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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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besitz des Schatzes und der eine fällt von der Hand des andern. Der andere
aber hütet als Drache den Schatz, ohne sich der darin verborgenen Macht
zu bedienen. Nun ist Wotans beständige Furcht, daß der listige Nibelung
sich des Schatzes wieder bemächtige und mittelst der Kraft desselben die Licht¬
götter stürze. -- So weit das erste Drama der Tetralogie, mit Namen
"das Rheingold".

Die Elementargeister, welche uns dasselbe neben den Lichtgöttern vor¬
führt, leben und weben ganz außerhalb des geistigen Elementes, welches der
Boden sittlicher Empfindung und Handlung ist. Es ist also ein unverständ¬
licher Tadel, wenn ihnen vorgeworfen wird, daß sie ohne Sittlichkeit handeln.
Ist nur poetisch, was an der Sittlichkeit Theil hat? Dann wäre auch der
Reineke Fuchs unpoetisch, dann hätte Shakespeare keinen Caliban, keine
Hexen und Aehnliches. Goethe keinen Mephistofeles, Blocksberg und Anderes
schaffen dürfen. Die sittliche Lebenssphäre ist wohl der vornehmste Gegen¬
stand der Poesie, aber doch nicht ihr einziger. Auch die Lebenslust, die Lebens¬
kraft, der eigenthümliche Lebensverstand sind poetisch, die Zweckmäßigkeit einer
fremdartigen organischen Sphäre mit ihren besondern Vortheilen und Schran¬
ken, unter der Fiktion des bewußten Handelns angesehen, übt auf den mensch¬
lichen Sinn einen wunderbaren Reiz. Die Zweckmäßigkeit heimelt uns an,
je mehr die Mittel und die Schranken abweichend sind. Darin liegt der
Reiz aller Thiersage, aber auch der Reiz der Zauberwelt des Märchens
überhaupt. Darum kommt für die Märchenpoesie so viel darauf an, daß die
Zauberkräfte unter dem festen Gesetz bleiben, welches ihnen die Phantasie ein¬
mal gegeben.

Dieser poetische Reiz des personificirten Naturlebens bedarf um sich zu
entfalten allerdings entweder einer reichen und charakteristischen Ausmalung
oder einer humoristischen Behandlung des Contrastes zwischen naivegoistischer
Lebenslust und der Begrenztheit der organischen Kraft. Man könnte sagen,
daß Wagner seinen Zwergen, Riesen und Nheinniren von diesen Reizen nur
sehr wenig gespendet. Wir haben aber ein Drama vor uns. das seine Er¬
gänzung durch die Musik erhalten soll, und wenn wir gerecht sind, dürfen
wir nicht leugnen, daß die Grundzüge hier mit sicherer Hand vorgezeichnet
sind, auf welchen die Musik ihre charakterisirende und humoristische Ausfüh¬
rung auftragen kann.

Was nun den Herrscher des Lichtreiches betrifft, den Hüter der Weltord¬
nung, so zeigt allerdings auch er sich nicht viel sittlicher als etwa nobel
der Leu im Reineke Fuchs. Aber läßt sich dem Dichter daraus ein Vorwurf
machen? Die Götter stehen den Zwergen und Riesen als feindlichen, durch¬
aus fremdartigen Wesen gegenüber. Sie leben mit diesen Wesen recht eigent¬
lich im Kriegszustand, wo jede Ueberlistung, jeder Vortheil gilt. Wotan ist


Grenzboten 1873. 111. 58

besitz des Schatzes und der eine fällt von der Hand des andern. Der andere
aber hütet als Drache den Schatz, ohne sich der darin verborgenen Macht
zu bedienen. Nun ist Wotans beständige Furcht, daß der listige Nibelung
sich des Schatzes wieder bemächtige und mittelst der Kraft desselben die Licht¬
götter stürze. — So weit das erste Drama der Tetralogie, mit Namen
„das Rheingold".

Die Elementargeister, welche uns dasselbe neben den Lichtgöttern vor¬
führt, leben und weben ganz außerhalb des geistigen Elementes, welches der
Boden sittlicher Empfindung und Handlung ist. Es ist also ein unverständ¬
licher Tadel, wenn ihnen vorgeworfen wird, daß sie ohne Sittlichkeit handeln.
Ist nur poetisch, was an der Sittlichkeit Theil hat? Dann wäre auch der
Reineke Fuchs unpoetisch, dann hätte Shakespeare keinen Caliban, keine
Hexen und Aehnliches. Goethe keinen Mephistofeles, Blocksberg und Anderes
schaffen dürfen. Die sittliche Lebenssphäre ist wohl der vornehmste Gegen¬
stand der Poesie, aber doch nicht ihr einziger. Auch die Lebenslust, die Lebens¬
kraft, der eigenthümliche Lebensverstand sind poetisch, die Zweckmäßigkeit einer
fremdartigen organischen Sphäre mit ihren besondern Vortheilen und Schran¬
ken, unter der Fiktion des bewußten Handelns angesehen, übt auf den mensch¬
lichen Sinn einen wunderbaren Reiz. Die Zweckmäßigkeit heimelt uns an,
je mehr die Mittel und die Schranken abweichend sind. Darin liegt der
Reiz aller Thiersage, aber auch der Reiz der Zauberwelt des Märchens
überhaupt. Darum kommt für die Märchenpoesie so viel darauf an, daß die
Zauberkräfte unter dem festen Gesetz bleiben, welches ihnen die Phantasie ein¬
mal gegeben.

Dieser poetische Reiz des personificirten Naturlebens bedarf um sich zu
entfalten allerdings entweder einer reichen und charakteristischen Ausmalung
oder einer humoristischen Behandlung des Contrastes zwischen naivegoistischer
Lebenslust und der Begrenztheit der organischen Kraft. Man könnte sagen,
daß Wagner seinen Zwergen, Riesen und Nheinniren von diesen Reizen nur
sehr wenig gespendet. Wir haben aber ein Drama vor uns. das seine Er¬
gänzung durch die Musik erhalten soll, und wenn wir gerecht sind, dürfen
wir nicht leugnen, daß die Grundzüge hier mit sicherer Hand vorgezeichnet
sind, auf welchen die Musik ihre charakterisirende und humoristische Ausfüh¬
rung auftragen kann.

Was nun den Herrscher des Lichtreiches betrifft, den Hüter der Weltord¬
nung, so zeigt allerdings auch er sich nicht viel sittlicher als etwa nobel
der Leu im Reineke Fuchs. Aber läßt sich dem Dichter daraus ein Vorwurf
machen? Die Götter stehen den Zwergen und Riesen als feindlichen, durch¬
aus fremdartigen Wesen gegenüber. Sie leben mit diesen Wesen recht eigent¬
lich im Kriegszustand, wo jede Ueberlistung, jeder Vortheil gilt. Wotan ist


Grenzboten 1873. 111. 58
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/465>, abgerufen am 06.02.2025.