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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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brachten Schlägen ganz erholen können. Nachdem die Nachfolger jenes Schreckens
wieder anderthalb Jahrhundert über Transoxanien geherrscht, wurden sie
durch eine kaum minder furchtbare Völkergeißel abgelöst, durch Timur, der
Samarcand zu seiner Residenz machte und der mit seinen Tataren über einen
weiteren Raum unserer Erde erobernd hinschritt, als ein andererer Herrscher vor
oder nach ihm; denn seine Fahnen flatterten von Moskau bis Delhi. Wir er¬
halten bei Vambery auch stets neben der politischen Geschichte die Cultur¬
geschichte mit behandelt und so verweilt er denn im letzten Kapitel des ersten
Bandes besonders ausführlich bei Timur's Persönlichkeit und äußerer Er¬
scheinung; wir lernen dessen Sinn für Kunst und Wissenschaften kennen,
werden eingeführt in die Pracht und den Glanz seines Hofes, sehen -- nach
Clavijo's Berichten -- seine Prachtzelte, seine Trinkgelage und Frauen.

Dynastie löst Dynastie in raschem Wechsel ab. Im 16. Jahrhundert
stößt ein neuer Herrscher Timur's Nachfolger vom Thron, Sche'tbani, der mit
seinen özbegischen Nachfolgern bis zum 17. Jahrhundert über Transoxanien
herrscht. Die özbegische Invasion ist bemerkenswerth als die letzte jener gro¬
ßen Völkerbewegungen in Asien nach der Richtung unseres Kontinentes hin;
sie waren allmählig schwächer und kleiner geworden und das Emporwachsen der
gigantischen Macht Rußlands verlegte ihnen für alle Zeiten die Wege nach dem
Westen, ja der Gang der Ereignisse ward nun rückläufig, Geschichte und Völ¬
ker strömten nach dem Osten.

Es scheint, als ob eine Zeit lang die özbegischen Fürsten weise -und
fähige Regenten waren: doch nachdem ihre Dynastie erlosch, verlor sich mehr
und mehr die Wichtigkeit Transoxaniens, das von der übrigen Welt so gut
wie abgeschlossen war. Bochara indessen blieb immer die heilige Stadt, "der
Stützpunkt des Islam", ein Sitz orientalischer Künste und Wissenschaften,
eine Art Mekka Centralasiens. Seine Herrscher standen in fortwährenden
Beziehungen zu den Moguls von Hindostan, die damals im Zenith ihres
kurzen Glanztages standen. Jedoch das Land war vom Westen abgeschlossen;
es war für die türkischen Sultane in Konstantinopel fast eine unbekannte
Gegend; mit Europa stand es lange schon in keiner Handelsbeziehung mehr.
Die Entdeckung Amerikas, die Aufsindung des Seeweges nach Indien hatten
dem Handel neue Bahnen vorgeschrieben, er ging nicht mehr die große inner¬
asiatische Straße.

Die Geschichte der Folgezeit ist nur eine Geschichte des weiteren Verfalls
des Landes. Im Schlußkapitel behandelt Vambery das Auftreten der Russen,
deren Besitzergreifung vom bochariotischen Gebiete 18S3 beginnt und 1868
mit der Eroberung Samarcands endigt. "Von diesem Augenblicke an hat
dieses alte und ferne Land Asiens die Bahn der neuen Welt und der neuen
Ideen angetreten. Städte und Gegenden, die bis jetzt dem Abendländer ver-


brachten Schlägen ganz erholen können. Nachdem die Nachfolger jenes Schreckens
wieder anderthalb Jahrhundert über Transoxanien geherrscht, wurden sie
durch eine kaum minder furchtbare Völkergeißel abgelöst, durch Timur, der
Samarcand zu seiner Residenz machte und der mit seinen Tataren über einen
weiteren Raum unserer Erde erobernd hinschritt, als ein andererer Herrscher vor
oder nach ihm; denn seine Fahnen flatterten von Moskau bis Delhi. Wir er¬
halten bei Vambery auch stets neben der politischen Geschichte die Cultur¬
geschichte mit behandelt und so verweilt er denn im letzten Kapitel des ersten
Bandes besonders ausführlich bei Timur's Persönlichkeit und äußerer Er¬
scheinung; wir lernen dessen Sinn für Kunst und Wissenschaften kennen,
werden eingeführt in die Pracht und den Glanz seines Hofes, sehen — nach
Clavijo's Berichten — seine Prachtzelte, seine Trinkgelage und Frauen.

Dynastie löst Dynastie in raschem Wechsel ab. Im 16. Jahrhundert
stößt ein neuer Herrscher Timur's Nachfolger vom Thron, Sche'tbani, der mit
seinen özbegischen Nachfolgern bis zum 17. Jahrhundert über Transoxanien
herrscht. Die özbegische Invasion ist bemerkenswerth als die letzte jener gro¬
ßen Völkerbewegungen in Asien nach der Richtung unseres Kontinentes hin;
sie waren allmählig schwächer und kleiner geworden und das Emporwachsen der
gigantischen Macht Rußlands verlegte ihnen für alle Zeiten die Wege nach dem
Westen, ja der Gang der Ereignisse ward nun rückläufig, Geschichte und Völ¬
ker strömten nach dem Osten.

Es scheint, als ob eine Zeit lang die özbegischen Fürsten weise -und
fähige Regenten waren: doch nachdem ihre Dynastie erlosch, verlor sich mehr
und mehr die Wichtigkeit Transoxaniens, das von der übrigen Welt so gut
wie abgeschlossen war. Bochara indessen blieb immer die heilige Stadt, „der
Stützpunkt des Islam", ein Sitz orientalischer Künste und Wissenschaften,
eine Art Mekka Centralasiens. Seine Herrscher standen in fortwährenden
Beziehungen zu den Moguls von Hindostan, die damals im Zenith ihres
kurzen Glanztages standen. Jedoch das Land war vom Westen abgeschlossen;
es war für die türkischen Sultane in Konstantinopel fast eine unbekannte
Gegend; mit Europa stand es lange schon in keiner Handelsbeziehung mehr.
Die Entdeckung Amerikas, die Aufsindung des Seeweges nach Indien hatten
dem Handel neue Bahnen vorgeschrieben, er ging nicht mehr die große inner¬
asiatische Straße.

Die Geschichte der Folgezeit ist nur eine Geschichte des weiteren Verfalls
des Landes. Im Schlußkapitel behandelt Vambery das Auftreten der Russen,
deren Besitzergreifung vom bochariotischen Gebiete 18S3 beginnt und 1868
mit der Eroberung Samarcands endigt. „Von diesem Augenblicke an hat
dieses alte und ferne Land Asiens die Bahn der neuen Welt und der neuen
Ideen angetreten. Städte und Gegenden, die bis jetzt dem Abendländer ver-


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[0413] brachten Schlägen ganz erholen können. Nachdem die Nachfolger jenes Schreckens wieder anderthalb Jahrhundert über Transoxanien geherrscht, wurden sie durch eine kaum minder furchtbare Völkergeißel abgelöst, durch Timur, der Samarcand zu seiner Residenz machte und der mit seinen Tataren über einen weiteren Raum unserer Erde erobernd hinschritt, als ein andererer Herrscher vor oder nach ihm; denn seine Fahnen flatterten von Moskau bis Delhi. Wir er¬ halten bei Vambery auch stets neben der politischen Geschichte die Cultur¬ geschichte mit behandelt und so verweilt er denn im letzten Kapitel des ersten Bandes besonders ausführlich bei Timur's Persönlichkeit und äußerer Er¬ scheinung; wir lernen dessen Sinn für Kunst und Wissenschaften kennen, werden eingeführt in die Pracht und den Glanz seines Hofes, sehen — nach Clavijo's Berichten — seine Prachtzelte, seine Trinkgelage und Frauen. Dynastie löst Dynastie in raschem Wechsel ab. Im 16. Jahrhundert stößt ein neuer Herrscher Timur's Nachfolger vom Thron, Sche'tbani, der mit seinen özbegischen Nachfolgern bis zum 17. Jahrhundert über Transoxanien herrscht. Die özbegische Invasion ist bemerkenswerth als die letzte jener gro¬ ßen Völkerbewegungen in Asien nach der Richtung unseres Kontinentes hin; sie waren allmählig schwächer und kleiner geworden und das Emporwachsen der gigantischen Macht Rußlands verlegte ihnen für alle Zeiten die Wege nach dem Westen, ja der Gang der Ereignisse ward nun rückläufig, Geschichte und Völ¬ ker strömten nach dem Osten. Es scheint, als ob eine Zeit lang die özbegischen Fürsten weise -und fähige Regenten waren: doch nachdem ihre Dynastie erlosch, verlor sich mehr und mehr die Wichtigkeit Transoxaniens, das von der übrigen Welt so gut wie abgeschlossen war. Bochara indessen blieb immer die heilige Stadt, „der Stützpunkt des Islam", ein Sitz orientalischer Künste und Wissenschaften, eine Art Mekka Centralasiens. Seine Herrscher standen in fortwährenden Beziehungen zu den Moguls von Hindostan, die damals im Zenith ihres kurzen Glanztages standen. Jedoch das Land war vom Westen abgeschlossen; es war für die türkischen Sultane in Konstantinopel fast eine unbekannte Gegend; mit Europa stand es lange schon in keiner Handelsbeziehung mehr. Die Entdeckung Amerikas, die Aufsindung des Seeweges nach Indien hatten dem Handel neue Bahnen vorgeschrieben, er ging nicht mehr die große inner¬ asiatische Straße. Die Geschichte der Folgezeit ist nur eine Geschichte des weiteren Verfalls des Landes. Im Schlußkapitel behandelt Vambery das Auftreten der Russen, deren Besitzergreifung vom bochariotischen Gebiete 18S3 beginnt und 1868 mit der Eroberung Samarcands endigt. „Von diesem Augenblicke an hat dieses alte und ferne Land Asiens die Bahn der neuen Welt und der neuen Ideen angetreten. Städte und Gegenden, die bis jetzt dem Abendländer ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/413>, abgerufen am 06.02.2025.