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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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terre Samarcand zu verstehen haben -- in den frühesten Zeiten schon ein
Platz von Bedeutung war und neben seinem Rivalen Bochara als eine
der volkreichsten Städte des Ostens galt, bevor noch die Krieger Alexander's
des Großen bis tief in das Herz Asiens vordrangen. In der That, Klima,
Boden und Handel im fernen Osten sind alle geeignet, aus Turkestan ein
blühendes Reich zu schaffen, falls dort nur geordnete staatliche Zustände herr¬
schen und bevor dieses Land von skythischer Horden überwältigt wurde, scheint
dies auch der Fall gewesen zu sein. Wir erkennen hier wiederum die Wichtig¬
keit des Nassenelementes in der Geschichte, wie das Gedeihen und der Verfall
von Ländern und Staaten sich nicht blos an äußere Verhältnisse, sondern auch
an so eminent innere, wie das Blut und die Begabung der Völker knüpft. Vor
und nach der christlichen Aera scheint Transoranien von einer into-germani-
schen Rasse bevölkert gewesen zu sein, einem Zweig der großen iranischen (per¬
sischen) Familie. Von den weiten Steppen im Osten, die wir als Mongolei
bezeichnen, ergoß sich aber bald und zunächst in die Niederungen ein Strom
von Tataren, Türken. Der langwierige Streit zwischen "Iran" und "Tu-
ran" wurde sowohl in diesen abgeschiedenen Gegenden ausgefochten, wie in
besser gekannten Gegenden Asiens und die Religionen der Parsis wie Buddhas
waren die verschiedenen Bekenntnisse der Völker, die hier aufeinander trafen
und die, als sie sich vermischt hatten, die Bevölkerung Turkestans aus¬
machten.

Transoranien war in den Zeiten des römischen Reiches sicherlich die
große Heerstraße, auf der die Erzeugnisse des fernen Ostens nach Rom geführt
wurden, und eine Zeit lang scheint es auch das Centrum von einer ganzen
Reihe unabhängiger Staaten gewesen zu sein. Diese Region muß ohne Zwei¬
fel im fünften Jahrhundert die Bewegungen der skythischer Horden empfun¬
den haben und sie mag auch von den Hunnen Attilas durchzogen worden
sein. Mit der Zeit wurden dort die tatarischen Einwanderer die herrschende
Klasse und Vambery nimmt an, daß die Türken etwa Herren des ira¬
nischen Volkes geworden waren, als beide sich den hereinbrechenden Wogen
des Araberthums unterwerfen mußten. Transoranien wurde von Kute'ibe,
einem der größten mohammedanischen Häuptlinge des siebenten Jahrhunderts
erobert und orientalische Traditionen berichten uns, wie er das Herz der lieblichen
Königin gewann, die damals über Bochara regierte, wie er seine Waffen
bis über den Jaxartes trug und wie er sein arabisches Lager mit der Beute
füllte, die er aus den Städten an Chinas Grenze zurückbrachte. Von dieser
Zeit an wurde für anderthalb Jahrhundert lang Innerasien von den Cha-
lifen Bagdads regiert, die Bochara der Provinz Chorasan einverleibten. Die
Einwohner, gleichviel ob iranischer oder türkischer Abkunft, wurden gewungen,
den Glauben Mohammed's anzunehmen. Ein Zeitalter der Unordnung und


terre Samarcand zu verstehen haben — in den frühesten Zeiten schon ein
Platz von Bedeutung war und neben seinem Rivalen Bochara als eine
der volkreichsten Städte des Ostens galt, bevor noch die Krieger Alexander's
des Großen bis tief in das Herz Asiens vordrangen. In der That, Klima,
Boden und Handel im fernen Osten sind alle geeignet, aus Turkestan ein
blühendes Reich zu schaffen, falls dort nur geordnete staatliche Zustände herr¬
schen und bevor dieses Land von skythischer Horden überwältigt wurde, scheint
dies auch der Fall gewesen zu sein. Wir erkennen hier wiederum die Wichtig¬
keit des Nassenelementes in der Geschichte, wie das Gedeihen und der Verfall
von Ländern und Staaten sich nicht blos an äußere Verhältnisse, sondern auch
an so eminent innere, wie das Blut und die Begabung der Völker knüpft. Vor
und nach der christlichen Aera scheint Transoranien von einer into-germani-
schen Rasse bevölkert gewesen zu sein, einem Zweig der großen iranischen (per¬
sischen) Familie. Von den weiten Steppen im Osten, die wir als Mongolei
bezeichnen, ergoß sich aber bald und zunächst in die Niederungen ein Strom
von Tataren, Türken. Der langwierige Streit zwischen „Iran" und „Tu-
ran" wurde sowohl in diesen abgeschiedenen Gegenden ausgefochten, wie in
besser gekannten Gegenden Asiens und die Religionen der Parsis wie Buddhas
waren die verschiedenen Bekenntnisse der Völker, die hier aufeinander trafen
und die, als sie sich vermischt hatten, die Bevölkerung Turkestans aus¬
machten.

Transoranien war in den Zeiten des römischen Reiches sicherlich die
große Heerstraße, auf der die Erzeugnisse des fernen Ostens nach Rom geführt
wurden, und eine Zeit lang scheint es auch das Centrum von einer ganzen
Reihe unabhängiger Staaten gewesen zu sein. Diese Region muß ohne Zwei¬
fel im fünften Jahrhundert die Bewegungen der skythischer Horden empfun¬
den haben und sie mag auch von den Hunnen Attilas durchzogen worden
sein. Mit der Zeit wurden dort die tatarischen Einwanderer die herrschende
Klasse und Vambery nimmt an, daß die Türken etwa Herren des ira¬
nischen Volkes geworden waren, als beide sich den hereinbrechenden Wogen
des Araberthums unterwerfen mußten. Transoranien wurde von Kute'ibe,
einem der größten mohammedanischen Häuptlinge des siebenten Jahrhunderts
erobert und orientalische Traditionen berichten uns, wie er das Herz der lieblichen
Königin gewann, die damals über Bochara regierte, wie er seine Waffen
bis über den Jaxartes trug und wie er sein arabisches Lager mit der Beute
füllte, die er aus den Städten an Chinas Grenze zurückbrachte. Von dieser
Zeit an wurde für anderthalb Jahrhundert lang Innerasien von den Cha-
lifen Bagdads regiert, die Bochara der Provinz Chorasan einverleibten. Die
Einwohner, gleichviel ob iranischer oder türkischer Abkunft, wurden gewungen,
den Glauben Mohammed's anzunehmen. Ein Zeitalter der Unordnung und


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[0411] terre Samarcand zu verstehen haben — in den frühesten Zeiten schon ein Platz von Bedeutung war und neben seinem Rivalen Bochara als eine der volkreichsten Städte des Ostens galt, bevor noch die Krieger Alexander's des Großen bis tief in das Herz Asiens vordrangen. In der That, Klima, Boden und Handel im fernen Osten sind alle geeignet, aus Turkestan ein blühendes Reich zu schaffen, falls dort nur geordnete staatliche Zustände herr¬ schen und bevor dieses Land von skythischer Horden überwältigt wurde, scheint dies auch der Fall gewesen zu sein. Wir erkennen hier wiederum die Wichtig¬ keit des Nassenelementes in der Geschichte, wie das Gedeihen und der Verfall von Ländern und Staaten sich nicht blos an äußere Verhältnisse, sondern auch an so eminent innere, wie das Blut und die Begabung der Völker knüpft. Vor und nach der christlichen Aera scheint Transoranien von einer into-germani- schen Rasse bevölkert gewesen zu sein, einem Zweig der großen iranischen (per¬ sischen) Familie. Von den weiten Steppen im Osten, die wir als Mongolei bezeichnen, ergoß sich aber bald und zunächst in die Niederungen ein Strom von Tataren, Türken. Der langwierige Streit zwischen „Iran" und „Tu- ran" wurde sowohl in diesen abgeschiedenen Gegenden ausgefochten, wie in besser gekannten Gegenden Asiens und die Religionen der Parsis wie Buddhas waren die verschiedenen Bekenntnisse der Völker, die hier aufeinander trafen und die, als sie sich vermischt hatten, die Bevölkerung Turkestans aus¬ machten. Transoranien war in den Zeiten des römischen Reiches sicherlich die große Heerstraße, auf der die Erzeugnisse des fernen Ostens nach Rom geführt wurden, und eine Zeit lang scheint es auch das Centrum von einer ganzen Reihe unabhängiger Staaten gewesen zu sein. Diese Region muß ohne Zwei¬ fel im fünften Jahrhundert die Bewegungen der skythischer Horden empfun¬ den haben und sie mag auch von den Hunnen Attilas durchzogen worden sein. Mit der Zeit wurden dort die tatarischen Einwanderer die herrschende Klasse und Vambery nimmt an, daß die Türken etwa Herren des ira¬ nischen Volkes geworden waren, als beide sich den hereinbrechenden Wogen des Araberthums unterwerfen mußten. Transoranien wurde von Kute'ibe, einem der größten mohammedanischen Häuptlinge des siebenten Jahrhunderts erobert und orientalische Traditionen berichten uns, wie er das Herz der lieblichen Königin gewann, die damals über Bochara regierte, wie er seine Waffen bis über den Jaxartes trug und wie er sein arabisches Lager mit der Beute füllte, die er aus den Städten an Chinas Grenze zurückbrachte. Von dieser Zeit an wurde für anderthalb Jahrhundert lang Innerasien von den Cha- lifen Bagdads regiert, die Bochara der Provinz Chorasan einverleibten. Die Einwohner, gleichviel ob iranischer oder türkischer Abkunft, wurden gewungen, den Glauben Mohammed's anzunehmen. Ein Zeitalter der Unordnung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/411>, abgerufen am 06.02.2025.