Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.Zur Begründung seiner Ansicht bringt W. zahlreiche Belege aus der Ta- Ohne auf Detailschilderungen näher einzugehen, beschränken wir uns auf Bei keinem Kulturvolke läßt sich der Uebergang von der schriftlosen Zeit Zur Begründung seiner Ansicht bringt W. zahlreiche Belege aus der Ta- Ohne auf Detailschilderungen näher einzugehen, beschränken wir uns auf Bei keinem Kulturvolke läßt sich der Uebergang von der schriftlosen Zeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0371" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193174"/> <p xml:id="ID_1273"> Zur Begründung seiner Ansicht bringt W. zahlreiche Belege aus der Ta-<lb/> tuirungszeit der älteren sowie der in unsere Zeit hinüberragenden schriftlosen<lb/> Völker bei. Er schildert ausführlich die Tatuirungszeichen der Neuseeländer,<lb/> Nukahiver und Tangusen, die Bilderschrift der Nordamerikanischen Indianer,<lb/> die Muschelschnüre (Wampumgürtel) der Irokesen, Leni-Lenape und der Ahu-<lb/> andate (Huronen); er führt uns die Schriftgemälde der Eingeborenen Virgi-<lb/> niens, die Felshieroglyphen in Mexico, am Amazonenstrom, am Orinoko<lb/> und Kassiquiare, die Knoteuschrift Mia's (aus dem 14. Jahrhundert) in<lb/> Peru, mit welcher die Inkas selbst Saatsarchive herstellten, die nur aus einem<lb/> Haufen von Fäden und Knoten (Quipus) bestanden, endlich die hochentwickelte<lb/> Hieroglyphik aus der Zeit Montezuma's vor, der einst tausend Schreiber zu<lb/> Teökuko in Mexiko unterhielt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1274"> Ohne auf Detailschilderungen näher einzugehen, beschränken wir uns auf<lb/> die Mittheilung der hauptsächlichsten Ergebnisse von Wuttke's Forschungen.<lb/> Hier tritt zunächst die Thatsache hervor, daß alles „Schreiben" zur schrift¬<lb/> losen Zeit in Malerei oder Zeichenschrift von mehr oder minder ent¬<lb/> wickeltem Charakter bestand, und daß der Erfindung der Lautschrift ein<lb/> langdauernder und weit verbreiteter Gebrauch der Bilderschrift vorausge¬<lb/> gangen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1275"> Bei keinem Kulturvolke läßt sich der Uebergang von der schriftlosen Zeit<lb/> zum Schriftthum besser verfolgen, als bei den Bewohnern des Nil¬<lb/> thals. Der lebendige Trieb der Aegypter, das Vergängliche und Vorüber¬<lb/> eilende zu beständiger Dauer zu erhärten, ein Trieb der in ihren gesellschaft¬<lb/> lichen Zuständen wie in den riesigen Bauwerken sich mit gleicher Schärfe aus¬<lb/> prägte, hat ohne Zweifel der Schriftbildung ungemeinen Vorschub geleistet<lb/> und dieses Volk vielleicht zuerst zu ihrer Erfindung hingeleitet. Wahrschein¬<lb/> lich hat sich dieser Fortschritt schon in dem alten Priesterstaate Nubiens, in<lb/> Meroö, vollzogen, von wo die Gründung des Aegyptischen Reichs ausging.<lb/> Anfangs hatten auch die Aegypter nur Sinnbilder; auf dieser Stufe blie¬<lb/> ben sie indessen nicht stehen, sondern trennten von den Bildern der Dinge die<lb/> Merkmale der Landung ab und verwendeten diese Bilder als Tonzeichen.<lb/> Deshalb ist die Aegyptische Hieroglyphik nicht als Schriftmalerei oder gar<lb/> als Geheimschrift, wie man vor Champollion's bahnbrechenden Ent¬<lb/> deckungen glaubte, anzusehen; sie hat vielmehr alle Eigenschaften einer Laut¬<lb/> schrift. Die Erfindung der Hieroglyphen für den Schriftgebrauch reicht weit<lb/> über den Zeitpunkt der Reichsgründung durch Menes (2781 v. Chr., nach<lb/> Anderen 4452 oder S867 v. Ch.) zurück; sie wurde einem göttlichen Wesen<lb/> (Daimon), Namens Töot (Griech. Taaut oder Theyt), dessen Tempelstätte im<lb/> Nubischen Pnups auf dem östlichen Nilufer lag, zugeschrieben und war lange<lb/> Zeit fast ausschließlich im Besitze der Priester.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0371]
Zur Begründung seiner Ansicht bringt W. zahlreiche Belege aus der Ta-
tuirungszeit der älteren sowie der in unsere Zeit hinüberragenden schriftlosen
Völker bei. Er schildert ausführlich die Tatuirungszeichen der Neuseeländer,
Nukahiver und Tangusen, die Bilderschrift der Nordamerikanischen Indianer,
die Muschelschnüre (Wampumgürtel) der Irokesen, Leni-Lenape und der Ahu-
andate (Huronen); er führt uns die Schriftgemälde der Eingeborenen Virgi-
niens, die Felshieroglyphen in Mexico, am Amazonenstrom, am Orinoko
und Kassiquiare, die Knoteuschrift Mia's (aus dem 14. Jahrhundert) in
Peru, mit welcher die Inkas selbst Saatsarchive herstellten, die nur aus einem
Haufen von Fäden und Knoten (Quipus) bestanden, endlich die hochentwickelte
Hieroglyphik aus der Zeit Montezuma's vor, der einst tausend Schreiber zu
Teökuko in Mexiko unterhielt.
Ohne auf Detailschilderungen näher einzugehen, beschränken wir uns auf
die Mittheilung der hauptsächlichsten Ergebnisse von Wuttke's Forschungen.
Hier tritt zunächst die Thatsache hervor, daß alles „Schreiben" zur schrift¬
losen Zeit in Malerei oder Zeichenschrift von mehr oder minder ent¬
wickeltem Charakter bestand, und daß der Erfindung der Lautschrift ein
langdauernder und weit verbreiteter Gebrauch der Bilderschrift vorausge¬
gangen ist.
Bei keinem Kulturvolke läßt sich der Uebergang von der schriftlosen Zeit
zum Schriftthum besser verfolgen, als bei den Bewohnern des Nil¬
thals. Der lebendige Trieb der Aegypter, das Vergängliche und Vorüber¬
eilende zu beständiger Dauer zu erhärten, ein Trieb der in ihren gesellschaft¬
lichen Zuständen wie in den riesigen Bauwerken sich mit gleicher Schärfe aus¬
prägte, hat ohne Zweifel der Schriftbildung ungemeinen Vorschub geleistet
und dieses Volk vielleicht zuerst zu ihrer Erfindung hingeleitet. Wahrschein¬
lich hat sich dieser Fortschritt schon in dem alten Priesterstaate Nubiens, in
Meroö, vollzogen, von wo die Gründung des Aegyptischen Reichs ausging.
Anfangs hatten auch die Aegypter nur Sinnbilder; auf dieser Stufe blie¬
ben sie indessen nicht stehen, sondern trennten von den Bildern der Dinge die
Merkmale der Landung ab und verwendeten diese Bilder als Tonzeichen.
Deshalb ist die Aegyptische Hieroglyphik nicht als Schriftmalerei oder gar
als Geheimschrift, wie man vor Champollion's bahnbrechenden Ent¬
deckungen glaubte, anzusehen; sie hat vielmehr alle Eigenschaften einer Laut¬
schrift. Die Erfindung der Hieroglyphen für den Schriftgebrauch reicht weit
über den Zeitpunkt der Reichsgründung durch Menes (2781 v. Chr., nach
Anderen 4452 oder S867 v. Ch.) zurück; sie wurde einem göttlichen Wesen
(Daimon), Namens Töot (Griech. Taaut oder Theyt), dessen Tempelstätte im
Nubischen Pnups auf dem östlichen Nilufer lag, zugeschrieben und war lange
Zeit fast ausschließlich im Besitze der Priester.
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