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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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hörten Troß von Gepäck, Burschen, Frauen und sonstigen Damen. In den
Tagen vom 7. bis 12. November wurden von Köln-Deutz aus 807 Officiere
nach Aachen, Altona, Bremen, Hamburg, Hildesheim, Lübeck, Oldenburg,
Schleswig instradirt. -- Die Hauptschwierigkeit lag aber in dem Benehmen
der französischen Officiere selbst. Wahre Vaterlandsliebe, das Gefühl des
nationalen Unglücks, wurde durch Eitelkeit und Ueberhebung oft durch Frech¬
heit verdrängt.

Sie fingen bald an, sich als freie Herren zu betrachten, hielten es für
Unrecht, daß sie nach neun Uhr ihre Wohnung nicht mehr verlassen durften
und daß sie von der preußischen Regierung zu wenig Geld erhielten, während
sie die Annahme der durch die englische Gesandtschaft in Berlin ihnen von der
französischen Regierung angebotenen Auszahlung ihrer Gefangenen-Competen-
zen verweigerten, weil ihnen die von den Preußen bewilligten Unterhaltungs¬
gelder davon in Abzug gebracht werden sollten. Eine sehr auffallende und
ungünstige Veränderung in dem Verhalten der Officiere machte sich gel¬
tend, nachdem sie von dem Vorrücken der Loire-Armee auf Orleans Kunde
erhalten, eine Veränderung, die sich in Renitenz und Excessen vielfach äußerte.
Die beim Appell in französischer Sprache deutlich gegebenen, außerdem noch
durch Anschlag ihnen mitgetheilten Befehle wollten sie nicht gehört, resp,
nicht verstanden haben. Trotz strenger Verbote versuchten sie wiederholt, sich
mit den kriegsgefangenen Mannschaften in den Depots und Lagern in Ver¬
bindung zu setzen. Die Nähe der belgischen Grenze, die 'sie per Eisenbahn
in einigen Stunden erreichen konnten, der in Frankreich ausgebrochene
Volkskrieg, die offenen Aufforderungen und versprochenen Belohnungen der
Gambetta'schen Regierung verleiteten manche zur Flucht, trotz der be¬
stehenden Maßregeln zum Zweck einer strengen Ueberwachung. Von
den in Köln detinirten französischen Officieren desertirten einundzwanzig,
-- also ungefähr 4^/2 Procent von der oben angegebenen Durchschnittszahl
460 der in Köln Jnternirten -- sämmtlich mit Bruch des Ehrenwortes, zur
Schande für das Officiercorps der französischen Armee, und merkwürdiger
Weise wurde trotz steckbrieflicher Verfolgung kein einziger Deserteur aus dem
Officierstande zurückgebracht. Oft erhielt das Gouvernement erst Nachricht
von den Desertionen durch Briefe aus Pepinster, Brüssel u. s. w., in denen die
Ausreißer mit großer Naivetät um Nachsendung ihrer zurückgelassenen Effecten
baten. Die Namen der Ehrlosen wurden regelmäßig im Milttär-Wochenblatte
und in der Lorresponäg-nes gg Lerlio an den Pranger gestellt. Als ver¬
schärfte Maßregeln das Desertion nicht verhindern konnten, wurden durch
Kriegsministeriellen Erlaß vom 29. December 1870 die in jeder Stadt detinirten
kriegsgefangenen Officiere solidarisch für das Halten des Ehrenwortes verpflichtet
in der Weise, daß eine Anzahl derselben durch das Loos als Geißeln bestimmt


hörten Troß von Gepäck, Burschen, Frauen und sonstigen Damen. In den
Tagen vom 7. bis 12. November wurden von Köln-Deutz aus 807 Officiere
nach Aachen, Altona, Bremen, Hamburg, Hildesheim, Lübeck, Oldenburg,
Schleswig instradirt. — Die Hauptschwierigkeit lag aber in dem Benehmen
der französischen Officiere selbst. Wahre Vaterlandsliebe, das Gefühl des
nationalen Unglücks, wurde durch Eitelkeit und Ueberhebung oft durch Frech¬
heit verdrängt.

Sie fingen bald an, sich als freie Herren zu betrachten, hielten es für
Unrecht, daß sie nach neun Uhr ihre Wohnung nicht mehr verlassen durften
und daß sie von der preußischen Regierung zu wenig Geld erhielten, während
sie die Annahme der durch die englische Gesandtschaft in Berlin ihnen von der
französischen Regierung angebotenen Auszahlung ihrer Gefangenen-Competen-
zen verweigerten, weil ihnen die von den Preußen bewilligten Unterhaltungs¬
gelder davon in Abzug gebracht werden sollten. Eine sehr auffallende und
ungünstige Veränderung in dem Verhalten der Officiere machte sich gel¬
tend, nachdem sie von dem Vorrücken der Loire-Armee auf Orleans Kunde
erhalten, eine Veränderung, die sich in Renitenz und Excessen vielfach äußerte.
Die beim Appell in französischer Sprache deutlich gegebenen, außerdem noch
durch Anschlag ihnen mitgetheilten Befehle wollten sie nicht gehört, resp,
nicht verstanden haben. Trotz strenger Verbote versuchten sie wiederholt, sich
mit den kriegsgefangenen Mannschaften in den Depots und Lagern in Ver¬
bindung zu setzen. Die Nähe der belgischen Grenze, die 'sie per Eisenbahn
in einigen Stunden erreichen konnten, der in Frankreich ausgebrochene
Volkskrieg, die offenen Aufforderungen und versprochenen Belohnungen der
Gambetta'schen Regierung verleiteten manche zur Flucht, trotz der be¬
stehenden Maßregeln zum Zweck einer strengen Ueberwachung. Von
den in Köln detinirten französischen Officieren desertirten einundzwanzig,
— also ungefähr 4^/2 Procent von der oben angegebenen Durchschnittszahl
460 der in Köln Jnternirten — sämmtlich mit Bruch des Ehrenwortes, zur
Schande für das Officiercorps der französischen Armee, und merkwürdiger
Weise wurde trotz steckbrieflicher Verfolgung kein einziger Deserteur aus dem
Officierstande zurückgebracht. Oft erhielt das Gouvernement erst Nachricht
von den Desertionen durch Briefe aus Pepinster, Brüssel u. s. w., in denen die
Ausreißer mit großer Naivetät um Nachsendung ihrer zurückgelassenen Effecten
baten. Die Namen der Ehrlosen wurden regelmäßig im Milttär-Wochenblatte
und in der Lorresponäg-nes gg Lerlio an den Pranger gestellt. Als ver¬
schärfte Maßregeln das Desertion nicht verhindern konnten, wurden durch
Kriegsministeriellen Erlaß vom 29. December 1870 die in jeder Stadt detinirten
kriegsgefangenen Officiere solidarisch für das Halten des Ehrenwortes verpflichtet
in der Weise, daß eine Anzahl derselben durch das Loos als Geißeln bestimmt


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[0486] hörten Troß von Gepäck, Burschen, Frauen und sonstigen Damen. In den Tagen vom 7. bis 12. November wurden von Köln-Deutz aus 807 Officiere nach Aachen, Altona, Bremen, Hamburg, Hildesheim, Lübeck, Oldenburg, Schleswig instradirt. — Die Hauptschwierigkeit lag aber in dem Benehmen der französischen Officiere selbst. Wahre Vaterlandsliebe, das Gefühl des nationalen Unglücks, wurde durch Eitelkeit und Ueberhebung oft durch Frech¬ heit verdrängt. Sie fingen bald an, sich als freie Herren zu betrachten, hielten es für Unrecht, daß sie nach neun Uhr ihre Wohnung nicht mehr verlassen durften und daß sie von der preußischen Regierung zu wenig Geld erhielten, während sie die Annahme der durch die englische Gesandtschaft in Berlin ihnen von der französischen Regierung angebotenen Auszahlung ihrer Gefangenen-Competen- zen verweigerten, weil ihnen die von den Preußen bewilligten Unterhaltungs¬ gelder davon in Abzug gebracht werden sollten. Eine sehr auffallende und ungünstige Veränderung in dem Verhalten der Officiere machte sich gel¬ tend, nachdem sie von dem Vorrücken der Loire-Armee auf Orleans Kunde erhalten, eine Veränderung, die sich in Renitenz und Excessen vielfach äußerte. Die beim Appell in französischer Sprache deutlich gegebenen, außerdem noch durch Anschlag ihnen mitgetheilten Befehle wollten sie nicht gehört, resp, nicht verstanden haben. Trotz strenger Verbote versuchten sie wiederholt, sich mit den kriegsgefangenen Mannschaften in den Depots und Lagern in Ver¬ bindung zu setzen. Die Nähe der belgischen Grenze, die 'sie per Eisenbahn in einigen Stunden erreichen konnten, der in Frankreich ausgebrochene Volkskrieg, die offenen Aufforderungen und versprochenen Belohnungen der Gambetta'schen Regierung verleiteten manche zur Flucht, trotz der be¬ stehenden Maßregeln zum Zweck einer strengen Ueberwachung. Von den in Köln detinirten französischen Officieren desertirten einundzwanzig, — also ungefähr 4^/2 Procent von der oben angegebenen Durchschnittszahl 460 der in Köln Jnternirten — sämmtlich mit Bruch des Ehrenwortes, zur Schande für das Officiercorps der französischen Armee, und merkwürdiger Weise wurde trotz steckbrieflicher Verfolgung kein einziger Deserteur aus dem Officierstande zurückgebracht. Oft erhielt das Gouvernement erst Nachricht von den Desertionen durch Briefe aus Pepinster, Brüssel u. s. w., in denen die Ausreißer mit großer Naivetät um Nachsendung ihrer zurückgelassenen Effecten baten. Die Namen der Ehrlosen wurden regelmäßig im Milttär-Wochenblatte und in der Lorresponäg-nes gg Lerlio an den Pranger gestellt. Als ver¬ schärfte Maßregeln das Desertion nicht verhindern konnten, wurden durch Kriegsministeriellen Erlaß vom 29. December 1870 die in jeder Stadt detinirten kriegsgefangenen Officiere solidarisch für das Halten des Ehrenwortes verpflichtet in der Weise, daß eine Anzahl derselben durch das Loos als Geißeln bestimmt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/486>, abgerufen am 06.02.2025.