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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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In letzterem Sinne äußerten sich übereinstimmend die Herren Pache-Zittau,
Biedermann-Leipzig, Duncker-Berlin.

Zu einer Abstimmung kam es nicht, vielmehr ward der Antrag zur Vor¬
berathung für die nächste Generalversammlung an eine Commission verwiesen.
Fast ohne Debatte wurden dann folgende Anträge der Herren Dr. Leibing,
Gerold-Leipzig, und Weyl-Frankfurt angenommen:


"In Erwägung, daß in das Budget des preußischen Unterrichtsministeriums
für 1874 die für die Unterstützung obligatorischer gewerblicher Fortbildungsschulen
in der ganzen preußischen Monarchie erforderliche Summe aufgenommen werden
solle, fordert der Centralausschuß alle seine persönlichen und körperschaftlichen Mit¬
glieder auf, 1) in ganz Preußen an ihren Orten ungesäumt die nöthigen Schritte
zur Einrichtung solcher Schulen zu thun, 2) in allen andern deutschen Staaten für
Ergreifung und Durchführung gleicher Maßregeln einzutreten."

und ferner:


"Es ist dahin zu wirken, daß in dem in Aussicht stehenden preußischen Unter¬
richtsgesetz die Fortbildungsschule als obligatorisches Institut aufgenommen werde."

Damit schlössen die Verhandlungen des ersten Tages, an welche sich ein
durch zahlreiche Toaste belebtes Festmahl anschloß.

Am zweiten Tage brachte Professor Dr. Schmidt-Schwarzenberg aus Er¬
langen eine sehr wichtige Frage zur Verhandlung, nämlich, wie der Ver¬
wahrlosung der Kinder, namentlich aus den untern Klassen außerhalb der
Schulzeit zweckmäßig vorzubeugen sei. In Erlangen hat sich ein Verein ge¬
bildet, der in einer besonderen Anstalt sich der sittlichen und geistigen Pflege
solcher Kinder annimmt, die von den Ihrigen vernachlässigt werden. Die
Kinder erhalten daselbst Brod, auch wenn nöthig Kleider, machen ihre Schul-
arbeiten unter Aufsicht, werden aber auch spazieren geführt und dabei unter¬
richtet. Die Anstalt steht unter Leitung eines tüchtigen für die Sache be¬
geisterten Schulmannes. Die Kinder in der Anstalt unterscheiden sich vor¬
theilhaft von den "Gassenbuben". Der Gedanke fand allseitig Anklang und
der zu seiner Verwirklichung gemachte Anfang Anerkennung. Von zwei Sei¬
ten her (Lehrer Pösche-Rummelsburg und Professor Biedermann-Leipzig) ward
daran erinnert, wie schon vorlängst durch Wehrli in der Schweiz, ferner durch
die große Anstalt zu Ruysselede in Belgien, hier und da auch in Deutschland
für die sittliche und geistige Hebung verwahrloster oder alleinstehender Kinder er¬
folgreich gewirkt worden sei durch die sog. Erziehung zur Arbeit d. h. die
Betreibung von allerhand technisch-mechanischen Beschäftigungen (Gartenbau,
Flechten. Drechseln u. s. w.), durch welche nicht nur Hand und Auge geübt,
sondern auch der Ordnungssinn und die Lust an der Arbeit u. s. w. gewahrt
und genährt werde. Ueber ähnliche in England gemachte Erfahrungen be¬
richtet Dr. Max Hirsch-Berlin. Lehrer Linck-Stettin würde für eine solche Er-


Grmzboten III. 1873. 64

In letzterem Sinne äußerten sich übereinstimmend die Herren Pache-Zittau,
Biedermann-Leipzig, Duncker-Berlin.

Zu einer Abstimmung kam es nicht, vielmehr ward der Antrag zur Vor¬
berathung für die nächste Generalversammlung an eine Commission verwiesen.
Fast ohne Debatte wurden dann folgende Anträge der Herren Dr. Leibing,
Gerold-Leipzig, und Weyl-Frankfurt angenommen:


„In Erwägung, daß in das Budget des preußischen Unterrichtsministeriums
für 1874 die für die Unterstützung obligatorischer gewerblicher Fortbildungsschulen
in der ganzen preußischen Monarchie erforderliche Summe aufgenommen werden
solle, fordert der Centralausschuß alle seine persönlichen und körperschaftlichen Mit¬
glieder auf, 1) in ganz Preußen an ihren Orten ungesäumt die nöthigen Schritte
zur Einrichtung solcher Schulen zu thun, 2) in allen andern deutschen Staaten für
Ergreifung und Durchführung gleicher Maßregeln einzutreten."

und ferner:


„Es ist dahin zu wirken, daß in dem in Aussicht stehenden preußischen Unter¬
richtsgesetz die Fortbildungsschule als obligatorisches Institut aufgenommen werde."

Damit schlössen die Verhandlungen des ersten Tages, an welche sich ein
durch zahlreiche Toaste belebtes Festmahl anschloß.

Am zweiten Tage brachte Professor Dr. Schmidt-Schwarzenberg aus Er¬
langen eine sehr wichtige Frage zur Verhandlung, nämlich, wie der Ver¬
wahrlosung der Kinder, namentlich aus den untern Klassen außerhalb der
Schulzeit zweckmäßig vorzubeugen sei. In Erlangen hat sich ein Verein ge¬
bildet, der in einer besonderen Anstalt sich der sittlichen und geistigen Pflege
solcher Kinder annimmt, die von den Ihrigen vernachlässigt werden. Die
Kinder erhalten daselbst Brod, auch wenn nöthig Kleider, machen ihre Schul-
arbeiten unter Aufsicht, werden aber auch spazieren geführt und dabei unter¬
richtet. Die Anstalt steht unter Leitung eines tüchtigen für die Sache be¬
geisterten Schulmannes. Die Kinder in der Anstalt unterscheiden sich vor¬
theilhaft von den „Gassenbuben". Der Gedanke fand allseitig Anklang und
der zu seiner Verwirklichung gemachte Anfang Anerkennung. Von zwei Sei¬
ten her (Lehrer Pösche-Rummelsburg und Professor Biedermann-Leipzig) ward
daran erinnert, wie schon vorlängst durch Wehrli in der Schweiz, ferner durch
die große Anstalt zu Ruysselede in Belgien, hier und da auch in Deutschland
für die sittliche und geistige Hebung verwahrloster oder alleinstehender Kinder er¬
folgreich gewirkt worden sei durch die sog. Erziehung zur Arbeit d. h. die
Betreibung von allerhand technisch-mechanischen Beschäftigungen (Gartenbau,
Flechten. Drechseln u. s. w.), durch welche nicht nur Hand und Auge geübt,
sondern auch der Ordnungssinn und die Lust an der Arbeit u. s. w. gewahrt
und genährt werde. Ueber ähnliche in England gemachte Erfahrungen be¬
richtet Dr. Max Hirsch-Berlin. Lehrer Linck-Stettin würde für eine solche Er-


Grmzboten III. 1873. 64
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[0513] In letzterem Sinne äußerten sich übereinstimmend die Herren Pache-Zittau, Biedermann-Leipzig, Duncker-Berlin. Zu einer Abstimmung kam es nicht, vielmehr ward der Antrag zur Vor¬ berathung für die nächste Generalversammlung an eine Commission verwiesen. Fast ohne Debatte wurden dann folgende Anträge der Herren Dr. Leibing, Gerold-Leipzig, und Weyl-Frankfurt angenommen: „In Erwägung, daß in das Budget des preußischen Unterrichtsministeriums für 1874 die für die Unterstützung obligatorischer gewerblicher Fortbildungsschulen in der ganzen preußischen Monarchie erforderliche Summe aufgenommen werden solle, fordert der Centralausschuß alle seine persönlichen und körperschaftlichen Mit¬ glieder auf, 1) in ganz Preußen an ihren Orten ungesäumt die nöthigen Schritte zur Einrichtung solcher Schulen zu thun, 2) in allen andern deutschen Staaten für Ergreifung und Durchführung gleicher Maßregeln einzutreten." und ferner: „Es ist dahin zu wirken, daß in dem in Aussicht stehenden preußischen Unter¬ richtsgesetz die Fortbildungsschule als obligatorisches Institut aufgenommen werde." Damit schlössen die Verhandlungen des ersten Tages, an welche sich ein durch zahlreiche Toaste belebtes Festmahl anschloß. Am zweiten Tage brachte Professor Dr. Schmidt-Schwarzenberg aus Er¬ langen eine sehr wichtige Frage zur Verhandlung, nämlich, wie der Ver¬ wahrlosung der Kinder, namentlich aus den untern Klassen außerhalb der Schulzeit zweckmäßig vorzubeugen sei. In Erlangen hat sich ein Verein ge¬ bildet, der in einer besonderen Anstalt sich der sittlichen und geistigen Pflege solcher Kinder annimmt, die von den Ihrigen vernachlässigt werden. Die Kinder erhalten daselbst Brod, auch wenn nöthig Kleider, machen ihre Schul- arbeiten unter Aufsicht, werden aber auch spazieren geführt und dabei unter¬ richtet. Die Anstalt steht unter Leitung eines tüchtigen für die Sache be¬ geisterten Schulmannes. Die Kinder in der Anstalt unterscheiden sich vor¬ theilhaft von den „Gassenbuben". Der Gedanke fand allseitig Anklang und der zu seiner Verwirklichung gemachte Anfang Anerkennung. Von zwei Sei¬ ten her (Lehrer Pösche-Rummelsburg und Professor Biedermann-Leipzig) ward daran erinnert, wie schon vorlängst durch Wehrli in der Schweiz, ferner durch die große Anstalt zu Ruysselede in Belgien, hier und da auch in Deutschland für die sittliche und geistige Hebung verwahrloster oder alleinstehender Kinder er¬ folgreich gewirkt worden sei durch die sog. Erziehung zur Arbeit d. h. die Betreibung von allerhand technisch-mechanischen Beschäftigungen (Gartenbau, Flechten. Drechseln u. s. w.), durch welche nicht nur Hand und Auge geübt, sondern auch der Ordnungssinn und die Lust an der Arbeit u. s. w. gewahrt und genährt werde. Ueber ähnliche in England gemachte Erfahrungen be¬ richtet Dr. Max Hirsch-Berlin. Lehrer Linck-Stettin würde für eine solche Er- Grmzboten III. 1873. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/513>, abgerufen am 06.02.2025.