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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Das Recht der Biographie steht unter den Zeitgenossen nur der näheren Um¬
gebung zu. Bei politischen Größen ist ohnedieß das rein persönliche Moment
minder wichtig, als etwa bei Künstlern, Dichtern und Regenten. Je höher
ein Politiker steht, desto mehr tritt das Privatleben in der Erscheinung zurück;
wenn wir auch fast immer, und bei Waldeck nicht am wenigsten, annehmen
dürfen, daß in der Fülle des individuellen Lebens, in dem Reichthum inniger
Wechselbeziehungen, in dem lebhaften poetischen Antheil an allen höheren und
niederen Kundgebungen des Volksthums der Herzensdrang und die Seelen¬
stärke wurzeln, welche den rechten politischen Menschen machen."

Und dennoch -- obwohl dem Werke Oppenheim's der farbige Hauch
persönlich-biographischer Mittheilungen fehlt, wird es jeder nur mit höchstem
Genusse lesen von Anfang bis zu Ende. Denn Waldeck ist in eminenten
Sinne, zugleich nach den Vorzügen und Schwächen, ein rexresentativo man
seiner Tage, der Zeit in der er Mann geworden ist und zuerst politisch han¬
delnd auftrat, vornehmlich der Jahre der Revolution. Auch diese hat Oppen¬
heim mit großer Klarheit erkannt und ausgesprochen. "Indem wir an
Waldeck's Seite die Entwickelung der bewegenden Gedanken von 1848 durch
die Phasen der preußischen Verfassungskämpfe verfolgen", sagt er, "können
wir keinem zuverlässigeren Geleitsmann uns anvertrauen. Um die Principien
zu prüfen, nehmen wir ihren entschiedensten und begabtesten Vertreter, den,
der sie am reichsten und kräftigsten vertrat. Denn gerade weil er das war,
darum traten auch gewisse Einseitigkeiten bei ihm am stärksten und deutlichsten
hervor." Und auch darin pflichten wir ihm bei, wenn er am Schlüsse seines
Werkes über seinen Helden das zusammenfassende Urtheil fällt: "Waldeck
unterschied sich stets in vielen Beziehungen günstig von der abstracten Schule
der Rotteck-Welcker'schen Selbstgewißheit der Flachheit, welche wesentlich in der
Kleinstaaterei gedieh, eben dadurch, daß er in einem wirklichen Staate mit
dem Bewußtsein, einem großen, historisch-werdenden Staate anzugehören, sich
entwickelt hatte. Der Politiker wie der Mensch war von streng sittlichen
Grundsätzen getragen und gehoben. Er trat fertig, fast zu fertig, in die po¬
litische Arena; er gab sein Ganzes gleich im Anfang und war uns darum
auch in seinen Anfängen am wichtigsten." Damit ist der Punkt angedeutet,
welcher der unmittelbaren Gegenwart dieses Buch so hochinteressant macht.
In Waldeck ist am charakteristischsten ausgeprägt der beharrliche Stillstand,
der die sogenannte Fortschrittspartei auszeichnet. Er und seine Partei stehen
inmitten der bewegten Gegenwart durchaus aus dem Boden vergangener
Traditionen. Er stimmt gegen den Norddeutschen Bund, gegen die Bundes¬
verfassung, gegen das oberste Handelsgericht, u. s. w. und mit ihm die
Mehrzahl seiner Partei. Waldeck hatte eine gewisse Berechtigung dazu, denn


Das Recht der Biographie steht unter den Zeitgenossen nur der näheren Um¬
gebung zu. Bei politischen Größen ist ohnedieß das rein persönliche Moment
minder wichtig, als etwa bei Künstlern, Dichtern und Regenten. Je höher
ein Politiker steht, desto mehr tritt das Privatleben in der Erscheinung zurück;
wenn wir auch fast immer, und bei Waldeck nicht am wenigsten, annehmen
dürfen, daß in der Fülle des individuellen Lebens, in dem Reichthum inniger
Wechselbeziehungen, in dem lebhaften poetischen Antheil an allen höheren und
niederen Kundgebungen des Volksthums der Herzensdrang und die Seelen¬
stärke wurzeln, welche den rechten politischen Menschen machen."

Und dennoch — obwohl dem Werke Oppenheim's der farbige Hauch
persönlich-biographischer Mittheilungen fehlt, wird es jeder nur mit höchstem
Genusse lesen von Anfang bis zu Ende. Denn Waldeck ist in eminenten
Sinne, zugleich nach den Vorzügen und Schwächen, ein rexresentativo man
seiner Tage, der Zeit in der er Mann geworden ist und zuerst politisch han¬
delnd auftrat, vornehmlich der Jahre der Revolution. Auch diese hat Oppen¬
heim mit großer Klarheit erkannt und ausgesprochen. „Indem wir an
Waldeck's Seite die Entwickelung der bewegenden Gedanken von 1848 durch
die Phasen der preußischen Verfassungskämpfe verfolgen", sagt er, „können
wir keinem zuverlässigeren Geleitsmann uns anvertrauen. Um die Principien
zu prüfen, nehmen wir ihren entschiedensten und begabtesten Vertreter, den,
der sie am reichsten und kräftigsten vertrat. Denn gerade weil er das war,
darum traten auch gewisse Einseitigkeiten bei ihm am stärksten und deutlichsten
hervor." Und auch darin pflichten wir ihm bei, wenn er am Schlüsse seines
Werkes über seinen Helden das zusammenfassende Urtheil fällt: „Waldeck
unterschied sich stets in vielen Beziehungen günstig von der abstracten Schule
der Rotteck-Welcker'schen Selbstgewißheit der Flachheit, welche wesentlich in der
Kleinstaaterei gedieh, eben dadurch, daß er in einem wirklichen Staate mit
dem Bewußtsein, einem großen, historisch-werdenden Staate anzugehören, sich
entwickelt hatte. Der Politiker wie der Mensch war von streng sittlichen
Grundsätzen getragen und gehoben. Er trat fertig, fast zu fertig, in die po¬
litische Arena; er gab sein Ganzes gleich im Anfang und war uns darum
auch in seinen Anfängen am wichtigsten." Damit ist der Punkt angedeutet,
welcher der unmittelbaren Gegenwart dieses Buch so hochinteressant macht.
In Waldeck ist am charakteristischsten ausgeprägt der beharrliche Stillstand,
der die sogenannte Fortschrittspartei auszeichnet. Er und seine Partei stehen
inmitten der bewegten Gegenwart durchaus aus dem Boden vergangener
Traditionen. Er stimmt gegen den Norddeutschen Bund, gegen die Bundes¬
verfassung, gegen das oberste Handelsgericht, u. s. w. und mit ihm die
Mehrzahl seiner Partei. Waldeck hatte eine gewisse Berechtigung dazu, denn


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[0526] Das Recht der Biographie steht unter den Zeitgenossen nur der näheren Um¬ gebung zu. Bei politischen Größen ist ohnedieß das rein persönliche Moment minder wichtig, als etwa bei Künstlern, Dichtern und Regenten. Je höher ein Politiker steht, desto mehr tritt das Privatleben in der Erscheinung zurück; wenn wir auch fast immer, und bei Waldeck nicht am wenigsten, annehmen dürfen, daß in der Fülle des individuellen Lebens, in dem Reichthum inniger Wechselbeziehungen, in dem lebhaften poetischen Antheil an allen höheren und niederen Kundgebungen des Volksthums der Herzensdrang und die Seelen¬ stärke wurzeln, welche den rechten politischen Menschen machen." Und dennoch — obwohl dem Werke Oppenheim's der farbige Hauch persönlich-biographischer Mittheilungen fehlt, wird es jeder nur mit höchstem Genusse lesen von Anfang bis zu Ende. Denn Waldeck ist in eminenten Sinne, zugleich nach den Vorzügen und Schwächen, ein rexresentativo man seiner Tage, der Zeit in der er Mann geworden ist und zuerst politisch han¬ delnd auftrat, vornehmlich der Jahre der Revolution. Auch diese hat Oppen¬ heim mit großer Klarheit erkannt und ausgesprochen. „Indem wir an Waldeck's Seite die Entwickelung der bewegenden Gedanken von 1848 durch die Phasen der preußischen Verfassungskämpfe verfolgen", sagt er, „können wir keinem zuverlässigeren Geleitsmann uns anvertrauen. Um die Principien zu prüfen, nehmen wir ihren entschiedensten und begabtesten Vertreter, den, der sie am reichsten und kräftigsten vertrat. Denn gerade weil er das war, darum traten auch gewisse Einseitigkeiten bei ihm am stärksten und deutlichsten hervor." Und auch darin pflichten wir ihm bei, wenn er am Schlüsse seines Werkes über seinen Helden das zusammenfassende Urtheil fällt: „Waldeck unterschied sich stets in vielen Beziehungen günstig von der abstracten Schule der Rotteck-Welcker'schen Selbstgewißheit der Flachheit, welche wesentlich in der Kleinstaaterei gedieh, eben dadurch, daß er in einem wirklichen Staate mit dem Bewußtsein, einem großen, historisch-werdenden Staate anzugehören, sich entwickelt hatte. Der Politiker wie der Mensch war von streng sittlichen Grundsätzen getragen und gehoben. Er trat fertig, fast zu fertig, in die po¬ litische Arena; er gab sein Ganzes gleich im Anfang und war uns darum auch in seinen Anfängen am wichtigsten." Damit ist der Punkt angedeutet, welcher der unmittelbaren Gegenwart dieses Buch so hochinteressant macht. In Waldeck ist am charakteristischsten ausgeprägt der beharrliche Stillstand, der die sogenannte Fortschrittspartei auszeichnet. Er und seine Partei stehen inmitten der bewegten Gegenwart durchaus aus dem Boden vergangener Traditionen. Er stimmt gegen den Norddeutschen Bund, gegen die Bundes¬ verfassung, gegen das oberste Handelsgericht, u. s. w. und mit ihm die Mehrzahl seiner Partei. Waldeck hatte eine gewisse Berechtigung dazu, denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/526>, abgerufen am 06.02.2025.