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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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folgt, und wir können es um so leichter, als wir eigentlich nur einige grobe und
gereizte Redensarten zu vermeiden haben, die uns beinahe camel-e coeur
in der unmittelbaren Hitze des Kampfes entschlüpft sind. Denn die Hand aufsHerz,
selbst als die bogenlangen Todtenlisten uns täglich die Kunde von neuen un¬
ersetzlichen Verlusten an dem besten Theile unserer nationalen Kräfte brachten,
haben wir wohl mit den zerschmetterten Eltern, Kindern und Geliebten ge¬
trauert, aber ein nachhaltiger Haß gegen die alleinigen, sonnenklaren Veran-
lasser dieser allgemeinen Trauer ist doch nicht in unserer Seele aufgewachsen.
Worte des Hasses sind genug gefallen, aber es sind eben nur Worte gewesen
und im Grunde waren wir immer bereit mit Thränen wehmüthiger Rührung
im Auge die Hand zur Versöhnung zu bieten, hätte man sie nur nehmen
Wollen. Wir reden nicht von unseren heimlichen Franzosenfreunden, die kei-
neswegs blos im wölfischen, ultramontanen oder demokratisch-radikalen Lager
zu finden gewesen wären, wenn man sie hätte suchen wollen. Wir reden
von den aufrichtigen und wohlgesinnten Patrioten, die mit ihrem ganzen
Herzen bei unserem Heer und bei der großen Sache, die es verfocht, von An-
fang bis zu Endein unerschütterlicher Treue standen. Solchen Leuten ist nach dem
Siege leicht Mäßigung gepredigt, denn sie haben sie schon vor und während
des Sieges in einem Umfange besessen, daß sie eben nur in Anbetracht der
unvertilgbaren Gemüthseigenschaften der deutschen Rasse noch als eine Car-
dinaltugend gerechnet werden mag: in der Mitte jedes anderen Volkes in
einer solchen tödtlich gespannten Situation würde der Name einer Tugend
für eine solche Stimmung der Seele nicht wohl mehr berechtigt gewesen sein,
wenn sie überhaupt anderswo möglich gedacht werden könnte.

Da wir für unsere Person von der bekannten Gewohnheit unserer Lands¬
leute ziemlich frei sind, wonach ihnen, wieder umgekehrt wie allen andern
Menschenkindern, der Rock näher als die Haut zu sein pflegt, haben wir wäh¬
rend des Krieges und nach dem Kriege die Vibrationen und Zuckungen des
eraltirten Gallischen Nationalbewußtseins mit viel geringerer Theilnahme ver¬
folgt, als die Schwingungen in unserer eigenen Volksseele. Gar viel und viel
Merkwürdiges ließ sich da auch von der stillen Studirstube oder auf den Straßen
und Plätzen der alltäglichen Heimat beobachten, was wenige der Mühe werth
gefunden haben zu beachten, niemand es aufzuzeichnen. War es auch nicht
immer erfreulich, so war es doch echt deutsch. Das merkwürdigste darunter
war vielleicht, was sich am schwersten in Worte fassen läßt: die eigentliche
Grundstimmung des öffentlichen Geistes während der blutigsten und erschüt¬
terndsten Katastrophen des Kampfes, wenn man sie mit der zur Zeit unserer
Väter in den Freiheitskriegen verglich. Damals war eine warme und positive
religiöse Weihe über das ganze Volk gelagert, von welcher die damals auf
protestantischer Seite allerdings noch so viel kräftigeren Traditionen der tires-


folgt, und wir können es um so leichter, als wir eigentlich nur einige grobe und
gereizte Redensarten zu vermeiden haben, die uns beinahe camel-e coeur
in der unmittelbaren Hitze des Kampfes entschlüpft sind. Denn die Hand aufsHerz,
selbst als die bogenlangen Todtenlisten uns täglich die Kunde von neuen un¬
ersetzlichen Verlusten an dem besten Theile unserer nationalen Kräfte brachten,
haben wir wohl mit den zerschmetterten Eltern, Kindern und Geliebten ge¬
trauert, aber ein nachhaltiger Haß gegen die alleinigen, sonnenklaren Veran-
lasser dieser allgemeinen Trauer ist doch nicht in unserer Seele aufgewachsen.
Worte des Hasses sind genug gefallen, aber es sind eben nur Worte gewesen
und im Grunde waren wir immer bereit mit Thränen wehmüthiger Rührung
im Auge die Hand zur Versöhnung zu bieten, hätte man sie nur nehmen
Wollen. Wir reden nicht von unseren heimlichen Franzosenfreunden, die kei-
neswegs blos im wölfischen, ultramontanen oder demokratisch-radikalen Lager
zu finden gewesen wären, wenn man sie hätte suchen wollen. Wir reden
von den aufrichtigen und wohlgesinnten Patrioten, die mit ihrem ganzen
Herzen bei unserem Heer und bei der großen Sache, die es verfocht, von An-
fang bis zu Endein unerschütterlicher Treue standen. Solchen Leuten ist nach dem
Siege leicht Mäßigung gepredigt, denn sie haben sie schon vor und während
des Sieges in einem Umfange besessen, daß sie eben nur in Anbetracht der
unvertilgbaren Gemüthseigenschaften der deutschen Rasse noch als eine Car-
dinaltugend gerechnet werden mag: in der Mitte jedes anderen Volkes in
einer solchen tödtlich gespannten Situation würde der Name einer Tugend
für eine solche Stimmung der Seele nicht wohl mehr berechtigt gewesen sein,
wenn sie überhaupt anderswo möglich gedacht werden könnte.

Da wir für unsere Person von der bekannten Gewohnheit unserer Lands¬
leute ziemlich frei sind, wonach ihnen, wieder umgekehrt wie allen andern
Menschenkindern, der Rock näher als die Haut zu sein pflegt, haben wir wäh¬
rend des Krieges und nach dem Kriege die Vibrationen und Zuckungen des
eraltirten Gallischen Nationalbewußtseins mit viel geringerer Theilnahme ver¬
folgt, als die Schwingungen in unserer eigenen Volksseele. Gar viel und viel
Merkwürdiges ließ sich da auch von der stillen Studirstube oder auf den Straßen
und Plätzen der alltäglichen Heimat beobachten, was wenige der Mühe werth
gefunden haben zu beachten, niemand es aufzuzeichnen. War es auch nicht
immer erfreulich, so war es doch echt deutsch. Das merkwürdigste darunter
war vielleicht, was sich am schwersten in Worte fassen läßt: die eigentliche
Grundstimmung des öffentlichen Geistes während der blutigsten und erschüt¬
terndsten Katastrophen des Kampfes, wenn man sie mit der zur Zeit unserer
Väter in den Freiheitskriegen verglich. Damals war eine warme und positive
religiöse Weihe über das ganze Volk gelagert, von welcher die damals auf
protestantischer Seite allerdings noch so viel kräftigeren Traditionen der tires-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/383>, abgerufen am 06.02.2025.