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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Sie haben einen weit besseren, leichteren und bequemeren Weg. Persien
ist heute ein halber Vasall Rußlands und die Complimente, die man dem
halbbarbarischen Schah in London machte, sind in Petersburg nur belächelt
worden, insofern sie dazu dienen sollten, den König der Könige etwa britischen
Interessen geneigt zu machen. Rußland ist eben der Grenznachbar Persiens,
das einen Durchzug durch seine nördliche Provinz Chorassan den Russen nicht
zu verhindern vermag. Durch Chorassan führt der Weg auf das afghanische
Herat und dann weiter nach Osten zum Indus. Herat und Afghanistan sind
daher die Schlüssel Indiens und deßhalb weist auch Vambery mit Nachdruck
auf die Bedeutung jener Stadt und auf die Wichtigkeit der Neutralisirung
Afghanistans hin. Rußland, so verlangt er im Interesse des Friedens und
der guten Nachbarschaft zwischen beiden Rivalen, soll eine Grenze angeben,
welche es nach Süden zu niemals überschreiten will, etwa den Lauf des Orus.
Theilweise ist diesem alten Verlangen Vambery's auch durch die Verhand¬
lungen zwischen den Cabineten von Petersburg und Se. James im Frühjahr
1873 nachgekommen worden und der Pester Professor kann mit Genugthuung
darauf hinweisen, "daß er wieder einmal Recht behalten". Weitere Belege,
daß ihm prophetischer Geist nicht abzusprechen ist, findet man mehrfach in sei¬
nem Buche, das trotz zahlreicher Einseitigkeiten uns doch am besten über die
großen in Centralasien spielenden politischen Fragen orientirt.

Was Indien schließlich betrifft, so glauben wir nicht, daß englische
Staatsmänner sich je mit dem Gedanken getragen haben, es werde in un¬
seren Tagen eine russische Armee in Schlachtordnung auf britischen Gebiete
erscheinen. Allein Staatsmänner beschränken ihre Aussicht nicht allein auf
eine derartige Möglichkeit und da Nußland bis heute auf einem höchst schwie-
rigen Boden Schritt für Schritt vorgedrungen ist und sogar die für un¬
nahbar gehaltenen Wüsten Chiwas jetzt bezwungen hat, fo ist es ganz natür¬
lich, wenn sein weiteres Vordringen, seine zukünftigen Absichten einen Gegen¬
stand weiterer Erörterungen bilden. Auch darf man nicht vergessen, daß bei
Fragen dieser Art das, was für möglich gilt, ebenso wichtig für die Erwä¬
gung ist, als das wirklich Mögliche. Der Gedanke an einen russischen Ein¬
fall nach Indien mag noch so ungereimt sein, er wird doch darauf hinwirken,
Indien in Gährung zu erhalten, ja er mag in Ermanglung der nöthigen
Vorsichtsmaßregeln dort Furcht und Bestürzung erzeugen. Es hat sich dies
auch in der That gezeigt, als die Russen jetzt nach Chiwa marschirten: In¬
dien folgte mit Spannung jedem Schritte derselben und war von unange¬
nehmen Empfindungen nicht frei.

Ein Punkt ist für die Engländer entscheidend und von der größten Wichtig¬
keit in dieser Sache. Wenn Indien jemals so durch und durch englisch in
seinen Gefühlen werden sollte, wie die Engländer es gerne möchten, dann


Sie haben einen weit besseren, leichteren und bequemeren Weg. Persien
ist heute ein halber Vasall Rußlands und die Complimente, die man dem
halbbarbarischen Schah in London machte, sind in Petersburg nur belächelt
worden, insofern sie dazu dienen sollten, den König der Könige etwa britischen
Interessen geneigt zu machen. Rußland ist eben der Grenznachbar Persiens,
das einen Durchzug durch seine nördliche Provinz Chorassan den Russen nicht
zu verhindern vermag. Durch Chorassan führt der Weg auf das afghanische
Herat und dann weiter nach Osten zum Indus. Herat und Afghanistan sind
daher die Schlüssel Indiens und deßhalb weist auch Vambery mit Nachdruck
auf die Bedeutung jener Stadt und auf die Wichtigkeit der Neutralisirung
Afghanistans hin. Rußland, so verlangt er im Interesse des Friedens und
der guten Nachbarschaft zwischen beiden Rivalen, soll eine Grenze angeben,
welche es nach Süden zu niemals überschreiten will, etwa den Lauf des Orus.
Theilweise ist diesem alten Verlangen Vambery's auch durch die Verhand¬
lungen zwischen den Cabineten von Petersburg und Se. James im Frühjahr
1873 nachgekommen worden und der Pester Professor kann mit Genugthuung
darauf hinweisen, „daß er wieder einmal Recht behalten". Weitere Belege,
daß ihm prophetischer Geist nicht abzusprechen ist, findet man mehrfach in sei¬
nem Buche, das trotz zahlreicher Einseitigkeiten uns doch am besten über die
großen in Centralasien spielenden politischen Fragen orientirt.

Was Indien schließlich betrifft, so glauben wir nicht, daß englische
Staatsmänner sich je mit dem Gedanken getragen haben, es werde in un¬
seren Tagen eine russische Armee in Schlachtordnung auf britischen Gebiete
erscheinen. Allein Staatsmänner beschränken ihre Aussicht nicht allein auf
eine derartige Möglichkeit und da Nußland bis heute auf einem höchst schwie-
rigen Boden Schritt für Schritt vorgedrungen ist und sogar die für un¬
nahbar gehaltenen Wüsten Chiwas jetzt bezwungen hat, fo ist es ganz natür¬
lich, wenn sein weiteres Vordringen, seine zukünftigen Absichten einen Gegen¬
stand weiterer Erörterungen bilden. Auch darf man nicht vergessen, daß bei
Fragen dieser Art das, was für möglich gilt, ebenso wichtig für die Erwä¬
gung ist, als das wirklich Mögliche. Der Gedanke an einen russischen Ein¬
fall nach Indien mag noch so ungereimt sein, er wird doch darauf hinwirken,
Indien in Gährung zu erhalten, ja er mag in Ermanglung der nöthigen
Vorsichtsmaßregeln dort Furcht und Bestürzung erzeugen. Es hat sich dies
auch in der That gezeigt, als die Russen jetzt nach Chiwa marschirten: In¬
dien folgte mit Spannung jedem Schritte derselben und war von unange¬
nehmen Empfindungen nicht frei.

Ein Punkt ist für die Engländer entscheidend und von der größten Wichtig¬
keit in dieser Sache. Wenn Indien jemals so durch und durch englisch in
seinen Gefühlen werden sollte, wie die Engländer es gerne möchten, dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/415>, abgerufen am 06.02.2025.