und dem Verfasser, der an dieser Literatur schwerlich unbetheiligt ist, mögen die¬ selben zum Ueberdruß gegenwärtig sein. Schreibt man aber gemeinverständ¬ lich in dem allein berechtigten Sinne, so darf man keine technischen Vorstel¬ lungen voraussetzen, sondern darf sich die Mühe nicht verdrießen lassen, alles Derartige von neuem wieder zu vergegenwärtigen. Weitläufigkeit und pedan¬ tischen Ton dabei zu vermeiden, giebt es ja artige Kunstgriffe genug. Sie bilden das unerläßliche Handwerkszeug des gemeinverständlichen Schrift¬ stellers. Nun aber der Ausstellungen genug, und zu dem quoä tabula cioevt. Der Verfasser weist in kurzen Zügen nach, wie und warum die ersten allgemeinen Concilien unter dem wesentlichen Einfluß der oströmischen Kaiser nicht nur zu Stande, sondern auch zu jedem ihrer wichtigen Akte kamen. Er er¬ zählt dann, durch welche Umstände, Usurpationen und Fälschungen die Allein¬ gewalt des Papstes auch über die Concilien eine Zeitlang zum System er¬ hoben werden wollte, wie aber die Natur der Sache, d. h, die unausweich¬ liche Nothwendigkeit sich alsbald wieder geltend machte, den natürlichen Ver¬ tretern des Laienstandes, d. i. der weltlichen Obrigkeit und der weltlichen Wissenschaft die ihnen gebührende Mitwirkung für die Veranstaltung und für die Beschlüsse der Concilien einzuräumen. Das vatikanische Concil stellt sich demnach als eine Neuerung dar, der gegenüber die europäischen Staaten noch immer in der Lage sind, die Frage aufzuwerfen, ob sie die Neuerung als rechtmäßig hinnehmen dürfen und hinzunehmen gut thun. Der Frage nach der rechtmäßigen Beschaffenheit der allgemeinen Con¬ cilien in Bezug auf Berufung, Zusammensetzung und die Grenzen ihrer Ge¬ walt ist eine der nicht zu wenigen Waffen, durch deren Handhabung die europäischen Staaten befugt sind, sich gegen die Wirksamkeit der jesuitisch- curialistischen Usurpationen zu schützen. Eine andere derartige Waffe ist be¬ kanntlich die Regelung der Papstwahl. Welche dieser Waffen, ob ihrer alle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/84
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/84>, abgerufen am 06.02.2025.