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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Nation, die Höfe, der Adel, die Honoratioren und auch sie nur theilweise,
die sich der fremden Geistesherrschaft fügen: die breite Masse des Volkes bleibt
davon unberührt und von ihr aus fließt doch immer ein reichlicher Quell
leiblicher und geistiger Erneuerung in die fremdartig metamorphosirten Schichten
der oben darüber gelagerten Minorität. Aber seit 1815 steht es ganz anders:
die ideale Erhebung der Freiheitskriege schoß auf literarischem, künstlerischem
und socialem Gebiete über ihr Ziel hinaus, indem sie sich vorsetzte, den alten
wälschen Sauerteig aus Deutschland ganz auszufegen, statt ihn nur recht zu
vertheilen und dadurch ein leidlich schmackhaftes und leidlich gesundes Ge-
mengsel herzustellen. Es war ein wunderliches Unterfangen, das unserer
Deutschthümler und Franzosenfresser von damals, aber den Hohn und Spott,
die man bis heute in vollen Schalen darüber auszugießen Pflegt, hat es nur
darum verdient, weil es von und für Deutsche gewagt wurde. Nirgends in
der Welt war es weniger angebracht als bei uns und am allerwenigsten
gerade in der Hauptrichtung, die es haben sollte in seinem Kampfe gegen
das Franzosenthum. Unsere deutschen Don Quixote's haben von den Flügeln
der gallischen Windmühle mit Recht so fürchterliche Ohrfeigen empfangen, daß
der bei uns sonst so stark entwickelte Trieb irgend eine beliebige falsche Fährte
bis zum äußersten Ende mit gesinnungstüchtiger Hartköpsigkeit auszutreten,
in diesem Falle sehr bald und fast spurlos erlosch. Denn die schüchternen
Stimmen, die sich während des letzten Krieges gegen den Frack der deutschen
Männer und die TouM der deutschen Schönen hervorwagten, haben nur
während der Blokade unserer Mode-Hauptstadt Paris einigen Eindruck ge¬
macht, weil damals der Verkehr mit den an der Spitze der Civilisation mar-
schirenden Schneidern und Putzmacherinnen auf einige Monate leider fast
ganz abgeschnitten wurde. Jetzt spöttelt man nicht einmal mehr darüber,
sondern schätzt sich glücklich, wenn es der Patriotismus der Franzosen ihnen
gestattet, uns wieder in alter Weise auf eine annähernde Höhe menschlicher
Kultur zu erheben und unsere deutschen Thaler als eine vorläufige Abschlags¬
zahlung auf die von uns angeblich fortgeschleppten Pendulen und Silber¬
service anzunehmen.

Wie wir uns heute gewöhnt haben, wieder in Folge unserer auswärtigen
Geistesschulung, die Zustände der Wirklichkeit oder die Macht der Thatsachen
als ein blindes Fatum oder eine eherne Nothwendigkeit zu betrachten, sollte
es uns hier nicht in den Sinn kommen, die Frage zu erörtern, ob es heil¬
samer für uns gewesen wäre, wenn wir uns seit 1813 nicht unter der All¬
macht des französischen Geistes befunden hätten. Wir meinen nicht, daß wir
auf unsern eigenen Füßen hätten stehen lernen sollen, das wäre eine Zu-
muthung an unsern deutschen Volksgeist, die er im Hinblick auf seine Ver>
gangenheir, mit Entrüstung zurückweisen würde, aber wir fragen im Stillen,


Nation, die Höfe, der Adel, die Honoratioren und auch sie nur theilweise,
die sich der fremden Geistesherrschaft fügen: die breite Masse des Volkes bleibt
davon unberührt und von ihr aus fließt doch immer ein reichlicher Quell
leiblicher und geistiger Erneuerung in die fremdartig metamorphosirten Schichten
der oben darüber gelagerten Minorität. Aber seit 1815 steht es ganz anders:
die ideale Erhebung der Freiheitskriege schoß auf literarischem, künstlerischem
und socialem Gebiete über ihr Ziel hinaus, indem sie sich vorsetzte, den alten
wälschen Sauerteig aus Deutschland ganz auszufegen, statt ihn nur recht zu
vertheilen und dadurch ein leidlich schmackhaftes und leidlich gesundes Ge-
mengsel herzustellen. Es war ein wunderliches Unterfangen, das unserer
Deutschthümler und Franzosenfresser von damals, aber den Hohn und Spott,
die man bis heute in vollen Schalen darüber auszugießen Pflegt, hat es nur
darum verdient, weil es von und für Deutsche gewagt wurde. Nirgends in
der Welt war es weniger angebracht als bei uns und am allerwenigsten
gerade in der Hauptrichtung, die es haben sollte in seinem Kampfe gegen
das Franzosenthum. Unsere deutschen Don Quixote's haben von den Flügeln
der gallischen Windmühle mit Recht so fürchterliche Ohrfeigen empfangen, daß
der bei uns sonst so stark entwickelte Trieb irgend eine beliebige falsche Fährte
bis zum äußersten Ende mit gesinnungstüchtiger Hartköpsigkeit auszutreten,
in diesem Falle sehr bald und fast spurlos erlosch. Denn die schüchternen
Stimmen, die sich während des letzten Krieges gegen den Frack der deutschen
Männer und die TouM der deutschen Schönen hervorwagten, haben nur
während der Blokade unserer Mode-Hauptstadt Paris einigen Eindruck ge¬
macht, weil damals der Verkehr mit den an der Spitze der Civilisation mar-
schirenden Schneidern und Putzmacherinnen auf einige Monate leider fast
ganz abgeschnitten wurde. Jetzt spöttelt man nicht einmal mehr darüber,
sondern schätzt sich glücklich, wenn es der Patriotismus der Franzosen ihnen
gestattet, uns wieder in alter Weise auf eine annähernde Höhe menschlicher
Kultur zu erheben und unsere deutschen Thaler als eine vorläufige Abschlags¬
zahlung auf die von uns angeblich fortgeschleppten Pendulen und Silber¬
service anzunehmen.

Wie wir uns heute gewöhnt haben, wieder in Folge unserer auswärtigen
Geistesschulung, die Zustände der Wirklichkeit oder die Macht der Thatsachen
als ein blindes Fatum oder eine eherne Nothwendigkeit zu betrachten, sollte
es uns hier nicht in den Sinn kommen, die Frage zu erörtern, ob es heil¬
samer für uns gewesen wäre, wenn wir uns seit 1813 nicht unter der All¬
macht des französischen Geistes befunden hätten. Wir meinen nicht, daß wir
auf unsern eigenen Füßen hätten stehen lernen sollen, das wäre eine Zu-
muthung an unsern deutschen Volksgeist, die er im Hinblick auf seine Ver>
gangenheir, mit Entrüstung zurückweisen würde, aber wir fragen im Stillen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/387>, abgerufen am 06.02.2025.