Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.unklar und schwankend zwischen Fortschritt und Stillstand, Zeitgemäßem und Wenn man das "Leipziger Programm" von 1869 in der einen, die Das Volksschulgesetz ist ja freilich in den wichtigsten Punkten gegen die unklar und schwankend zwischen Fortschritt und Stillstand, Zeitgemäßem und Wenn man das „Leipziger Programm" von 1869 in der einen, die Das Volksschulgesetz ist ja freilich in den wichtigsten Punkten gegen die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0439" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193242"/> <p xml:id="ID_1478" prev="#ID_1477"> unklar und schwankend zwischen Fortschritt und Stillstand, Zeitgemäßem und<lb/> Veralteten sich bewegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1479"> Wenn man das „Leipziger Programm" von 1869 in der einen, die<lb/> ständischen Verhandlungen von 1869/70 und 1871/2 oder das Gesetz- und<lb/> Verordnungsblatt der letzten Jahre in der andern Hand, die damals aufge¬<lb/> stellten liberalen Forderungen mit den seitdem erreichten gesetzgeberischen<lb/> Resultaten vergleicht, so sieht man, daß von jenen Forderungen die weitaus<lb/> meisten praktisch in Angriff genommen und, so weit dies möglich war, erreicht<lb/> sind, daß andre außer Frage kommen, weil ihre Objecte nicht mehr in das<lb/> Bereich der Landesgesetzgebung fallen, und daß es im Ganzen nur wenige<lb/> sind, die eines erneuten Anlaufes zu ihrer Erreichung bedürfen, oder einen<lb/> solchen als räthlich und aussichtverheißend erscheinen lassen. Die neuen<lb/> Gemeinde- und Bezirksverfassungen mögen nicht allen Wünschen entsprechen,<lb/> aber sie sind abgeschlossen und fertig und müssen nun in der Praxis erprobt<lb/> werden. Dafür kann die liberale Partei noch mancherlei thun, vielleicht beim<lb/> gegenwärtigen Landtage schon, wo ihr wenigstens die Möglichkeit gegeben<lb/> sein wird, bei Gelegenheit der Geldbewilligung für die neuen Amtshaupt¬<lb/> mannschaften u. f. w. nachdrücklichst Wünsche zu äußern, bez. Anträge zu<lb/> stellen, um namentlich dem vorzubeugen, daß durch ein übermäßiges Beamten-<lb/> Personal bei den Amts- und Kreishauptmannschaften der Vielschreiberei<lb/> wiederum Thor und Thür geöffnet werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1480" next="#ID_1481"> Das Volksschulgesetz ist ja freilich in den wichtigsten Punkten gegen die<lb/> Ansichten der Liberalen zu Stande gekommen. Indeß wird gegen dessen<lb/> Ausführung, nachdem dieselbe einmal mit Hülfe des § 92 der Verfassung<lb/> durchgesetzt ist, in nächster Zeit kaum viel zu machen sein. Allerdings könnte<lb/> die liberale Partei dazu noch einen letzten Anlauf nehmen, sie könnte die<lb/> Forderung für die Bezirksschulinspectoren, die das Ministerium an die Kammer<lb/> bringen muß, verweigern. Illegal wäre dieser Grund in keiner Weise, denn<lb/> Man kann ihr nicht zumuthen, die Mittel zur Ausführung eines Gesetzes zu<lb/> bewilligen, das auf solche Weise erzwungen, nicht durch freie Uebereinstimmung<lb/> Parlamentarischer Mehrheiten zu Stande gekommen ist. Ja schon das wäre voll¬<lb/> kommen innerhalb des parlamentarischen Herkommens, wenn die liberale Partei<lb/> erklärte, einem Minister kein Geld bewilligen zu können, der so gegen sie und nicht<lb/> blos gegen sie als Partei, sondern gegen die Mehrheit der Volkskammer, die<lb/> sie darstellt, verfahren ist. Ob es freilich opportun ist. so zu handeln, wird<lb/> einmal davon abhängen, ob die liberale Partei sich stark genug glaubt, jene<lb/> Bewilligung wirklich mit Erfolg ablehnen zu können (bekanntlich hat das<lb/> Ministerium auch für solche Fälle an dem § 103 der Verf.-Art. eine dem<lb/> § 92 entsprechende Handhabe zur Unwirksammachung eines ständischen<lb/> Votums), sodann davon, ob sie bei einem solchen Vorgehen das Land oder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0439]
unklar und schwankend zwischen Fortschritt und Stillstand, Zeitgemäßem und
Veralteten sich bewegt.
Wenn man das „Leipziger Programm" von 1869 in der einen, die
ständischen Verhandlungen von 1869/70 und 1871/2 oder das Gesetz- und
Verordnungsblatt der letzten Jahre in der andern Hand, die damals aufge¬
stellten liberalen Forderungen mit den seitdem erreichten gesetzgeberischen
Resultaten vergleicht, so sieht man, daß von jenen Forderungen die weitaus
meisten praktisch in Angriff genommen und, so weit dies möglich war, erreicht
sind, daß andre außer Frage kommen, weil ihre Objecte nicht mehr in das
Bereich der Landesgesetzgebung fallen, und daß es im Ganzen nur wenige
sind, die eines erneuten Anlaufes zu ihrer Erreichung bedürfen, oder einen
solchen als räthlich und aussichtverheißend erscheinen lassen. Die neuen
Gemeinde- und Bezirksverfassungen mögen nicht allen Wünschen entsprechen,
aber sie sind abgeschlossen und fertig und müssen nun in der Praxis erprobt
werden. Dafür kann die liberale Partei noch mancherlei thun, vielleicht beim
gegenwärtigen Landtage schon, wo ihr wenigstens die Möglichkeit gegeben
sein wird, bei Gelegenheit der Geldbewilligung für die neuen Amtshaupt¬
mannschaften u. f. w. nachdrücklichst Wünsche zu äußern, bez. Anträge zu
stellen, um namentlich dem vorzubeugen, daß durch ein übermäßiges Beamten-
Personal bei den Amts- und Kreishauptmannschaften der Vielschreiberei
wiederum Thor und Thür geöffnet werden.
Das Volksschulgesetz ist ja freilich in den wichtigsten Punkten gegen die
Ansichten der Liberalen zu Stande gekommen. Indeß wird gegen dessen
Ausführung, nachdem dieselbe einmal mit Hülfe des § 92 der Verfassung
durchgesetzt ist, in nächster Zeit kaum viel zu machen sein. Allerdings könnte
die liberale Partei dazu noch einen letzten Anlauf nehmen, sie könnte die
Forderung für die Bezirksschulinspectoren, die das Ministerium an die Kammer
bringen muß, verweigern. Illegal wäre dieser Grund in keiner Weise, denn
Man kann ihr nicht zumuthen, die Mittel zur Ausführung eines Gesetzes zu
bewilligen, das auf solche Weise erzwungen, nicht durch freie Uebereinstimmung
Parlamentarischer Mehrheiten zu Stande gekommen ist. Ja schon das wäre voll¬
kommen innerhalb des parlamentarischen Herkommens, wenn die liberale Partei
erklärte, einem Minister kein Geld bewilligen zu können, der so gegen sie und nicht
blos gegen sie als Partei, sondern gegen die Mehrheit der Volkskammer, die
sie darstellt, verfahren ist. Ob es freilich opportun ist. so zu handeln, wird
einmal davon abhängen, ob die liberale Partei sich stark genug glaubt, jene
Bewilligung wirklich mit Erfolg ablehnen zu können (bekanntlich hat das
Ministerium auch für solche Fälle an dem § 103 der Verf.-Art. eine dem
§ 92 entsprechende Handhabe zur Unwirksammachung eines ständischen
Votums), sodann davon, ob sie bei einem solchen Vorgehen das Land oder
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