Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.der Täuschung des Lebens, die dieser Wille gebiert, entsprungenen Welt. Aus Es ist nicht so sonderbar, als es aussieht, mit einem Dichter über den Aber aus einer solchen allgemeinen Wahrheit, wie bedeutungsvoll sie sei, der Täuschung des Lebens, die dieser Wille gebiert, entsprungenen Welt. Aus Es ist nicht so sonderbar, als es aussieht, mit einem Dichter über den Aber aus einer solchen allgemeinen Wahrheit, wie bedeutungsvoll sie sei, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193281"/> <p xml:id="ID_1585" prev="#ID_1584"> der Täuschung des Lebens, die dieser Wille gebiert, entsprungenen Welt. Aus<lb/> dem Mitleid die Weisheit schöpfen, welche die Nichtigkeit jener Täuschung er¬<lb/> kennt und den Geist von dem Trieb zum Leben erlöst. Wir kommen hier<lb/> auf das zweite, was Schopenhauers Philosophie für Wagner anziehend machte:<lb/> auf die weltfeindliche Tendenz dieser Philosophie, welche dem Weltverbitterten<lb/> zusagte. Aber so sehr wir die Schönheit der poetischen Wiedergabe dieser<lb/> Philosophie anerkennen, als den Sinn der Dichtung von dem Ring des Ni¬<lb/> belungen vermögen wir sie nicht anzuerkennen. Wenn bei der dritten Aus¬<lb/> gabe dieser Dichtung der Dichter auf jede Schlußsentenz verzichtet, weil ihr<lb/> Sinn in der Wirkung des musikalisch ertönender Dramas mit höchster Be¬<lb/> stimmtheit ausgesprochen werde, so bangt uns nicht vor der Schopenhauer-<lb/> schen Philosophie, so weit sie in Tönen ausgedrückt ist. Die Musik, das ist<lb/> ihr herrlichster Vorzug, kann nur das Gute und Wahre ausdrücken, oder sie<lb/> muß schlechte Musik werden. Was die Töne uns hier harmonisch ver¬<lb/> nehmen lassen können, ist nur tiefe, liebeverklärte Resignation, welche alle Auf¬<lb/> erstehung in sich birgt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1586"> Es ist nicht so sonderbar, als es aussieht, mit einem Dichter über den<lb/> Sinn seiner eignen Dichtung zu streiten. Das Kunstwerk ist ein Ereigniß,<lb/> welches in der Seele des Künstlers sich vollzieht und durch einen besonders<lb/> hinzutretender Prozeß zugleich allgemeine äußere Zugänglichkeit gewinnt.<lb/> Ueber den Sinn eines Ereignisses kann es hundert Meinungen geben. Der<lb/> Thäter glaubt, der beste Kenner seiner That zu sein, aber er ist es nicht im¬<lb/> mer, freilich auch nicht der erste beste Zuschauer. Wir würden den Sinn der<lb/> uns vorliegenden Dichtung getrost darin suchen, daß Recht und Schranke die<lb/> Welt nicht ordnen können, ihre Kräfte nicht eindämmen, wenn es nicht die<lb/> Liebe, die umfassende, alle Weisheit suchende und findende Liebe, ist, die Recht<lb/> und Schranke gestaltet und, wenn es Noth thut, über sie hinausreicht. Am<lb/> wenigsten vermag arglose Kraft die Welt zu ordnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1587" next="#ID_1588"> Aber aus einer solchen allgemeinen Wahrheit, wie bedeutungsvoll sie sei,<lb/> entspringt niemals dem Künstler ein Kunstwerk. Wie das vorliegende Kunst¬<lb/> werk entsprungen, darüber hat uns Wagner einen sehr überzeugenden Auf¬<lb/> schluß in der „Mittheilung an meine Freunde" aus dem Jahre 1851 gegeben.<lb/> Nach dem Fliegenden Holländer, Tannhäuser und Lohengrin, diesen irrenden<lb/> und irrendschuldvollen, oder wie Lohengrin unglücklichen Helden, suchte er den<lb/> jugendlich schönen Menschen in der üppigsten Frische seiner Kraft, dessen<lb/> Heiterkeit, Glück und Muth nichts, selbst der Tod nicht erschüttern kann. Er<lb/> fand diesen Menschen in Siegfried, in dem Siegfried des deutsch-heidnischen<lb/> Mythus. Er wollte anfangs nur Ein Drama „Siegfrieds Tod" dichten, fand<lb/> sich aber gedrängt, Siegfrieds Jugend und Liebe, endlich den Grund seines<lb/> Ursprungs in seine Dichtung aufzunehmen. So entstand das Werk „der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0478]
der Täuschung des Lebens, die dieser Wille gebiert, entsprungenen Welt. Aus
dem Mitleid die Weisheit schöpfen, welche die Nichtigkeit jener Täuschung er¬
kennt und den Geist von dem Trieb zum Leben erlöst. Wir kommen hier
auf das zweite, was Schopenhauers Philosophie für Wagner anziehend machte:
auf die weltfeindliche Tendenz dieser Philosophie, welche dem Weltverbitterten
zusagte. Aber so sehr wir die Schönheit der poetischen Wiedergabe dieser
Philosophie anerkennen, als den Sinn der Dichtung von dem Ring des Ni¬
belungen vermögen wir sie nicht anzuerkennen. Wenn bei der dritten Aus¬
gabe dieser Dichtung der Dichter auf jede Schlußsentenz verzichtet, weil ihr
Sinn in der Wirkung des musikalisch ertönender Dramas mit höchster Be¬
stimmtheit ausgesprochen werde, so bangt uns nicht vor der Schopenhauer-
schen Philosophie, so weit sie in Tönen ausgedrückt ist. Die Musik, das ist
ihr herrlichster Vorzug, kann nur das Gute und Wahre ausdrücken, oder sie
muß schlechte Musik werden. Was die Töne uns hier harmonisch ver¬
nehmen lassen können, ist nur tiefe, liebeverklärte Resignation, welche alle Auf¬
erstehung in sich birgt.
Es ist nicht so sonderbar, als es aussieht, mit einem Dichter über den
Sinn seiner eignen Dichtung zu streiten. Das Kunstwerk ist ein Ereigniß,
welches in der Seele des Künstlers sich vollzieht und durch einen besonders
hinzutretender Prozeß zugleich allgemeine äußere Zugänglichkeit gewinnt.
Ueber den Sinn eines Ereignisses kann es hundert Meinungen geben. Der
Thäter glaubt, der beste Kenner seiner That zu sein, aber er ist es nicht im¬
mer, freilich auch nicht der erste beste Zuschauer. Wir würden den Sinn der
uns vorliegenden Dichtung getrost darin suchen, daß Recht und Schranke die
Welt nicht ordnen können, ihre Kräfte nicht eindämmen, wenn es nicht die
Liebe, die umfassende, alle Weisheit suchende und findende Liebe, ist, die Recht
und Schranke gestaltet und, wenn es Noth thut, über sie hinausreicht. Am
wenigsten vermag arglose Kraft die Welt zu ordnen.
Aber aus einer solchen allgemeinen Wahrheit, wie bedeutungsvoll sie sei,
entspringt niemals dem Künstler ein Kunstwerk. Wie das vorliegende Kunst¬
werk entsprungen, darüber hat uns Wagner einen sehr überzeugenden Auf¬
schluß in der „Mittheilung an meine Freunde" aus dem Jahre 1851 gegeben.
Nach dem Fliegenden Holländer, Tannhäuser und Lohengrin, diesen irrenden
und irrendschuldvollen, oder wie Lohengrin unglücklichen Helden, suchte er den
jugendlich schönen Menschen in der üppigsten Frische seiner Kraft, dessen
Heiterkeit, Glück und Muth nichts, selbst der Tod nicht erschüttern kann. Er
fand diesen Menschen in Siegfried, in dem Siegfried des deutsch-heidnischen
Mythus. Er wollte anfangs nur Ein Drama „Siegfrieds Tod" dichten, fand
sich aber gedrängt, Siegfrieds Jugend und Liebe, endlich den Grund seines
Ursprungs in seine Dichtung aufzunehmen. So entstand das Werk „der
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