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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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mund, daß sie ihm das Todesloos zutheilen muß. Sie verspricht ihn dafür
nach Walhall zu führen und Sieglinde zu schützen. Siegmund aber will
nicht nach Walhall, wenn er Sieglinden dort nicht findet. Er will lieber
Sieglinden durchbohren und sich mit ihr von Hekla, der Unterwelt, festhalten
lassen. Da verspricht ihm Brünnhilde, vom innigsten Mitleid mit Sieglinde
und dem Heldensproß, den diese von Siegmund im Schooß trägt, unwider¬
stehlich hingerissen, den Schutz im Kampfe. Hunding erscheint, Brünnhilde
schützt Siegmund, aber Wotan erscheint in der Gluthwolke und hält vor das
unüberwindliche Schwert, das er selbst geschaffen und dem Siegmund in die
Hand gespielt, seinen allmächtigen Speer, an welchem das Schwert zersplittert.
Hunding erschlägt den wehrlosen Siegmund. Brünnhilde sammelt die Stücke
des zerbrochenen Schwertes, überreicht sie Sieglinden mit der Verheißung,
daß sie für deren Sohn sich wieder zusammenfügen werden, und räth
Sieglinden in den Wald zu fliehen, wo der Drache den Nibelungenhort be¬
hütet, den Wotan fast nie betritt.

Im dritten Akt entbrennt gegen Brünnhilde Wotans Vergeltung. Er
will sie aus Walhall verstoßen und in wehrlosen Schlaf schließen zum Be¬
sitz des ersten besten Mannes, der sie weckt. Auf Brünnhildens Flehen aber,
sie nur einem furchtlosen Helden zu Theil werden zu lassen, umgiebt er den
Fels, auf welchen er die Schlafende bannt, mit einem Flammenkreis. Brünn¬
hilde ist gerührt, und Wotans ganze Zärtlichkeit für sein Lieblingskind bricht
nochmals hervor. So das Ende der Walküre. Man wird außer andern be¬
reits hervorgehobenen poetischen Eigenschaften dieses Dramas dem Charakter
der Brünnhilde schon bis dahin eine hohe Anziehungskraft zugestehen müssen.
Alle Leidenschaft, die in ihr aufflammt, beruht auf natürlichem, reinem und
edlem Gefühle. Das Mitleid für Siegmund, dem sie erst den Sieg geben
sollte, dann für die unglückliche Sieglinde und deren Kind, dann die Be-
sorgniß, einem unwürdigen Mann zur Beute zu werden, bei der sonst rühren¬
den Ergebung in die harte Strafe, die wieder hervorbrechende Zärtlichkeit
gegen den Vater, sobald er den echt jungfräulichen Wunsch erhört, ohne
sonst ihr Loos zu mildern oder zu wenden, das sind alles weiblich schöne
und dabei natürliche Züge.

Erst in dem dritten Drama der Tetralogie, das nach seinem Helden
"Siegfried" benannt ist, erblicken wir die Gestalt, deren poetischer Glanz den
Plan der ganzen groß gegliederten Dichtung eingegeben und dieselbe gleich¬
sam zur Folie erhalten hat. Alberich hat seinen Bruder Mime, einen noch
mehr mißgestalteten Schwächling, den er ganz als Diener behandelt, in den
Wald des Drachen geschickt, um diesen zu umlauern und auf jede Gelegenheit
zur Wiedererlangung des Hortes zu spähen.

Unter Mines Beistand hat hier die sterbende Sieglinde den jungen Sieg-


mund, daß sie ihm das Todesloos zutheilen muß. Sie verspricht ihn dafür
nach Walhall zu führen und Sieglinde zu schützen. Siegmund aber will
nicht nach Walhall, wenn er Sieglinden dort nicht findet. Er will lieber
Sieglinden durchbohren und sich mit ihr von Hekla, der Unterwelt, festhalten
lassen. Da verspricht ihm Brünnhilde, vom innigsten Mitleid mit Sieglinde
und dem Heldensproß, den diese von Siegmund im Schooß trägt, unwider¬
stehlich hingerissen, den Schutz im Kampfe. Hunding erscheint, Brünnhilde
schützt Siegmund, aber Wotan erscheint in der Gluthwolke und hält vor das
unüberwindliche Schwert, das er selbst geschaffen und dem Siegmund in die
Hand gespielt, seinen allmächtigen Speer, an welchem das Schwert zersplittert.
Hunding erschlägt den wehrlosen Siegmund. Brünnhilde sammelt die Stücke
des zerbrochenen Schwertes, überreicht sie Sieglinden mit der Verheißung,
daß sie für deren Sohn sich wieder zusammenfügen werden, und räth
Sieglinden in den Wald zu fliehen, wo der Drache den Nibelungenhort be¬
hütet, den Wotan fast nie betritt.

Im dritten Akt entbrennt gegen Brünnhilde Wotans Vergeltung. Er
will sie aus Walhall verstoßen und in wehrlosen Schlaf schließen zum Be¬
sitz des ersten besten Mannes, der sie weckt. Auf Brünnhildens Flehen aber,
sie nur einem furchtlosen Helden zu Theil werden zu lassen, umgiebt er den
Fels, auf welchen er die Schlafende bannt, mit einem Flammenkreis. Brünn¬
hilde ist gerührt, und Wotans ganze Zärtlichkeit für sein Lieblingskind bricht
nochmals hervor. So das Ende der Walküre. Man wird außer andern be¬
reits hervorgehobenen poetischen Eigenschaften dieses Dramas dem Charakter
der Brünnhilde schon bis dahin eine hohe Anziehungskraft zugestehen müssen.
Alle Leidenschaft, die in ihr aufflammt, beruht auf natürlichem, reinem und
edlem Gefühle. Das Mitleid für Siegmund, dem sie erst den Sieg geben
sollte, dann für die unglückliche Sieglinde und deren Kind, dann die Be-
sorgniß, einem unwürdigen Mann zur Beute zu werden, bei der sonst rühren¬
den Ergebung in die harte Strafe, die wieder hervorbrechende Zärtlichkeit
gegen den Vater, sobald er den echt jungfräulichen Wunsch erhört, ohne
sonst ihr Loos zu mildern oder zu wenden, das sind alles weiblich schöne
und dabei natürliche Züge.

Erst in dem dritten Drama der Tetralogie, das nach seinem Helden
„Siegfried" benannt ist, erblicken wir die Gestalt, deren poetischer Glanz den
Plan der ganzen groß gegliederten Dichtung eingegeben und dieselbe gleich¬
sam zur Folie erhalten hat. Alberich hat seinen Bruder Mime, einen noch
mehr mißgestalteten Schwächling, den er ganz als Diener behandelt, in den
Wald des Drachen geschickt, um diesen zu umlauern und auf jede Gelegenheit
zur Wiedererlangung des Hortes zu spähen.

Unter Mines Beistand hat hier die sterbende Sieglinde den jungen Sieg-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/470>, abgerufen am 06.02.2025.