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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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herrschenden Götterwelt mit allen bestimmten Umständen ausgemalt wird. Der
zum Untergang bestimmten Götterwelt soll allerdings eine neue folgen, in der
sich auch einige Glieder der alten wiederfinden. Aber das deutsche Heidenthum
lebte doch in dem Bewußtsein, daß die gegenwärtige Weltordnung zum Un¬
tergang bestimmt ist, hinter welchem erst der dauernde Weltzustand liegt,
dessen Unterschied von dem vorangehenden zwar vorzustellen gesucht wird,
aber ohne daß der Unterschied mit völliger Deutlichkeit gefunden wird. Er¬
staunbar ist nur, daß die Asengötter untergehen, weil sie die ihnen gesteckten
Schranken selbst nicht achten und dadurch die gefesselten Ungeheuer, d. i. die
wilden Naturkräfte, befreien. Es ist nicht mit Sicherheit zu erkennen, ob
diesem tiefsinnigen Mythus auch die Ahnung zum Grunde liegt, daß Schön¬
heit und Glück an sich dem Loos der Vergänglichkeit unterliegen, sei es, daß
sie den Neid aller finstern Mächte und dadurch deren Vereinigung zu ihrem
Untergang hervorrufen, sei es, daß sie der Versuchung ihres bevorzugten
Looses zum Uebermuth erliegen. Das letztere Motiv klingt in der Siegfried¬
sage leise durch.

Um die Einheit seiner die Götter- und Heldensage verbindenden Hand¬
lung herzustellen, hat Wagner fleißig Umschau gehalten nicht nur in der Edda,
sondern auch in den späteren Gestaltungen der deutschen und nordischen Sage.
Alle poetischen,. Züge, die er anwenden konnte, hat er zu einer Garbe ge¬
sammelt und dieselbe sinnvoll verbunden.

Zu den Lichtgöttern und Heldengeschlechtern treten in der deutschen My¬
thologie die Geister verschiedener Elemente, in der ältesten Ueberlieferung aller¬
dings sehr undeutlich. Durch diese Geister Schürze Wagner seinen tragischen
Knoten. Er giebt seiner Handlung den Ausgang bei den in der Edda so¬
wohl, als im deutschen Nibelungenlied sehr verwischten Nibelungen. Nif-
lungen ist in der Edda ein Beiname der Giukungen, des Heldengeschlechtes,
unter welchem Siegurd oder Siegfried die Gattin, aber auch den Tod findet,
wie im Nibelungenliede. Nur kommt in letzterem der Name Giukungen nicht
vor. Die Helden tragen den historischen Namen Burgunden und den my¬
thischen Namen Nibelungen als Beinamen, den sie erst annehmen. Der letz¬
tere kommt von den Nibelungen, die Siegfried überwunden und sich dienstbar
gemacht hat, deren Schatz dieselben nach Siegfrieds Tod an Kriemhild aus¬
liefern, welcher ihn wiederum Hagen raubt und ihn in den Rhein versenkt.
In diesen eigentlichen Nibelungen des deutschen Epos nun ist die mythische
Herkunft unschwer zu erkennen, schwerer aber des Mythus ursprüngliche Ge¬
stalt und sein Sinn. Durch den Namen Nibelungen ist man auf den Ur¬
sprung des Mythus gekommen, er führt auf das unterirdische Nibelheim oder
Nifelheim, auf die Nebelgeister und ihre Wohnstätte, auf welche nach dem
Liede der Edda "Odins Rabenzauber" die Nacht nördlich sinkt. Nibelheim


herrschenden Götterwelt mit allen bestimmten Umständen ausgemalt wird. Der
zum Untergang bestimmten Götterwelt soll allerdings eine neue folgen, in der
sich auch einige Glieder der alten wiederfinden. Aber das deutsche Heidenthum
lebte doch in dem Bewußtsein, daß die gegenwärtige Weltordnung zum Un¬
tergang bestimmt ist, hinter welchem erst der dauernde Weltzustand liegt,
dessen Unterschied von dem vorangehenden zwar vorzustellen gesucht wird,
aber ohne daß der Unterschied mit völliger Deutlichkeit gefunden wird. Er¬
staunbar ist nur, daß die Asengötter untergehen, weil sie die ihnen gesteckten
Schranken selbst nicht achten und dadurch die gefesselten Ungeheuer, d. i. die
wilden Naturkräfte, befreien. Es ist nicht mit Sicherheit zu erkennen, ob
diesem tiefsinnigen Mythus auch die Ahnung zum Grunde liegt, daß Schön¬
heit und Glück an sich dem Loos der Vergänglichkeit unterliegen, sei es, daß
sie den Neid aller finstern Mächte und dadurch deren Vereinigung zu ihrem
Untergang hervorrufen, sei es, daß sie der Versuchung ihres bevorzugten
Looses zum Uebermuth erliegen. Das letztere Motiv klingt in der Siegfried¬
sage leise durch.

Um die Einheit seiner die Götter- und Heldensage verbindenden Hand¬
lung herzustellen, hat Wagner fleißig Umschau gehalten nicht nur in der Edda,
sondern auch in den späteren Gestaltungen der deutschen und nordischen Sage.
Alle poetischen,. Züge, die er anwenden konnte, hat er zu einer Garbe ge¬
sammelt und dieselbe sinnvoll verbunden.

Zu den Lichtgöttern und Heldengeschlechtern treten in der deutschen My¬
thologie die Geister verschiedener Elemente, in der ältesten Ueberlieferung aller¬
dings sehr undeutlich. Durch diese Geister Schürze Wagner seinen tragischen
Knoten. Er giebt seiner Handlung den Ausgang bei den in der Edda so¬
wohl, als im deutschen Nibelungenlied sehr verwischten Nibelungen. Nif-
lungen ist in der Edda ein Beiname der Giukungen, des Heldengeschlechtes,
unter welchem Siegurd oder Siegfried die Gattin, aber auch den Tod findet,
wie im Nibelungenliede. Nur kommt in letzterem der Name Giukungen nicht
vor. Die Helden tragen den historischen Namen Burgunden und den my¬
thischen Namen Nibelungen als Beinamen, den sie erst annehmen. Der letz¬
tere kommt von den Nibelungen, die Siegfried überwunden und sich dienstbar
gemacht hat, deren Schatz dieselben nach Siegfrieds Tod an Kriemhild aus¬
liefern, welcher ihn wiederum Hagen raubt und ihn in den Rhein versenkt.
In diesen eigentlichen Nibelungen des deutschen Epos nun ist die mythische
Herkunft unschwer zu erkennen, schwerer aber des Mythus ursprüngliche Ge¬
stalt und sein Sinn. Durch den Namen Nibelungen ist man auf den Ur¬
sprung des Mythus gekommen, er führt auf das unterirdische Nibelheim oder
Nifelheim, auf die Nebelgeister und ihre Wohnstätte, auf welche nach dem
Liede der Edda „Odins Rabenzauber" die Nacht nördlich sinkt. Nibelheim


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[0463] herrschenden Götterwelt mit allen bestimmten Umständen ausgemalt wird. Der zum Untergang bestimmten Götterwelt soll allerdings eine neue folgen, in der sich auch einige Glieder der alten wiederfinden. Aber das deutsche Heidenthum lebte doch in dem Bewußtsein, daß die gegenwärtige Weltordnung zum Un¬ tergang bestimmt ist, hinter welchem erst der dauernde Weltzustand liegt, dessen Unterschied von dem vorangehenden zwar vorzustellen gesucht wird, aber ohne daß der Unterschied mit völliger Deutlichkeit gefunden wird. Er¬ staunbar ist nur, daß die Asengötter untergehen, weil sie die ihnen gesteckten Schranken selbst nicht achten und dadurch die gefesselten Ungeheuer, d. i. die wilden Naturkräfte, befreien. Es ist nicht mit Sicherheit zu erkennen, ob diesem tiefsinnigen Mythus auch die Ahnung zum Grunde liegt, daß Schön¬ heit und Glück an sich dem Loos der Vergänglichkeit unterliegen, sei es, daß sie den Neid aller finstern Mächte und dadurch deren Vereinigung zu ihrem Untergang hervorrufen, sei es, daß sie der Versuchung ihres bevorzugten Looses zum Uebermuth erliegen. Das letztere Motiv klingt in der Siegfried¬ sage leise durch. Um die Einheit seiner die Götter- und Heldensage verbindenden Hand¬ lung herzustellen, hat Wagner fleißig Umschau gehalten nicht nur in der Edda, sondern auch in den späteren Gestaltungen der deutschen und nordischen Sage. Alle poetischen,. Züge, die er anwenden konnte, hat er zu einer Garbe ge¬ sammelt und dieselbe sinnvoll verbunden. Zu den Lichtgöttern und Heldengeschlechtern treten in der deutschen My¬ thologie die Geister verschiedener Elemente, in der ältesten Ueberlieferung aller¬ dings sehr undeutlich. Durch diese Geister Schürze Wagner seinen tragischen Knoten. Er giebt seiner Handlung den Ausgang bei den in der Edda so¬ wohl, als im deutschen Nibelungenlied sehr verwischten Nibelungen. Nif- lungen ist in der Edda ein Beiname der Giukungen, des Heldengeschlechtes, unter welchem Siegurd oder Siegfried die Gattin, aber auch den Tod findet, wie im Nibelungenliede. Nur kommt in letzterem der Name Giukungen nicht vor. Die Helden tragen den historischen Namen Burgunden und den my¬ thischen Namen Nibelungen als Beinamen, den sie erst annehmen. Der letz¬ tere kommt von den Nibelungen, die Siegfried überwunden und sich dienstbar gemacht hat, deren Schatz dieselben nach Siegfrieds Tod an Kriemhild aus¬ liefern, welcher ihn wiederum Hagen raubt und ihn in den Rhein versenkt. In diesen eigentlichen Nibelungen des deutschen Epos nun ist die mythische Herkunft unschwer zu erkennen, schwerer aber des Mythus ursprüngliche Ge¬ stalt und sein Sinn. Durch den Namen Nibelungen ist man auf den Ur¬ sprung des Mythus gekommen, er führt auf das unterirdische Nibelheim oder Nifelheim, auf die Nebelgeister und ihre Wohnstätte, auf welche nach dem Liede der Edda „Odins Rabenzauber" die Nacht nördlich sinkt. Nibelheim

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/463>, abgerufen am 06.02.2025.