Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.iliren muß. Dieser Standpunkt wird durch viele in England und Amerika Wir haben das Referat über das vorliegende Buch bis auf einen Punkt ") Der Christuskirchc in Chicago. ") Die Darstellung des Prozesses S, 60 ff. ist mit der hier S. 75 u. 76 gegebenen nicht
in Einklang. iliren muß. Dieser Standpunkt wird durch viele in England und Amerika Wir haben das Referat über das vorliegende Buch bis auf einen Punkt ") Der Christuskirchc in Chicago. ") Die Darstellung des Prozesses S, 60 ff. ist mit der hier S. 75 u. 76 gegebenen nicht
in Einklang. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193262"/> <p xml:id="ID_1535" prev="#ID_1534"> iliren muß. Dieser Standpunkt wird durch viele in England und Amerika<lb/> vorgekommene Fälle unterstützt. Die Klage hat es zu thun mit einem Rector<lb/> der protestantischen bischöflichen Kirche,*) der unter den Gesetzen und der<lb/> Disciplin dieser Kirche steht, der von dieser gesetzmäßig abgeurtheilt und sei¬<lb/> nes Amtes entsetzt ist, der aber trotzdem fortfährt zu predigen, sich aus dem<lb/> Kirchenvermögen Gehalt zahlen zu lassen und das Pfarrhaus bewohnt. Ich<lb/> als Kanzler habe über Billigkeit oder Unbilligkeit des Verfahrens und der<lb/> Amtsentsetzung nicht zu urtheilen, ich muß beides vielmehr als rechtmäßig<lb/> anerkennen und die Gesetze demgemäß in Anwendung bringen; und diese ver¬<lb/> langen, daß eine rechtmäßige Amtsentsetzung dem abgesetzten Geistlichen die<lb/> Benutzung der Kanzel seiner Kirche und die Vornahme von Amtshandlungen<lb/> verbietet." '*) „Die Christuskirche in Chicago ist also ein integrirender Be¬<lb/> standtheil der bischöflichen Kirche geblieben; in anderen Fällen aber ist<lb/> entschieden worden, daß die Majorität einer Kirche das Recht hat, das<lb/> Glaubensbekenntniß zu ändern und doch ihr Vermögen zu behalten."</p><lb/> <p xml:id="ID_1536" next="#ID_1537"> Wir haben das Referat über das vorliegende Buch bis auf einen Punkt<lb/> beendet, bis auf das Resultat, das kirchenpolitische Facit, zu dem uns der<lb/> Blick auf die hier gezeichneten Beziehungen zwischen Staat und Kirche ver¬<lb/> anlaßt. Das Auge des Autors scheint uns getrübt, wenn er, ohne Ein¬<lb/> schränkung, also doch wohlzustimmend, sagt: „Daher herrscht in Amerika das<lb/> Gefühl, daß das System der Staatsreligionen in der Praxis zum Heidenthum<lb/> und zum Unglauben hinführt, daß die Erziehung unter seinem Einfluß, statt<lb/> eines persönlichen lebendigen Glaubens nur Dogmen- und Formekram bietet,<lb/> und daß sein Zwang und seine Verbote nur eine Reaction gegen allen Glau¬<lb/> ben erzielen, während das amerikanische System der Religionsfreiheit in den<lb/> Mitgliedern der Kirchen das Gefühl persönlicher Verantwortlichkeit zur Ent¬<lb/> wicklung bringt, so wie den Drang zur Bethätigung der Religion weckt, und<lb/> die Gesellschaft durchtränkt mit einem gesunden Sittlichkeitsgefühl, welches hin¬<lb/> wiederum den Staat unterstützt bei der Durchführung der durch Autorität des<lb/> Gesetzes gebotenen Moralität." Gegen diese Behauptungen müssen wir pro-<lb/> testiren. Die Prämissen, aus denen der Verfasser dies ungünstige Urtheil<lb/> über unsere Verhältnisse ableitet, berechtigen dazu nicht. Wir geben es gerne<lb/> zu, daß die europäischen Einwanderer ein nahmhaftes Contingent zu der<lb/> Verbrecherzahl in Amerika stellen, aber sind dafür Kirche und Staat in Eu¬<lb/> ropa verantwortlich? Wäre es nicht ungerecht, wenn wir, falls Europa das<lb/> Land wäre, in welches sich die Geächteten Amerikas flüchteten, für die Verbrechen,<lb/> welche diese unfehlbar begehen würden, das Freikirchensystem Amerikas verant-</p><lb/> <note xml:id="FID_146" place="foot"> ") Der Christuskirchc in Chicago.</note><lb/> <note xml:id="FID_147" place="foot"> ") Die Darstellung des Prozesses S, 60 ff. ist mit der hier S. 75 u. 76 gegebenen nicht<lb/> in Einklang.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0459]
iliren muß. Dieser Standpunkt wird durch viele in England und Amerika
vorgekommene Fälle unterstützt. Die Klage hat es zu thun mit einem Rector
der protestantischen bischöflichen Kirche,*) der unter den Gesetzen und der
Disciplin dieser Kirche steht, der von dieser gesetzmäßig abgeurtheilt und sei¬
nes Amtes entsetzt ist, der aber trotzdem fortfährt zu predigen, sich aus dem
Kirchenvermögen Gehalt zahlen zu lassen und das Pfarrhaus bewohnt. Ich
als Kanzler habe über Billigkeit oder Unbilligkeit des Verfahrens und der
Amtsentsetzung nicht zu urtheilen, ich muß beides vielmehr als rechtmäßig
anerkennen und die Gesetze demgemäß in Anwendung bringen; und diese ver¬
langen, daß eine rechtmäßige Amtsentsetzung dem abgesetzten Geistlichen die
Benutzung der Kanzel seiner Kirche und die Vornahme von Amtshandlungen
verbietet." '*) „Die Christuskirche in Chicago ist also ein integrirender Be¬
standtheil der bischöflichen Kirche geblieben; in anderen Fällen aber ist
entschieden worden, daß die Majorität einer Kirche das Recht hat, das
Glaubensbekenntniß zu ändern und doch ihr Vermögen zu behalten."
Wir haben das Referat über das vorliegende Buch bis auf einen Punkt
beendet, bis auf das Resultat, das kirchenpolitische Facit, zu dem uns der
Blick auf die hier gezeichneten Beziehungen zwischen Staat und Kirche ver¬
anlaßt. Das Auge des Autors scheint uns getrübt, wenn er, ohne Ein¬
schränkung, also doch wohlzustimmend, sagt: „Daher herrscht in Amerika das
Gefühl, daß das System der Staatsreligionen in der Praxis zum Heidenthum
und zum Unglauben hinführt, daß die Erziehung unter seinem Einfluß, statt
eines persönlichen lebendigen Glaubens nur Dogmen- und Formekram bietet,
und daß sein Zwang und seine Verbote nur eine Reaction gegen allen Glau¬
ben erzielen, während das amerikanische System der Religionsfreiheit in den
Mitgliedern der Kirchen das Gefühl persönlicher Verantwortlichkeit zur Ent¬
wicklung bringt, so wie den Drang zur Bethätigung der Religion weckt, und
die Gesellschaft durchtränkt mit einem gesunden Sittlichkeitsgefühl, welches hin¬
wiederum den Staat unterstützt bei der Durchführung der durch Autorität des
Gesetzes gebotenen Moralität." Gegen diese Behauptungen müssen wir pro-
testiren. Die Prämissen, aus denen der Verfasser dies ungünstige Urtheil
über unsere Verhältnisse ableitet, berechtigen dazu nicht. Wir geben es gerne
zu, daß die europäischen Einwanderer ein nahmhaftes Contingent zu der
Verbrecherzahl in Amerika stellen, aber sind dafür Kirche und Staat in Eu¬
ropa verantwortlich? Wäre es nicht ungerecht, wenn wir, falls Europa das
Land wäre, in welches sich die Geächteten Amerikas flüchteten, für die Verbrechen,
welche diese unfehlbar begehen würden, das Freikirchensystem Amerikas verant-
") Der Christuskirchc in Chicago.
") Die Darstellung des Prozesses S, 60 ff. ist mit der hier S. 75 u. 76 gegebenen nicht
in Einklang.
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