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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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heillos vernachlässigt worden waren, sollten der Versunkenheit entrissen und
auf die Höhe der Zeit erhoben werden. Ein besserer, leichterer Verkehr mit
angrenzenden Ländern der fortgeschritteneren Menschheit, sollte auch in unserem
kleinen, bis dahin gleichsam von der übrigen Welt abgeschlossenen Ländchen,
geschaffen werden. Das war zu viel des Lichtes für die Finsterlinge. Auch
ein kleines, sonst unbedeutendes Ländchen wie das unsrige, hat seine Wichtigkeit
für diese feinberechnenden, weitsehenden Unterjocher des menschlichen Geistes.
Und so rief denn im Jahre 1830 das ganze flache Land bei uns so laut es
konnte sein: "Viv<; 1a LolZe!", und brach dem angestammten Herrscher¬
hause den Eid der Treue, ganz wie "unsere Brüder"(!), die klerikalen
Wallonen und Flammänder. Welch eine Zeit! Herr Gott! wir erinnern uns
derselben noch wie von gestern her. Jede Selbstsucht, jede Ehr- und Herrsch¬
begierde, jede Habsucht fand bei dieser Zeit ihre Rechnung. Müßige, lungernde
und hungernde Advokaten wurden zu hohen Ehrenstellen, zu den einträglich¬
sten Aemtern berufen, und wurden reich und berühmt im Handumdrehen.
Die Hauptstadt Luxemburg, Dank ihrer preußischen Besatzung, blieb zwar dem
Landesfürsten treu; aber die jungen und alten ehr-, hab- und genußsüchtigen
Notabilitäten desertirten und gingen nach Belgien, um ihr Glück zu machen.
Die Hälfte unserer jungen Leute, hohen und niederen Standes, eilte nach
Belgien, um sich unter die dortigen "Freiheitshelden" gegen Holland an¬
werben zu lassen. Belgien wimmelt noch heute von Militärpersonen in und
außer dem Dienste, Luxemburgern von Geburt, welche in jener Zeit als Frei¬
willige in die Reihen der Aufrührerischen eingetreten sind. Die ganze Zeit
der Revolution war auf dem flachen Lande bei uns ein großes anhaltendes
Trinkgelage. Die Schenken und Kneipen vermehrten sich wie giftige Pilze
über Nacht. Nur verschwanden sie nicht wieder wie Pilze bei der wieder an¬
brechenden Tageshelle oder unter den glühenden Sonnenstrahlen des Mittags.
Vermögen entstanden im Handumdrehen, wovon sich die guten Schenkwirthe
nie hatten träumen lassen. Wo kam all das Geld her? Vom Markte des
Lebens. Alles hatte seinen Preis. Alles wurde feil geboten, verkauft und
gekauft, die Treue, das Gewissen, das Blut der Landeskinder, der Verrath,
der Meineid. "Vive 1a LslM!" hieß die Losung.


"Da avimt! marelions
"Loutrv les vimons l
"H, ers-vers los bat-Mons
"Lourons vietoirv!"

hieß die Zauberformel, wodurch man die Gewissen in Schlaf lullte und die
Seelen kaufte.

Von jener Zeit datirt der unheilsame Einfluß einer gewissen dunkeln
Sippe bei uns, der noch bis auf den heutigen Tag nicht wieder gebrochen


heillos vernachlässigt worden waren, sollten der Versunkenheit entrissen und
auf die Höhe der Zeit erhoben werden. Ein besserer, leichterer Verkehr mit
angrenzenden Ländern der fortgeschritteneren Menschheit, sollte auch in unserem
kleinen, bis dahin gleichsam von der übrigen Welt abgeschlossenen Ländchen,
geschaffen werden. Das war zu viel des Lichtes für die Finsterlinge. Auch
ein kleines, sonst unbedeutendes Ländchen wie das unsrige, hat seine Wichtigkeit
für diese feinberechnenden, weitsehenden Unterjocher des menschlichen Geistes.
Und so rief denn im Jahre 1830 das ganze flache Land bei uns so laut es
konnte sein: „Viv<; 1a LolZe!", und brach dem angestammten Herrscher¬
hause den Eid der Treue, ganz wie „unsere Brüder"(!), die klerikalen
Wallonen und Flammänder. Welch eine Zeit! Herr Gott! wir erinnern uns
derselben noch wie von gestern her. Jede Selbstsucht, jede Ehr- und Herrsch¬
begierde, jede Habsucht fand bei dieser Zeit ihre Rechnung. Müßige, lungernde
und hungernde Advokaten wurden zu hohen Ehrenstellen, zu den einträglich¬
sten Aemtern berufen, und wurden reich und berühmt im Handumdrehen.
Die Hauptstadt Luxemburg, Dank ihrer preußischen Besatzung, blieb zwar dem
Landesfürsten treu; aber die jungen und alten ehr-, hab- und genußsüchtigen
Notabilitäten desertirten und gingen nach Belgien, um ihr Glück zu machen.
Die Hälfte unserer jungen Leute, hohen und niederen Standes, eilte nach
Belgien, um sich unter die dortigen „Freiheitshelden" gegen Holland an¬
werben zu lassen. Belgien wimmelt noch heute von Militärpersonen in und
außer dem Dienste, Luxemburgern von Geburt, welche in jener Zeit als Frei¬
willige in die Reihen der Aufrührerischen eingetreten sind. Die ganze Zeit
der Revolution war auf dem flachen Lande bei uns ein großes anhaltendes
Trinkgelage. Die Schenken und Kneipen vermehrten sich wie giftige Pilze
über Nacht. Nur verschwanden sie nicht wieder wie Pilze bei der wieder an¬
brechenden Tageshelle oder unter den glühenden Sonnenstrahlen des Mittags.
Vermögen entstanden im Handumdrehen, wovon sich die guten Schenkwirthe
nie hatten träumen lassen. Wo kam all das Geld her? Vom Markte des
Lebens. Alles hatte seinen Preis. Alles wurde feil geboten, verkauft und
gekauft, die Treue, das Gewissen, das Blut der Landeskinder, der Verrath,
der Meineid. „Vive 1a LslM!« hieß die Losung.


„Da avimt! marelions
„Loutrv les vimons l
„H, ers-vers los bat-Mons
„Lourons vietoirv!"

hieß die Zauberformel, wodurch man die Gewissen in Schlaf lullte und die
Seelen kaufte.

Von jener Zeit datirt der unheilsame Einfluß einer gewissen dunkeln
Sippe bei uns, der noch bis auf den heutigen Tag nicht wieder gebrochen


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[0423] heillos vernachlässigt worden waren, sollten der Versunkenheit entrissen und auf die Höhe der Zeit erhoben werden. Ein besserer, leichterer Verkehr mit angrenzenden Ländern der fortgeschritteneren Menschheit, sollte auch in unserem kleinen, bis dahin gleichsam von der übrigen Welt abgeschlossenen Ländchen, geschaffen werden. Das war zu viel des Lichtes für die Finsterlinge. Auch ein kleines, sonst unbedeutendes Ländchen wie das unsrige, hat seine Wichtigkeit für diese feinberechnenden, weitsehenden Unterjocher des menschlichen Geistes. Und so rief denn im Jahre 1830 das ganze flache Land bei uns so laut es konnte sein: „Viv<; 1a LolZe!", und brach dem angestammten Herrscher¬ hause den Eid der Treue, ganz wie „unsere Brüder"(!), die klerikalen Wallonen und Flammänder. Welch eine Zeit! Herr Gott! wir erinnern uns derselben noch wie von gestern her. Jede Selbstsucht, jede Ehr- und Herrsch¬ begierde, jede Habsucht fand bei dieser Zeit ihre Rechnung. Müßige, lungernde und hungernde Advokaten wurden zu hohen Ehrenstellen, zu den einträglich¬ sten Aemtern berufen, und wurden reich und berühmt im Handumdrehen. Die Hauptstadt Luxemburg, Dank ihrer preußischen Besatzung, blieb zwar dem Landesfürsten treu; aber die jungen und alten ehr-, hab- und genußsüchtigen Notabilitäten desertirten und gingen nach Belgien, um ihr Glück zu machen. Die Hälfte unserer jungen Leute, hohen und niederen Standes, eilte nach Belgien, um sich unter die dortigen „Freiheitshelden" gegen Holland an¬ werben zu lassen. Belgien wimmelt noch heute von Militärpersonen in und außer dem Dienste, Luxemburgern von Geburt, welche in jener Zeit als Frei¬ willige in die Reihen der Aufrührerischen eingetreten sind. Die ganze Zeit der Revolution war auf dem flachen Lande bei uns ein großes anhaltendes Trinkgelage. Die Schenken und Kneipen vermehrten sich wie giftige Pilze über Nacht. Nur verschwanden sie nicht wieder wie Pilze bei der wieder an¬ brechenden Tageshelle oder unter den glühenden Sonnenstrahlen des Mittags. Vermögen entstanden im Handumdrehen, wovon sich die guten Schenkwirthe nie hatten träumen lassen. Wo kam all das Geld her? Vom Markte des Lebens. Alles hatte seinen Preis. Alles wurde feil geboten, verkauft und gekauft, die Treue, das Gewissen, das Blut der Landeskinder, der Verrath, der Meineid. „Vive 1a LslM!« hieß die Losung. „Da avimt! marelions „Loutrv les vimons l „H, ers-vers los bat-Mons „Lourons vietoirv!" hieß die Zauberformel, wodurch man die Gewissen in Schlaf lullte und die Seelen kaufte. Von jener Zeit datirt der unheilsame Einfluß einer gewissen dunkeln Sippe bei uns, der noch bis auf den heutigen Tag nicht wieder gebrochen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/423>, abgerufen am 06.02.2025.