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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Einzelstaates noch nicht im Einklang mit jenen Verfassungsbestimmungen.
Wird doch hier und da der Glaube an das Dasein eines Gottes und einen
künftigen Zustand der Belohnung und Bestrafung als Qualifikation zur Er¬
langung öffentlicher Aemter und zur gerichtlichen Zeugnißfähigkeit gefordert.
Am radikalsten dagegen scheint die Verfassung von New-Jersey das Princip
jener konstitutiven Paragraphen ausgesprochen zu haben, die bestimmt, "daß
keine Religionssekte vor einer andern den Vorzug haben, daß keinerlei Re¬
ligionserklärung als Qualifikation zu einem Staatsamt oder einer Vertrauens¬
stellung gefordert werden solle, und daß Niemand wegen seiner religiösen
Prinzipien in dem Genuß irgend eines bürgerlichen Rechtes geschädigt werden
solle." Aber ist die Gesammtregierung der Vereinigten Staaten in ihren
Ordnungen und in ihren Handlungen jenen Grundsätzen treu geblieben? In
unserer Schrift findet sich ein Abschnitt mit der Überschrift: Gelegentliche
Beziehungen des Staates zur Religion. Zu diesen gehört in erster Linie der
Eid. Der Präsident erklärt vor Antritt seines Amtes: "Ich schwöre (oder
auch nur ich gelobe), daß ich getreulich das Amt eines Präsidenten der Ver¬
einigten Staaten sühren und nach besten Kräften die Verfassung der Vereinig¬
ten Staaten aufrecht erhalten, schützen und vertheidigen will." Ebenso ge¬
loben eidlich die Senatoren, die Repräsentanten des Nationalkongresses, so¬
wie die Mitglieder der Legislative der Einzelstaaten, und alle richterlichen und
Exekutivbeamten der Union wie der Einzelstaaten die Aufrechthaltung der
Konstitution. Es ist richtig, daß der Eid des Präsidenten keinerlei religiöse
Ceremonien oder Anrufungen enthält, aber hört der Eid oder das Gelübde
dadurch auf, eine religiös-sittliche Handlung zu sein? Gewiß nicht! Der Staat,
welcher einen Eid von seinen Beamten fordert, verlangt damit von denselben
eine Bethätigung ihrer religiös-sittlichen Gesinnung. Doch wollen wir gern
zugeben, daß die religiöse Seite des Eides in der Union soviel wie möglich in
den Hintergrund geschoben wird. Dagegen tritt unläugbar ein religiöser, ja
noch mehr christlich-kirchlicher Charakterzug in den Institutionen vor, welche
dem öffentlichen Leben der Nation eine höhere Weihe geben wollen. Der
Sonntag ist öffentlicher Feiertag und Ruhetag, einige Staaten schützen ihn
durch strenge Gesetze. Die Gesammtverfassung erkennt ihn indirekt an, wenn
sie erklärt: "Wenn eine Bill vom Präsidenten nicht innerhalb 10 Tagen
(der Sonntag nicht gerechnet), nachdem sie ihm zugestellt ist, zurückkommt,
so soll sie eben so gut Gesetzeskraft erlangen, als wenn er sie unterzeichnet
hätte." Diese Thatsache sucht Thompson dadurch mit dem Prinzip der reli¬
giösen Indifferenz des Staates in Einklang zu bringen, daß er erklärt: "So¬
weit sie (d. h. die Sonntagsgesetze) von den Gerichtshöfen zur Diskussion ge¬
zogen sind, sind sie besonders aus zwei Gründen vertheidigt worden: erstens
wegen des Rechtes der Bürger auf Ungestörtheit in ihrem öffentlichen Gottes-


Einzelstaates noch nicht im Einklang mit jenen Verfassungsbestimmungen.
Wird doch hier und da der Glaube an das Dasein eines Gottes und einen
künftigen Zustand der Belohnung und Bestrafung als Qualifikation zur Er¬
langung öffentlicher Aemter und zur gerichtlichen Zeugnißfähigkeit gefordert.
Am radikalsten dagegen scheint die Verfassung von New-Jersey das Princip
jener konstitutiven Paragraphen ausgesprochen zu haben, die bestimmt, „daß
keine Religionssekte vor einer andern den Vorzug haben, daß keinerlei Re¬
ligionserklärung als Qualifikation zu einem Staatsamt oder einer Vertrauens¬
stellung gefordert werden solle, und daß Niemand wegen seiner religiösen
Prinzipien in dem Genuß irgend eines bürgerlichen Rechtes geschädigt werden
solle." Aber ist die Gesammtregierung der Vereinigten Staaten in ihren
Ordnungen und in ihren Handlungen jenen Grundsätzen treu geblieben? In
unserer Schrift findet sich ein Abschnitt mit der Überschrift: Gelegentliche
Beziehungen des Staates zur Religion. Zu diesen gehört in erster Linie der
Eid. Der Präsident erklärt vor Antritt seines Amtes: „Ich schwöre (oder
auch nur ich gelobe), daß ich getreulich das Amt eines Präsidenten der Ver¬
einigten Staaten sühren und nach besten Kräften die Verfassung der Vereinig¬
ten Staaten aufrecht erhalten, schützen und vertheidigen will." Ebenso ge¬
loben eidlich die Senatoren, die Repräsentanten des Nationalkongresses, so¬
wie die Mitglieder der Legislative der Einzelstaaten, und alle richterlichen und
Exekutivbeamten der Union wie der Einzelstaaten die Aufrechthaltung der
Konstitution. Es ist richtig, daß der Eid des Präsidenten keinerlei religiöse
Ceremonien oder Anrufungen enthält, aber hört der Eid oder das Gelübde
dadurch auf, eine religiös-sittliche Handlung zu sein? Gewiß nicht! Der Staat,
welcher einen Eid von seinen Beamten fordert, verlangt damit von denselben
eine Bethätigung ihrer religiös-sittlichen Gesinnung. Doch wollen wir gern
zugeben, daß die religiöse Seite des Eides in der Union soviel wie möglich in
den Hintergrund geschoben wird. Dagegen tritt unläugbar ein religiöser, ja
noch mehr christlich-kirchlicher Charakterzug in den Institutionen vor, welche
dem öffentlichen Leben der Nation eine höhere Weihe geben wollen. Der
Sonntag ist öffentlicher Feiertag und Ruhetag, einige Staaten schützen ihn
durch strenge Gesetze. Die Gesammtverfassung erkennt ihn indirekt an, wenn
sie erklärt: „Wenn eine Bill vom Präsidenten nicht innerhalb 10 Tagen
(der Sonntag nicht gerechnet), nachdem sie ihm zugestellt ist, zurückkommt,
so soll sie eben so gut Gesetzeskraft erlangen, als wenn er sie unterzeichnet
hätte." Diese Thatsache sucht Thompson dadurch mit dem Prinzip der reli¬
giösen Indifferenz des Staates in Einklang zu bringen, daß er erklärt: „So¬
weit sie (d. h. die Sonntagsgesetze) von den Gerichtshöfen zur Diskussion ge¬
zogen sind, sind sie besonders aus zwei Gründen vertheidigt worden: erstens
wegen des Rechtes der Bürger auf Ungestörtheit in ihrem öffentlichen Gottes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/450>, abgerufen am 06.02.2025.