Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.uialsten Köpfen, den feinst gebildeten und wohlhabendsten Elementen der Na¬ Dem geistigen Leben, wie es in Paris zur Erscheinung gelangt, hat Hille¬ In schroffem Gegensatz zu der nüchternen Verständigkeit des französischen uialsten Köpfen, den feinst gebildeten und wohlhabendsten Elementen der Na¬ Dem geistigen Leben, wie es in Paris zur Erscheinung gelangt, hat Hille¬ In schroffem Gegensatz zu der nüchternen Verständigkeit des französischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192864"/> <p xml:id="ID_158" prev="#ID_157"> uialsten Köpfen, den feinst gebildeten und wohlhabendsten Elementen der Na¬<lb/> tion zusammengesetzten, jener so außerordentlich bewegten, an den besten<lb/> Reizen des geselligen Lebens so überreichen Gesellschaft, welche man als<lb/> Wut bezeichnet. Hillebrand unterläßt nicht, des Näheren auszuführen,<lb/> warum Berlin keine ähnliche Gesellschaft besitzt. In der That, unsere Haupt¬<lb/> stadt hat nicht das Zeug dazu und wird es auch nicht haben. Nichts wäre<lb/> thörichter — und doch sieht man in Berlin hie und da Anläufe dazu! —,<lb/> als Paris in diesem Punkte nachäffen 'zu wollen. Der Deutsche ist nun<lb/> einmal kein Franzose. Bescheiden wir uns dabei; wir werden es, denken wir,<lb/> nicht zu bereuen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_159"> Dem geistigen Leben, wie es in Paris zur Erscheinung gelangt, hat Hille¬<lb/> brand einen besonderen Abschnitt gewidmet. Natürlich kann er im Vergleich<lb/> zu den Glanzperioden der französischen Literatur, selbst zu der ersten Hälfte<lb/> unseres Jahrhunderts, zu der Blüthezeit der Cousin, Thiers, Guizot, Lamar¬<lb/> tine, Hugo u. s. w. nur den Verfall constatiren. Die ernsten Geisteserzeug¬<lb/> nisse Frankreichs unserer Tage bezeichnet unser Verfasser, trotz ihrer geschickten<lb/> Mache, trotz ihrer glänzenden, zuweilen vollendet schönen Diction, im Allgemeinen<lb/> mit Recht als eine wahre Literatur der Impotenz. Unbestrittene Meister¬<lb/> schaft aber bekunden die Franzosen in jenem Genre, welches durch die fa¬<lb/> mose „presse litteraire« des zweiten Kaiserreichs recht eigentlich zu ihrem<lb/> Lebenselement herausgebildet worden ist, in der Unterhaltungsliteratur. Frei¬<lb/> lich ist das leichte Waare, die den Tag kaum überlebt. Dasselbe gilt auch<lb/> von dem modernen französischen Drama. Da ist klangvolle, fließende Sprache,<lb/> geistreicher, lebendiger Dialog, anmuthige Form, aber absolut kein innerer<lb/> Werth. „Die neue Komödie", urtheilt Hillebrand, „stellt ungesunde, ganz<lb/> ausnahmsweise Verhältnisse dar und betrachtet sie unier dem Lichte der all¬<lb/> gemein giltigen Grundsätze, daher die doppelte Faulheit dieser ganzen Literatur<lb/> und ihre doppelte Lüge. Da ihr aber meist nicht allein Gesundheit und Wahrheit<lb/> fehlen, da auch beinahe immer Phantasie, Poesie und Heiterkeit daraus ver¬<lb/> bannt sind, so ist eine Waare entstanden, die durchaus unfähig ist, die Mode<lb/> zu überdauern/' —</p><lb/> <p xml:id="ID_160" next="#ID_161"> In schroffem Gegensatz zu der nüchternen Verständigkeit des französischen<lb/> Privat-, resp. Gesellschaftslebens steht die Leidenschaftlichkeit des politischen<lb/> Lebens. Es ist die uralte gallische Natur, welche in diesen Dingen immer<lb/> wieder zum Durchbruch gelangt. In geistvoller Weise leitet unser Verfasser<lb/> das demokratische Staatsideal der modernen Franzosen aus den keltischen<lb/> Charaktereigenschaften des Neides, der Gleichheitssucht, der Unfähigkeit, sich<lb/> hervorragenden Persönlichkeiten unterzuordnen, her. Und trotz dieser allge¬<lb/> meinen Herrschsucht scheut sich doch Jeder, eine polirische Verantwortung zu<lb/> übernehmen; kritisiren, frondiren, revolutioniren, das sind die Grundzüge</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0061]
uialsten Köpfen, den feinst gebildeten und wohlhabendsten Elementen der Na¬
tion zusammengesetzten, jener so außerordentlich bewegten, an den besten
Reizen des geselligen Lebens so überreichen Gesellschaft, welche man als
Wut bezeichnet. Hillebrand unterläßt nicht, des Näheren auszuführen,
warum Berlin keine ähnliche Gesellschaft besitzt. In der That, unsere Haupt¬
stadt hat nicht das Zeug dazu und wird es auch nicht haben. Nichts wäre
thörichter — und doch sieht man in Berlin hie und da Anläufe dazu! —,
als Paris in diesem Punkte nachäffen 'zu wollen. Der Deutsche ist nun
einmal kein Franzose. Bescheiden wir uns dabei; wir werden es, denken wir,
nicht zu bereuen haben.
Dem geistigen Leben, wie es in Paris zur Erscheinung gelangt, hat Hille¬
brand einen besonderen Abschnitt gewidmet. Natürlich kann er im Vergleich
zu den Glanzperioden der französischen Literatur, selbst zu der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts, zu der Blüthezeit der Cousin, Thiers, Guizot, Lamar¬
tine, Hugo u. s. w. nur den Verfall constatiren. Die ernsten Geisteserzeug¬
nisse Frankreichs unserer Tage bezeichnet unser Verfasser, trotz ihrer geschickten
Mache, trotz ihrer glänzenden, zuweilen vollendet schönen Diction, im Allgemeinen
mit Recht als eine wahre Literatur der Impotenz. Unbestrittene Meister¬
schaft aber bekunden die Franzosen in jenem Genre, welches durch die fa¬
mose „presse litteraire« des zweiten Kaiserreichs recht eigentlich zu ihrem
Lebenselement herausgebildet worden ist, in der Unterhaltungsliteratur. Frei¬
lich ist das leichte Waare, die den Tag kaum überlebt. Dasselbe gilt auch
von dem modernen französischen Drama. Da ist klangvolle, fließende Sprache,
geistreicher, lebendiger Dialog, anmuthige Form, aber absolut kein innerer
Werth. „Die neue Komödie", urtheilt Hillebrand, „stellt ungesunde, ganz
ausnahmsweise Verhältnisse dar und betrachtet sie unier dem Lichte der all¬
gemein giltigen Grundsätze, daher die doppelte Faulheit dieser ganzen Literatur
und ihre doppelte Lüge. Da ihr aber meist nicht allein Gesundheit und Wahrheit
fehlen, da auch beinahe immer Phantasie, Poesie und Heiterkeit daraus ver¬
bannt sind, so ist eine Waare entstanden, die durchaus unfähig ist, die Mode
zu überdauern/' —
In schroffem Gegensatz zu der nüchternen Verständigkeit des französischen
Privat-, resp. Gesellschaftslebens steht die Leidenschaftlichkeit des politischen
Lebens. Es ist die uralte gallische Natur, welche in diesen Dingen immer
wieder zum Durchbruch gelangt. In geistvoller Weise leitet unser Verfasser
das demokratische Staatsideal der modernen Franzosen aus den keltischen
Charaktereigenschaften des Neides, der Gleichheitssucht, der Unfähigkeit, sich
hervorragenden Persönlichkeiten unterzuordnen, her. Und trotz dieser allge¬
meinen Herrschsucht scheut sich doch Jeder, eine polirische Verantwortung zu
übernehmen; kritisiren, frondiren, revolutioniren, das sind die Grundzüge
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |