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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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hart vor mir einen Bau hoher, steiler Berge, gekleidet in erfrischendes Grün
und gespalten durch tiefe, kühle, kluftartige Thäler, und in der Front die
großartige Fläche des Oceans, in der Nähe des Gestades ein glänzendes,
durchsichtiges Grün, eingefaßt und begrenzt von einer langen weißen Linie
schaumigen Gischts, der gegen das Riff prallte, und weiter draußen das dun¬
kelblaue Wasser der tiefen See, gesprenkelt mit weißen Wellenkämmen, und
ganz draußen am fernen Horizont ein einzelnes, einsames Segel -- ein blo¬
ßer Accentstrich, um eine schläfrige Stille und eine Wüste zu betonen, die
ohne Laut und ohne Grenze waren. Als die Sonne sank -- der einzige
Eindringling von andern Gebieten und eine stete Erinnerung an sie -- war
es eine verzuckerte Wonne, in der durchdufteten Luft zu sitzen und zu ver¬
gessen, daß es noch eine andere Welt als diese zauberhaften Eilande gab.

Es war so überaus köstlich, zu träumen und weiter zu träumen, bis
man auf einmal einen Biß spürte. Es war ein Scorpionenbiß. Dann war
die erste Pflicht, aus dem Grase aufzuspringen und den giftigen Burschen
todt zu treten, und die nächste, die verwundete Stelle mit Alkohol oder Cog¬
nac zu baden, und die dritte, den Entschluß zu fassen, sich künftig nicht wie¬
der ins Gras zu setzen. Dann kam der Rückzug in die Schlafkammer und
das Vergnügen, mit der einen Hand die Erlebnisse des Tages niederzuschrei¬
ben und mit der andern die Moskitos zu vertilgen -- eine ganze Gemeinde
auf einen Schlag. Dann merke ich, wie ein schlimmerer Feind sich heran¬
macht, eine haarige Tarantel auf Stelzen, und warum nicht gleich den Spuck"
napf auf sie setzen ? Es ist geschehen, und die weit hervortretenden Spitzen ihrer
Krallen geben eine lichtvolle Andeutung, wie weit sie reichen konnte. Dann
zu Bett und zur Promenade für einen Tausendfuß geworden mit zweiund-
vierzig Beinen auf jeder Seite, von denen jeder genug giftige Hitze in sich
hat, um durch ein Stück Rindsleber ein Loch zu brennen. Noch mehr Ein¬
reibung mit Alkohol, und der Beschluß, ins Künftige das Bett zu unter¬
suchen, bevor wir hineinsteigen. Dann gewartet und gelitten, bis alle Mos¬
kitos der Nachbarschaft unter dem Laden hereingekrochen sind, dann rasch
hinausgehuscht, sie eingesperrt und friedlich auf der Diele geschlafen bis zum
Morgen. Inzwischen ist's tröstlich, die Tropen in gelegentlichen wachen Pausen
zu vermaledeien. Wir hatten in Honolulu natürlich Obst in Fülle. Orangen,
Ananas, Bananen, Erdbeereen, Citronen, Mangoes, Guaven, Melonen und
eine seltene äußerst köstliche Frucht, die sogenannte Chirinoya, welche die De-
licatheit selbst ist. Dann hat man da die Tamarinde. Ich dachte, die Tama¬
rinden wären zum Essen gemacht, aber das war vermuthlich nicht die Ab¬
sicht. Ich verspeiste mehrere, und es kam mir vor, als ob sie dieses Jahr
ziemlich sauer wären. Meine Lippen sprangen davon auf, bis sie wie das
untere Ende eines Liebesapfels aussahen, und ich mußte meine Nahrung vier-


hart vor mir einen Bau hoher, steiler Berge, gekleidet in erfrischendes Grün
und gespalten durch tiefe, kühle, kluftartige Thäler, und in der Front die
großartige Fläche des Oceans, in der Nähe des Gestades ein glänzendes,
durchsichtiges Grün, eingefaßt und begrenzt von einer langen weißen Linie
schaumigen Gischts, der gegen das Riff prallte, und weiter draußen das dun¬
kelblaue Wasser der tiefen See, gesprenkelt mit weißen Wellenkämmen, und
ganz draußen am fernen Horizont ein einzelnes, einsames Segel — ein blo¬
ßer Accentstrich, um eine schläfrige Stille und eine Wüste zu betonen, die
ohne Laut und ohne Grenze waren. Als die Sonne sank — der einzige
Eindringling von andern Gebieten und eine stete Erinnerung an sie — war
es eine verzuckerte Wonne, in der durchdufteten Luft zu sitzen und zu ver¬
gessen, daß es noch eine andere Welt als diese zauberhaften Eilande gab.

Es war so überaus köstlich, zu träumen und weiter zu träumen, bis
man auf einmal einen Biß spürte. Es war ein Scorpionenbiß. Dann war
die erste Pflicht, aus dem Grase aufzuspringen und den giftigen Burschen
todt zu treten, und die nächste, die verwundete Stelle mit Alkohol oder Cog¬
nac zu baden, und die dritte, den Entschluß zu fassen, sich künftig nicht wie¬
der ins Gras zu setzen. Dann kam der Rückzug in die Schlafkammer und
das Vergnügen, mit der einen Hand die Erlebnisse des Tages niederzuschrei¬
ben und mit der andern die Moskitos zu vertilgen — eine ganze Gemeinde
auf einen Schlag. Dann merke ich, wie ein schlimmerer Feind sich heran¬
macht, eine haarige Tarantel auf Stelzen, und warum nicht gleich den Spuck»
napf auf sie setzen ? Es ist geschehen, und die weit hervortretenden Spitzen ihrer
Krallen geben eine lichtvolle Andeutung, wie weit sie reichen konnte. Dann
zu Bett und zur Promenade für einen Tausendfuß geworden mit zweiund-
vierzig Beinen auf jeder Seite, von denen jeder genug giftige Hitze in sich
hat, um durch ein Stück Rindsleber ein Loch zu brennen. Noch mehr Ein¬
reibung mit Alkohol, und der Beschluß, ins Künftige das Bett zu unter¬
suchen, bevor wir hineinsteigen. Dann gewartet und gelitten, bis alle Mos¬
kitos der Nachbarschaft unter dem Laden hereingekrochen sind, dann rasch
hinausgehuscht, sie eingesperrt und friedlich auf der Diele geschlafen bis zum
Morgen. Inzwischen ist's tröstlich, die Tropen in gelegentlichen wachen Pausen
zu vermaledeien. Wir hatten in Honolulu natürlich Obst in Fülle. Orangen,
Ananas, Bananen, Erdbeereen, Citronen, Mangoes, Guaven, Melonen und
eine seltene äußerst köstliche Frucht, die sogenannte Chirinoya, welche die De-
licatheit selbst ist. Dann hat man da die Tamarinde. Ich dachte, die Tama¬
rinden wären zum Essen gemacht, aber das war vermuthlich nicht die Ab¬
sicht. Ich verspeiste mehrere, und es kam mir vor, als ob sie dieses Jahr
ziemlich sauer wären. Meine Lippen sprangen davon auf, bis sie wie das
untere Ende eines Liebesapfels aussahen, und ich mußte meine Nahrung vier-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/66>, abgerufen am 06.02.2025.