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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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schwerlich ganz in jener Weise erfolgen werde. Wenigen werden gegenwärtig
die einschlagenden Normen und die in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse
hinreichend bekannt sein, und niemand kann leugnen, daß letztere auch von
thatsächlichen Verhältnissen durchkreuzt werden; Alle aber, welche sich mit der
Sache befaßten, selbst die strengen Anhänger des Rechts, die heftigsten Geg¬
ner einer Bevorzugung blos politischer Zweckmäßigkeitsgründe haben sich im¬
mer sagen müssen, daß noch andere Momente als die privatrechtlichen in
Betracht kommen, daß aber volle Klarheit darüber auf keiner der betheiligten
Seiten herrsche.

Ich habe in den öffentlichen Angelegenheiten Hessens allezeit aus Seiten
des Rechtes gestanden, dies kann mich aber nicht abhalten, in der ausschlie߬
lichen Betonung des Rechts in dieser Sache die höchste Unbilligkeit zu er¬
blicken.

Was ihr unzweifelhaftes Recht ist und was irgend billig, wird niemand
der hessischen Fürstenfamilie entzogen sehen wollen, gegen eine gänzliche Ueber-
tragung so außerordentlicher Mittel an die Seitenverwandten von
Regenten, die viel Unheil über ihr Land brachten, sträubt sich aber das Ge¬
fühl. Es macht den Eindruck, als ob auch die preußische Regierung sich ei¬
nes ähnlichen Gefühls oder wenigstens des Gedankens nicht habe erwehren
können, daß die Überlassung des gesammten kurfürstlich hessischen Familien-
fideieommisses an die Agnaten doch innerlich nicht gerechtfertigt sei. Dazu
wird aber als positive Grundlage einer solchen Abneigung noch die Erwä¬
gung gekommen sein, daß die Sache infolge der Ereignisse von 1866 aller¬
dings nicht mehr so einfach, daß die pure Anerkennung einer unveränderten
Fortdauer jenes Fideicommisses nicht angezeigt ist. Die preußische Regierung
hat diese ihre Absicht offenbar nicht recht zu begründen und zu formuliren
gewußt, wenigstens nicht im Drange der Geschäfte von 1866; und nachher
mag die Gelegenheit dazu gefehlt haben.

Die einzige öffentlich vorliegende Beanstandung jenes Verhältnisses,
nämlich der Fortdauer des Kurs. Hess. Hausfideicommisses in erwähnter Weise,
liegt vor in der Erklärung, welche die preußische Regierung am 12. Februar
1868 in einem Ausschusse des Abgeordnetenhauses abgab. Diese Erklärung
ging dahin: der Stettiner Vertrag mit dem Kurfürsten sei bindend abge¬
schlossen und enthalte bestimmte Rechte und Pflichten, wenngleich er nicht alle
Punkte erledige, sondern weitere Verabredungen erforderlich mache; mit den
Agnaten sei eine Vereinigung versucht, aber nicht zu Stande gekommen. Das
Eigenthum an dem Hausschatz werde von den Agnaten des Kurhauses
für die Familie und von der königl. Staatsregierung für den
Staat in Anspruch genommen; die Sache sei indeß zweifelhaft und
werde sich vielleicht zur gerichtlichen Entscheidung eignen. -- Die preußische


schwerlich ganz in jener Weise erfolgen werde. Wenigen werden gegenwärtig
die einschlagenden Normen und die in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse
hinreichend bekannt sein, und niemand kann leugnen, daß letztere auch von
thatsächlichen Verhältnissen durchkreuzt werden; Alle aber, welche sich mit der
Sache befaßten, selbst die strengen Anhänger des Rechts, die heftigsten Geg¬
ner einer Bevorzugung blos politischer Zweckmäßigkeitsgründe haben sich im¬
mer sagen müssen, daß noch andere Momente als die privatrechtlichen in
Betracht kommen, daß aber volle Klarheit darüber auf keiner der betheiligten
Seiten herrsche.

Ich habe in den öffentlichen Angelegenheiten Hessens allezeit aus Seiten
des Rechtes gestanden, dies kann mich aber nicht abhalten, in der ausschlie߬
lichen Betonung des Rechts in dieser Sache die höchste Unbilligkeit zu er¬
blicken.

Was ihr unzweifelhaftes Recht ist und was irgend billig, wird niemand
der hessischen Fürstenfamilie entzogen sehen wollen, gegen eine gänzliche Ueber-
tragung so außerordentlicher Mittel an die Seitenverwandten von
Regenten, die viel Unheil über ihr Land brachten, sträubt sich aber das Ge¬
fühl. Es macht den Eindruck, als ob auch die preußische Regierung sich ei¬
nes ähnlichen Gefühls oder wenigstens des Gedankens nicht habe erwehren
können, daß die Überlassung des gesammten kurfürstlich hessischen Familien-
fideieommisses an die Agnaten doch innerlich nicht gerechtfertigt sei. Dazu
wird aber als positive Grundlage einer solchen Abneigung noch die Erwä¬
gung gekommen sein, daß die Sache infolge der Ereignisse von 1866 aller¬
dings nicht mehr so einfach, daß die pure Anerkennung einer unveränderten
Fortdauer jenes Fideicommisses nicht angezeigt ist. Die preußische Regierung
hat diese ihre Absicht offenbar nicht recht zu begründen und zu formuliren
gewußt, wenigstens nicht im Drange der Geschäfte von 1866; und nachher
mag die Gelegenheit dazu gefehlt haben.

Die einzige öffentlich vorliegende Beanstandung jenes Verhältnisses,
nämlich der Fortdauer des Kurs. Hess. Hausfideicommisses in erwähnter Weise,
liegt vor in der Erklärung, welche die preußische Regierung am 12. Februar
1868 in einem Ausschusse des Abgeordnetenhauses abgab. Diese Erklärung
ging dahin: der Stettiner Vertrag mit dem Kurfürsten sei bindend abge¬
schlossen und enthalte bestimmte Rechte und Pflichten, wenngleich er nicht alle
Punkte erledige, sondern weitere Verabredungen erforderlich mache; mit den
Agnaten sei eine Vereinigung versucht, aber nicht zu Stande gekommen. Das
Eigenthum an dem Hausschatz werde von den Agnaten des Kurhauses
für die Familie und von der königl. Staatsregierung für den
Staat in Anspruch genommen; die Sache sei indeß zweifelhaft und
werde sich vielleicht zur gerichtlichen Entscheidung eignen. — Die preußische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/493>, abgerufen am 06.02.2025.