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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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schwister, aber nur in Deutschland wird es recht verstanden und ehrlich
gehandhabt. Nichts klingt uns bedenklicher, ärgerlicher, anmaßlicher als ein
Hymnus auf die Gesammtheit der deutschen Tugenden, oder auf eine aus
ihrem Kranze, wenn er deutsche Worte zu deutscher Melodie hat. Am lieb¬
sten hören wir ihn englisch oder französisch, begnügen uns aber auch mit
spanisch, italienisch, russisch oder irgend welcher anderen Zunge, wenn wir
ihn nur haben könnten. Aber freilich blüht uns selten genug ein solches
Glück. Bet allen Völkern der Erde von den autochthonen thierähnlichen
Päscharähs an, bis zu der raffinirten Spitze der Menschheit, den großen Kul¬
turnationen der Jetztzeit ist unser Name mit einem wahren Gebirge oder
einer wahren Sündfluth von Haß beladen -- je nachdem das trockne oder
feuchte Bild mehr anmuthet, geben wir die Wahl frei. Diese Thatsache ist
die einzige absolut unantastbare Errungenschaft unserer nationalen Großthaten
von 1870 und wenn sie auch nicht allein von diesem jüngsten Datum stammt,
so ist sie doch damals erst uns so recht zum Bewußtsein gekommen. Wir
Pflegten uns nämlich der gutmüthigen Vorstellung hinzugeben, daß die un¬
leugbar über den ganzen Erdball verbreitete Abneigung gegen uns bloß auf
einem leicht begreiflichen Mißverständniß der anderen beruhe, und dies wieder
eigentlich auf unseren eigenen Fehlern und Versäumnissen. Wenn die Leute
draußen erst gesehen haben würden, was wir zu leisten im Stande wären,
falls wir nur könnten wie wir wollten, dann müßten sie uns auch lieben
und bewundern. Der Schluß war echt deutsch und macht unserem Herzen
alle Ehre, ist nur leider grundfalsch. Sind wir auch momentan in der glücklichsten
Lage das 0ä<ziint aum wstuant einmal auf uns anwenden zu können, was
sonst immer nur gegen uns ausgespielt wurde, so thut es doch unserm Ge¬
müthe wehe. Schließlich erhebt auch der Verstand seine Bedenken und fragt,
ob denn unsere Zukunft immer so fort wie in den letzten Jahren von der
Sonne des Glücks bestrahlt oder durch die rechtzeitige Hülfe staatsmännischer
und soldatischer On ex maeliiiul vor allen Gefahren gesichert sei. Wenn
wir gezwungen wären blos auf unseren eigenen gewöhnlichen Füßen zu stehen, der
mächtigen Stütze beraubt, der wir unsere Sicherheit um so ausschließlicher
verdanken, je weniger unsere Eigenliebe es uns gestehen lassen will, würde es
uns doch sehr ungemüthlich vorkommen, wenn uns die ganze Meute unserer
grimmigen Feinde überfielen. Wir getrauen uns auch ein ander mal, aber immer
unter der Voraussetzung, daß es so käme wie 1870 oder schon 1866, nämlich
daß wir unter solchen Führern wie damals in den Kampf gingen, mit den
Franzosen, mit den Dänen, allenfalls auch mit den Russen, wenn diese selbst
so wollen, fertig zu werden, oder auch mit ihren schwarzen und rothen Ver¬
bündeten innerhalb unserer eigenen Marken. Aber wenn von allen Ecken und
Enden her wüthende Schaaren auf uns eindringen, würde es uns doch wohl


schwister, aber nur in Deutschland wird es recht verstanden und ehrlich
gehandhabt. Nichts klingt uns bedenklicher, ärgerlicher, anmaßlicher als ein
Hymnus auf die Gesammtheit der deutschen Tugenden, oder auf eine aus
ihrem Kranze, wenn er deutsche Worte zu deutscher Melodie hat. Am lieb¬
sten hören wir ihn englisch oder französisch, begnügen uns aber auch mit
spanisch, italienisch, russisch oder irgend welcher anderen Zunge, wenn wir
ihn nur haben könnten. Aber freilich blüht uns selten genug ein solches
Glück. Bet allen Völkern der Erde von den autochthonen thierähnlichen
Päscharähs an, bis zu der raffinirten Spitze der Menschheit, den großen Kul¬
turnationen der Jetztzeit ist unser Name mit einem wahren Gebirge oder
einer wahren Sündfluth von Haß beladen — je nachdem das trockne oder
feuchte Bild mehr anmuthet, geben wir die Wahl frei. Diese Thatsache ist
die einzige absolut unantastbare Errungenschaft unserer nationalen Großthaten
von 1870 und wenn sie auch nicht allein von diesem jüngsten Datum stammt,
so ist sie doch damals erst uns so recht zum Bewußtsein gekommen. Wir
Pflegten uns nämlich der gutmüthigen Vorstellung hinzugeben, daß die un¬
leugbar über den ganzen Erdball verbreitete Abneigung gegen uns bloß auf
einem leicht begreiflichen Mißverständniß der anderen beruhe, und dies wieder
eigentlich auf unseren eigenen Fehlern und Versäumnissen. Wenn die Leute
draußen erst gesehen haben würden, was wir zu leisten im Stande wären,
falls wir nur könnten wie wir wollten, dann müßten sie uns auch lieben
und bewundern. Der Schluß war echt deutsch und macht unserem Herzen
alle Ehre, ist nur leider grundfalsch. Sind wir auch momentan in der glücklichsten
Lage das 0ä<ziint aum wstuant einmal auf uns anwenden zu können, was
sonst immer nur gegen uns ausgespielt wurde, so thut es doch unserm Ge¬
müthe wehe. Schließlich erhebt auch der Verstand seine Bedenken und fragt,
ob denn unsere Zukunft immer so fort wie in den letzten Jahren von der
Sonne des Glücks bestrahlt oder durch die rechtzeitige Hülfe staatsmännischer
und soldatischer On ex maeliiiul vor allen Gefahren gesichert sei. Wenn
wir gezwungen wären blos auf unseren eigenen gewöhnlichen Füßen zu stehen, der
mächtigen Stütze beraubt, der wir unsere Sicherheit um so ausschließlicher
verdanken, je weniger unsere Eigenliebe es uns gestehen lassen will, würde es
uns doch sehr ungemüthlich vorkommen, wenn uns die ganze Meute unserer
grimmigen Feinde überfielen. Wir getrauen uns auch ein ander mal, aber immer
unter der Voraussetzung, daß es so käme wie 1870 oder schon 1866, nämlich
daß wir unter solchen Führern wie damals in den Kampf gingen, mit den
Franzosen, mit den Dänen, allenfalls auch mit den Russen, wenn diese selbst
so wollen, fertig zu werden, oder auch mit ihren schwarzen und rothen Ver¬
bündeten innerhalb unserer eigenen Marken. Aber wenn von allen Ecken und
Enden her wüthende Schaaren auf uns eindringen, würde es uns doch wohl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/381>, abgerufen am 06.02.2025.