Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.doch den liberalen Theil des Volks hinter sich zu haben, sicher ist. Zweifelhaft ist nun aber wieder, was hier zu geschehen habe und geschehen Aber die liberale Partei wird sich auch nicht damit zufrieden geben Alles dies sind Aufgaben, die der liberalen Partei im neuen Landtage doch den liberalen Theil des Volks hinter sich zu haben, sicher ist. Zweifelhaft ist nun aber wieder, was hier zu geschehen habe und geschehen Aber die liberale Partei wird sich auch nicht damit zufrieden geben Alles dies sind Aufgaben, die der liberalen Partei im neuen Landtage <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193243"/> <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480"> doch den liberalen Theil des Volks hinter sich zu haben, sicher ist.<lb/> Ueber diese beiden Fragen wird die liberale Partei sehr vorsichtig mit sich zu<lb/> Rathe gehen müssen. Dahingegen wird die liberale Partei auf alle Fälle<lb/> nicht umhin können, der brennenden Frage wegen des § 92 direct und<lb/> unerschrocken ins Gesicht zu sehen. Es ist erfreulich, daß bereits ein liberaler<lb/> Candidat, Advokat Lohmann in Dresden, in seiner Wahlrede sich entschieden<lb/> dafür, daß dies geschehen müsse, ausgesprochen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1482"> Zweifelhaft ist nun aber wieder, was hier zu geschehen habe und geschehen<lb/> könne. Ein Antrag auf künftigen Wegfall des § 92 würde ^dann vielleicht<lb/> Aussicht auf praktischen Erfolg haben, wenn die Regierung demselben günstig<lb/> wäre; denn dann könnte die I. Kammer sich anständigerweise kaum widersehen,<lb/> da § 92 ja auch ihre Selbständigkett bedroht und schon öfters bedroht hat.<lb/> Aber es ist kaum anzunehmen, daß die Negierung jetzt für Aufhebung des<lb/> § 92 sein werde, wenngleich Herr v. Friesen erklärt hat, man würde<lb/> einen solchen Paragraphen kaum aufnehmen, wenn es sich nig legs terencla<lb/> handelte. Jetzt den § 92 aufheben, nachdem sie eben erst davon einen so<lb/> eclatanten, so hart angefochtenen Gebrauch gemacht hat, hieße Seitens der<lb/> Regierung dieses ihr eignes Verfahren vollends ganz ins Unrecht stellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1483"> Aber die liberale Partei wird sich auch nicht damit zufrieden geben<lb/> dürfen, blos für die Zukunft gegen ähnliche Vergewaltigungen, wie sie durch<lb/> den § S2 jetzt erfahren hat, sich womöglich sicher zu stellen; sie ist es sich, sie ist<lb/> es ihren Vorgängern im vorigen Landtage schuldig, die Gesetzlichkeit des gegen<lb/> diese beobachteten Verfahrens einer strengen Prüfung zu unterziehen. Schon<lb/> beim vor. Landtage ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß ez 92 nur<lb/> sür „Gesetzesvorschläge" gilt, daß aber das Volksschulgesetz in der Form wie<lb/> es zuletzt aus der I. Kammer in die zweite zurückkam und von dieser mit<lb/> absoluter Mehrheit abgelehnt ward, nicht der ursprüngliche „Gesetzesvorschlag"<lb/> sondern etwas ganz Anderes war, ein Gemisch aus diesem und aus allerlei<lb/> von der I. Kammer dazu beschlossenen Abänderungsanträgen. Die juristischen<lb/> und staatsrechtlichen Sachkundigen der liberalen Partei werden zu erwägen<lb/> haben, ob und wie sie nachweisen zu können glauben, daß hier eine unberech¬<lb/> tigte, extensive Anwendung des § 92, folglich eine unrichtige Auslegung,<lb/> eine Überschreitung der Verfassung vorliege. Glauben sie dies nachweisen<lb/> zu können, so wird die Partei — wenn sie es auch zu einer Ministeranklage<lb/> schwerlich wird treiben wollen — wenigstens den andern milderen Weg zu<lb/> betreten, nicht umhin können, eine authentische Interpretation des § 92 durch<lb/> den Staatsgerichtshof, wie die Verfassung dies vorsieht, herbeizuführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1484"> Alles dies sind Aufgaben, die der liberalen Partei im neuen Landtage<lb/> als Erbschaft ihrer eignen Vergangenheit zufallen und denen sie sich nicht<lb/> wohl wird entziehen können.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0440]
doch den liberalen Theil des Volks hinter sich zu haben, sicher ist.
Ueber diese beiden Fragen wird die liberale Partei sehr vorsichtig mit sich zu
Rathe gehen müssen. Dahingegen wird die liberale Partei auf alle Fälle
nicht umhin können, der brennenden Frage wegen des § 92 direct und
unerschrocken ins Gesicht zu sehen. Es ist erfreulich, daß bereits ein liberaler
Candidat, Advokat Lohmann in Dresden, in seiner Wahlrede sich entschieden
dafür, daß dies geschehen müsse, ausgesprochen hat.
Zweifelhaft ist nun aber wieder, was hier zu geschehen habe und geschehen
könne. Ein Antrag auf künftigen Wegfall des § 92 würde ^dann vielleicht
Aussicht auf praktischen Erfolg haben, wenn die Regierung demselben günstig
wäre; denn dann könnte die I. Kammer sich anständigerweise kaum widersehen,
da § 92 ja auch ihre Selbständigkett bedroht und schon öfters bedroht hat.
Aber es ist kaum anzunehmen, daß die Negierung jetzt für Aufhebung des
§ 92 sein werde, wenngleich Herr v. Friesen erklärt hat, man würde
einen solchen Paragraphen kaum aufnehmen, wenn es sich nig legs terencla
handelte. Jetzt den § 92 aufheben, nachdem sie eben erst davon einen so
eclatanten, so hart angefochtenen Gebrauch gemacht hat, hieße Seitens der
Regierung dieses ihr eignes Verfahren vollends ganz ins Unrecht stellen.
Aber die liberale Partei wird sich auch nicht damit zufrieden geben
dürfen, blos für die Zukunft gegen ähnliche Vergewaltigungen, wie sie durch
den § S2 jetzt erfahren hat, sich womöglich sicher zu stellen; sie ist es sich, sie ist
es ihren Vorgängern im vorigen Landtage schuldig, die Gesetzlichkeit des gegen
diese beobachteten Verfahrens einer strengen Prüfung zu unterziehen. Schon
beim vor. Landtage ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß ez 92 nur
sür „Gesetzesvorschläge" gilt, daß aber das Volksschulgesetz in der Form wie
es zuletzt aus der I. Kammer in die zweite zurückkam und von dieser mit
absoluter Mehrheit abgelehnt ward, nicht der ursprüngliche „Gesetzesvorschlag"
sondern etwas ganz Anderes war, ein Gemisch aus diesem und aus allerlei
von der I. Kammer dazu beschlossenen Abänderungsanträgen. Die juristischen
und staatsrechtlichen Sachkundigen der liberalen Partei werden zu erwägen
haben, ob und wie sie nachweisen zu können glauben, daß hier eine unberech¬
tigte, extensive Anwendung des § 92, folglich eine unrichtige Auslegung,
eine Überschreitung der Verfassung vorliege. Glauben sie dies nachweisen
zu können, so wird die Partei — wenn sie es auch zu einer Ministeranklage
schwerlich wird treiben wollen — wenigstens den andern milderen Weg zu
betreten, nicht umhin können, eine authentische Interpretation des § 92 durch
den Staatsgerichtshof, wie die Verfassung dies vorsieht, herbeizuführen.
Alles dies sind Aufgaben, die der liberalen Partei im neuen Landtage
als Erbschaft ihrer eignen Vergangenheit zufallen und denen sie sich nicht
wohl wird entziehen können.
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