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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Aber auch die Zwischenzeit zwischen dem vorigen und dem neuen Landtage
hat mancherlei Material für eine, allerdings vorzugsweise oppositionelle und
Polemische Thätigkeit der liberalen Partei angesammelt. In der berufenen
Amtsblätterfrage sind jedenfalls Beschwerden bei der II. Kammer zu erwarten,
deren die liberale Partei im Interesse der Unabhängigkeit und Freiheit der
Presse sich nachdrücklich wird annehmen müssen. Zu eben solchen Beschwerden
wird möglicherweise der Conflict des Stadtraths zu Dresden mit der Kreis-
direction und dem Cultusministerium wegen des Hanneschen Falles Anlaß
geben, denn, so lange derartige Angelegenheiten von weltlichen Behörden
entschieden werden, so lange steht auch den Ständen ein Cognitions- und
Controlrecht über diese Entscheidungen zu. Das Gebaren eines Theils der
katholischen Geistlichkeit in Sachsen, die mehr als kecke Art, wie in dem
Potthoff'schen "Kathol. Kirchenblatt zunächst für Sachsen" die Verkündigung
des Unfehlbarkeitsdogmas, trotz des nicht dazu ertheilten Königl. Planet als
dennoch mit voller Wirkung erfolgt triumphirend ausposaunt ward, dies und
Aehnliches mehr wird von der liberalen Partei nicht unberührt gelassen
werden können.

Außerdem versteht es sich von selbst, daß bezüglich der Controle der
Staatsverwaltung -- beim Budget und sonst -- die liberale Partei in ihrer
Strenge gegenüber sowohl etwaigen bureaukratischen Eingriffen in die Freiheit
der Einzelnen oder die Selbstverwaltung der Gemeinden, als etwaigen Ver¬
nachlässigungen des allgemeinen Landeswohls nicht nachlassen darf, ja daß
sie darin um so strenger und um so vorsichtiger wird zu Werke gehen müssen,
je mehr die officiöse Presse mit dem für die Negierung in Anspruch genommenen
Monopol, als ob nur sie "für das Beste des Landes sorge", jede Anzweifelung
der jeweiligen Regierungspolitik kurzweg niederschlagen zu wollen Miene
macht. Einer Regierung, deren politische Gesammthaltung der liberalen
Partei Vertrauen einflößt, mag diese auch in den Details der Verwaltung
manches vertrauensvoll überlassen und nachsehen; wo jene Gesammthaltung
Befürchtungen erweckt, da muß die Controle auch im Einzelnen desto strenger
sein. Nach allen diesen Richtungen wird also die liberale Partei Sachsens
im neuen Landtage als eine Oppositionspartei aufzutreten sich gedrungen
fühlen. Auf dem vorigen Landtage hatte sie die Stellung und Haltung, wenn
nicht einer "Regierungspartei", doch einer in vielen und wichtigen Fragen
mit der Regierung gehenden "regierungsfreundlichen" Partei. Noch im
Landtagsabschiede ward dieses erfreuliche Verhältniß zwischen der Negierung
und der Majorität der Volkskammer -- und das war die liberale Partei ---
vom Throne selbst aus in einer Weise proclamirt, die im ganzen Lande den
besten Eindruck hervorbrachte.

Aber den Ministern scheint bange geworden zu sein, daß sie in den


Grenzboten 187ö. III. 65

Aber auch die Zwischenzeit zwischen dem vorigen und dem neuen Landtage
hat mancherlei Material für eine, allerdings vorzugsweise oppositionelle und
Polemische Thätigkeit der liberalen Partei angesammelt. In der berufenen
Amtsblätterfrage sind jedenfalls Beschwerden bei der II. Kammer zu erwarten,
deren die liberale Partei im Interesse der Unabhängigkeit und Freiheit der
Presse sich nachdrücklich wird annehmen müssen. Zu eben solchen Beschwerden
wird möglicherweise der Conflict des Stadtraths zu Dresden mit der Kreis-
direction und dem Cultusministerium wegen des Hanneschen Falles Anlaß
geben, denn, so lange derartige Angelegenheiten von weltlichen Behörden
entschieden werden, so lange steht auch den Ständen ein Cognitions- und
Controlrecht über diese Entscheidungen zu. Das Gebaren eines Theils der
katholischen Geistlichkeit in Sachsen, die mehr als kecke Art, wie in dem
Potthoff'schen „Kathol. Kirchenblatt zunächst für Sachsen" die Verkündigung
des Unfehlbarkeitsdogmas, trotz des nicht dazu ertheilten Königl. Planet als
dennoch mit voller Wirkung erfolgt triumphirend ausposaunt ward, dies und
Aehnliches mehr wird von der liberalen Partei nicht unberührt gelassen
werden können.

Außerdem versteht es sich von selbst, daß bezüglich der Controle der
Staatsverwaltung — beim Budget und sonst — die liberale Partei in ihrer
Strenge gegenüber sowohl etwaigen bureaukratischen Eingriffen in die Freiheit
der Einzelnen oder die Selbstverwaltung der Gemeinden, als etwaigen Ver¬
nachlässigungen des allgemeinen Landeswohls nicht nachlassen darf, ja daß
sie darin um so strenger und um so vorsichtiger wird zu Werke gehen müssen,
je mehr die officiöse Presse mit dem für die Negierung in Anspruch genommenen
Monopol, als ob nur sie „für das Beste des Landes sorge", jede Anzweifelung
der jeweiligen Regierungspolitik kurzweg niederschlagen zu wollen Miene
macht. Einer Regierung, deren politische Gesammthaltung der liberalen
Partei Vertrauen einflößt, mag diese auch in den Details der Verwaltung
manches vertrauensvoll überlassen und nachsehen; wo jene Gesammthaltung
Befürchtungen erweckt, da muß die Controle auch im Einzelnen desto strenger
sein. Nach allen diesen Richtungen wird also die liberale Partei Sachsens
im neuen Landtage als eine Oppositionspartei aufzutreten sich gedrungen
fühlen. Auf dem vorigen Landtage hatte sie die Stellung und Haltung, wenn
nicht einer „Regierungspartei", doch einer in vielen und wichtigen Fragen
mit der Regierung gehenden „regierungsfreundlichen" Partei. Noch im
Landtagsabschiede ward dieses erfreuliche Verhältniß zwischen der Negierung
und der Majorität der Volkskammer — und das war die liberale Partei —-
vom Throne selbst aus in einer Weise proclamirt, die im ganzen Lande den
besten Eindruck hervorbrachte.

Aber den Ministern scheint bange geworden zu sein, daß sie in den


Grenzboten 187ö. III. 65
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[0441] Aber auch die Zwischenzeit zwischen dem vorigen und dem neuen Landtage hat mancherlei Material für eine, allerdings vorzugsweise oppositionelle und Polemische Thätigkeit der liberalen Partei angesammelt. In der berufenen Amtsblätterfrage sind jedenfalls Beschwerden bei der II. Kammer zu erwarten, deren die liberale Partei im Interesse der Unabhängigkeit und Freiheit der Presse sich nachdrücklich wird annehmen müssen. Zu eben solchen Beschwerden wird möglicherweise der Conflict des Stadtraths zu Dresden mit der Kreis- direction und dem Cultusministerium wegen des Hanneschen Falles Anlaß geben, denn, so lange derartige Angelegenheiten von weltlichen Behörden entschieden werden, so lange steht auch den Ständen ein Cognitions- und Controlrecht über diese Entscheidungen zu. Das Gebaren eines Theils der katholischen Geistlichkeit in Sachsen, die mehr als kecke Art, wie in dem Potthoff'schen „Kathol. Kirchenblatt zunächst für Sachsen" die Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas, trotz des nicht dazu ertheilten Königl. Planet als dennoch mit voller Wirkung erfolgt triumphirend ausposaunt ward, dies und Aehnliches mehr wird von der liberalen Partei nicht unberührt gelassen werden können. Außerdem versteht es sich von selbst, daß bezüglich der Controle der Staatsverwaltung — beim Budget und sonst — die liberale Partei in ihrer Strenge gegenüber sowohl etwaigen bureaukratischen Eingriffen in die Freiheit der Einzelnen oder die Selbstverwaltung der Gemeinden, als etwaigen Ver¬ nachlässigungen des allgemeinen Landeswohls nicht nachlassen darf, ja daß sie darin um so strenger und um so vorsichtiger wird zu Werke gehen müssen, je mehr die officiöse Presse mit dem für die Negierung in Anspruch genommenen Monopol, als ob nur sie „für das Beste des Landes sorge", jede Anzweifelung der jeweiligen Regierungspolitik kurzweg niederschlagen zu wollen Miene macht. Einer Regierung, deren politische Gesammthaltung der liberalen Partei Vertrauen einflößt, mag diese auch in den Details der Verwaltung manches vertrauensvoll überlassen und nachsehen; wo jene Gesammthaltung Befürchtungen erweckt, da muß die Controle auch im Einzelnen desto strenger sein. Nach allen diesen Richtungen wird also die liberale Partei Sachsens im neuen Landtage als eine Oppositionspartei aufzutreten sich gedrungen fühlen. Auf dem vorigen Landtage hatte sie die Stellung und Haltung, wenn nicht einer „Regierungspartei", doch einer in vielen und wichtigen Fragen mit der Regierung gehenden „regierungsfreundlichen" Partei. Noch im Landtagsabschiede ward dieses erfreuliche Verhältniß zwischen der Negierung und der Majorität der Volkskammer — und das war die liberale Partei —- vom Throne selbst aus in einer Weise proclamirt, die im ganzen Lande den besten Eindruck hervorbrachte. Aber den Ministern scheint bange geworden zu sein, daß sie in den Grenzboten 187ö. III. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/441>, abgerufen am 06.02.2025.