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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Und diese waren Legion. Den Führern des "Stimmviehs" wurde einem Je¬
den eine breite Landstraße an seinem Hause vorbeigeführt, damit sie Kneip¬
wirthschaft halten, und die durstigen Wähler für ihr Geld, und für das des
Landes, regaliren konnten. Wer zur "Situation" (so nannte man die saubere
Wirthschaft) hielt, der durfte drauf gehen lassen, was er wollte. "Der liebe
Gott bezahlt Alles", hieß es. Hier aber war das Land, der Seckel der Steuer¬
zahler, der liebe Gott. Die wackeren Bauern machten Gesetze über Gesetze in
der Kammer, so liberal, v so liberal, d. h. sür die Bauern selbst, daß dem
Lande, den Bürgern, das Wasser dabei in die Augen trat. Sogar das liebe
Vieh der Bauern wurde aufs beste bedacht; sogar besser, als die lieben Kin¬
der derselben; denn für die Schulen wurde so wenig als möglich, wenn nicht
gar weniger als gar nichts, gethan. -- Ja doch! die weltlichen Schullehrerinnen
wurden eine nach der andern aus ihren Stellen hinausgedrückt, und dafür
Schwestern der christlichen Lehre eingeschwärzt. In den Gemeinden hatten
die Herren Pastöre die Oberhand, ja sie herrschten darin mit unumschränkter
Gewalt. Gefiel ein Schullehrer, eine Lehrerin, ein Gemeindeschreiber, ein Ge¬
meinde-Einnehmer, ja ein Bürgermeister selbst, dem Herrn Pastor nicht, dann:
"Marsch mit, ihm!" rief die liberale Negierung, und fort mußte derselbe, und
wäre es der beste und der letzte gewesen. --

Man hatte unterdessen, und zwar gegen das ausdrückliche Verbot des
Gesetzes, die Jesuiten in der Person von einem halben Dutzend von Redemp-
toristen ins Land gerufen. Der Anführer dieser Herren, der Pater Zobel,
wußte sich schon gleich im Anfang bei einer reichen, alten bigotten Dame ein-
zuschwärzen, und sich zu einem recht ansehnlichen Grundstück in der Haupt¬
stadt selbst zu verhelfen, das ihn weiter nichts kostete, als einige kräftige
Schilderungen von Himmel und Hölle und ein "Gott vergelt's!" Auf diesem
Grundstück, über welches noch bis auf den heutigen Tag arme Erben, die
leer ausgingen, bittere Thränen weinen, ward die prachtvolle Kirche und das
geräumige Kloster unserer Redemptoristen erbaut. -- Das Geld zu den Ge-
bäulichkeiten sollen die frommen Herren ebenfalls auf dem Wege des Bettels
zusammen gebracht haben. Heute ist das erschlichene Grundstück mit den Ge-
bäulichkeiten seine zwei- bis dreihunderttausend Franken unter Brüdern werth.
Ein Beweis, daß der Bettel noch lange nicht die schlechteste Profession ist.
Wie Schade, daß derselbe ausschließlich unseren geistlichen Herren erlaubt ist.
Für die eigentlichen Armen und nothdürftigen ist derselbe durch das Gesetz
aufs strengste verpönt. Nur unser Bischof und unsere Jesuiten dürfen das
Land durchbetteln. Sie haben das Monopol und machen Gebrauch davon.--

Um das Land nicht zur Ruhe und zum Nachdenken kommen zu lassen, wurde
unablässig in allen Kirchen des Landes für die Rückkehr des Herrn Laurent
nach Luxemburg gebetet. Die Herren Patres hielten ihre Missionen ab durchs


Und diese waren Legion. Den Führern des „Stimmviehs" wurde einem Je¬
den eine breite Landstraße an seinem Hause vorbeigeführt, damit sie Kneip¬
wirthschaft halten, und die durstigen Wähler für ihr Geld, und für das des
Landes, regaliren konnten. Wer zur „Situation" (so nannte man die saubere
Wirthschaft) hielt, der durfte drauf gehen lassen, was er wollte. „Der liebe
Gott bezahlt Alles", hieß es. Hier aber war das Land, der Seckel der Steuer¬
zahler, der liebe Gott. Die wackeren Bauern machten Gesetze über Gesetze in
der Kammer, so liberal, v so liberal, d. h. sür die Bauern selbst, daß dem
Lande, den Bürgern, das Wasser dabei in die Augen trat. Sogar das liebe
Vieh der Bauern wurde aufs beste bedacht; sogar besser, als die lieben Kin¬
der derselben; denn für die Schulen wurde so wenig als möglich, wenn nicht
gar weniger als gar nichts, gethan. — Ja doch! die weltlichen Schullehrerinnen
wurden eine nach der andern aus ihren Stellen hinausgedrückt, und dafür
Schwestern der christlichen Lehre eingeschwärzt. In den Gemeinden hatten
die Herren Pastöre die Oberhand, ja sie herrschten darin mit unumschränkter
Gewalt. Gefiel ein Schullehrer, eine Lehrerin, ein Gemeindeschreiber, ein Ge¬
meinde-Einnehmer, ja ein Bürgermeister selbst, dem Herrn Pastor nicht, dann:
„Marsch mit, ihm!" rief die liberale Negierung, und fort mußte derselbe, und
wäre es der beste und der letzte gewesen. —

Man hatte unterdessen, und zwar gegen das ausdrückliche Verbot des
Gesetzes, die Jesuiten in der Person von einem halben Dutzend von Redemp-
toristen ins Land gerufen. Der Anführer dieser Herren, der Pater Zobel,
wußte sich schon gleich im Anfang bei einer reichen, alten bigotten Dame ein-
zuschwärzen, und sich zu einem recht ansehnlichen Grundstück in der Haupt¬
stadt selbst zu verhelfen, das ihn weiter nichts kostete, als einige kräftige
Schilderungen von Himmel und Hölle und ein „Gott vergelt's!" Auf diesem
Grundstück, über welches noch bis auf den heutigen Tag arme Erben, die
leer ausgingen, bittere Thränen weinen, ward die prachtvolle Kirche und das
geräumige Kloster unserer Redemptoristen erbaut. — Das Geld zu den Ge-
bäulichkeiten sollen die frommen Herren ebenfalls auf dem Wege des Bettels
zusammen gebracht haben. Heute ist das erschlichene Grundstück mit den Ge-
bäulichkeiten seine zwei- bis dreihunderttausend Franken unter Brüdern werth.
Ein Beweis, daß der Bettel noch lange nicht die schlechteste Profession ist.
Wie Schade, daß derselbe ausschließlich unseren geistlichen Herren erlaubt ist.
Für die eigentlichen Armen und nothdürftigen ist derselbe durch das Gesetz
aufs strengste verpönt. Nur unser Bischof und unsere Jesuiten dürfen das
Land durchbetteln. Sie haben das Monopol und machen Gebrauch davon.—

Um das Land nicht zur Ruhe und zum Nachdenken kommen zu lassen, wurde
unablässig in allen Kirchen des Landes für die Rückkehr des Herrn Laurent
nach Luxemburg gebetet. Die Herren Patres hielten ihre Missionen ab durchs


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[0429] Und diese waren Legion. Den Führern des „Stimmviehs" wurde einem Je¬ den eine breite Landstraße an seinem Hause vorbeigeführt, damit sie Kneip¬ wirthschaft halten, und die durstigen Wähler für ihr Geld, und für das des Landes, regaliren konnten. Wer zur „Situation" (so nannte man die saubere Wirthschaft) hielt, der durfte drauf gehen lassen, was er wollte. „Der liebe Gott bezahlt Alles", hieß es. Hier aber war das Land, der Seckel der Steuer¬ zahler, der liebe Gott. Die wackeren Bauern machten Gesetze über Gesetze in der Kammer, so liberal, v so liberal, d. h. sür die Bauern selbst, daß dem Lande, den Bürgern, das Wasser dabei in die Augen trat. Sogar das liebe Vieh der Bauern wurde aufs beste bedacht; sogar besser, als die lieben Kin¬ der derselben; denn für die Schulen wurde so wenig als möglich, wenn nicht gar weniger als gar nichts, gethan. — Ja doch! die weltlichen Schullehrerinnen wurden eine nach der andern aus ihren Stellen hinausgedrückt, und dafür Schwestern der christlichen Lehre eingeschwärzt. In den Gemeinden hatten die Herren Pastöre die Oberhand, ja sie herrschten darin mit unumschränkter Gewalt. Gefiel ein Schullehrer, eine Lehrerin, ein Gemeindeschreiber, ein Ge¬ meinde-Einnehmer, ja ein Bürgermeister selbst, dem Herrn Pastor nicht, dann: „Marsch mit, ihm!" rief die liberale Negierung, und fort mußte derselbe, und wäre es der beste und der letzte gewesen. — Man hatte unterdessen, und zwar gegen das ausdrückliche Verbot des Gesetzes, die Jesuiten in der Person von einem halben Dutzend von Redemp- toristen ins Land gerufen. Der Anführer dieser Herren, der Pater Zobel, wußte sich schon gleich im Anfang bei einer reichen, alten bigotten Dame ein- zuschwärzen, und sich zu einem recht ansehnlichen Grundstück in der Haupt¬ stadt selbst zu verhelfen, das ihn weiter nichts kostete, als einige kräftige Schilderungen von Himmel und Hölle und ein „Gott vergelt's!" Auf diesem Grundstück, über welches noch bis auf den heutigen Tag arme Erben, die leer ausgingen, bittere Thränen weinen, ward die prachtvolle Kirche und das geräumige Kloster unserer Redemptoristen erbaut. — Das Geld zu den Ge- bäulichkeiten sollen die frommen Herren ebenfalls auf dem Wege des Bettels zusammen gebracht haben. Heute ist das erschlichene Grundstück mit den Ge- bäulichkeiten seine zwei- bis dreihunderttausend Franken unter Brüdern werth. Ein Beweis, daß der Bettel noch lange nicht die schlechteste Profession ist. Wie Schade, daß derselbe ausschließlich unseren geistlichen Herren erlaubt ist. Für die eigentlichen Armen und nothdürftigen ist derselbe durch das Gesetz aufs strengste verpönt. Nur unser Bischof und unsere Jesuiten dürfen das Land durchbetteln. Sie haben das Monopol und machen Gebrauch davon.— Um das Land nicht zur Ruhe und zum Nachdenken kommen zu lassen, wurde unablässig in allen Kirchen des Landes für die Rückkehr des Herrn Laurent nach Luxemburg gebetet. Die Herren Patres hielten ihre Missionen ab durchs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/429>, abgerufen am 06.02.2025.