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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Wien, das ich von früher her noch nicht kannte, macht durchaus und in
jeder Beziehung den Eindruck einer Großstadt ersten Ranges. Das überaus
rege und bunte Treiben erinnerte mich lebhaft an Paris und Berlin. Die An¬
lage der Ringstraße mit ihren prachtvollen Palästen ist überaus großartig.
Doch finde ich den Gesammteindruck von Wien nicht so sehr verschieden von
dem von Berlin, als er mir von manchen Seiten geschildert worden ist. Ber¬
lin kann sich Wien dreist an die Seite stellen.

Mein erster Weg war am Morgen des 29. Juni, einem herrlichen Som¬
mertage, nach der Ausstellung. Ich bewegte mich im Schatten der schönen
alten Bäume der großen Prater - Allee, inmitten eines dichten Stromes
fröhlicher, geputzter Menschen, welche alle dasselbe Ziel mit mir hatten. Es
waren fast nur Wiener, welche mit Weib und Kind zum Sonntags-Ver-
gnügen in die Ausstellung zogen. Und sie hatten Recht; denn der Wiener fin¬
det kaum ein billigeres Local, geschweige denn ein anderes, das ihm auch
nur annähernd so viel böte, als der Weltausstellungs-Platz. Für Jeden ist
Etwas da; und selbst derjenige, den von den unzähligen ausgestellten Gegen¬
ständen gar nichts interessirt, findet in dem bunten Treiben, bei den Musik¬
chören, in den verschiedenen Cafes und Restaurationen Unterhaltung zur Ge¬
nüge. Und in der That sind, besonders an Sonntagen, einige Cafe's und
Restaurationen, welche besonders günstig liegen, stets überfüllt, während
man das von den Hallen des Industrie-Palastes wohl nur selten behaupten
kann. Dieses Sonntags-Publikum, anscheinend zum großen Theil Handwerker
und kleine Kaufleute, junge Mädchen in geschmackvoller Toilette mit ihren
Begleitern, Soldaten,.Landleute in ihren oft interessanten Trachten, überhaupt
Leute der untern Stände, geht ohne besonderes Interesse und nach einigen
Stunden Aufenthalts schon völlig theilnahmlos an den ausgestellten Gegen¬
ständen vorüber. Gegen Mittag füllen sich die billigern Restaurationen an
und in den abgelegenen Theilen des Parkes werden Feldlager aufgeschla¬
gen, und die in großen Taschen mitgebrachten Speisen ausgepackt und ver¬
zehrt. Am Nachmittag findet man in der Redoute wohl auch eine junge
Frau mit ihrem Kinde an der Brust sitzen, Mutter und Kind von Müdigkeit
eingeschlafen. Aber ein Gang durch den Ausstellungs-Palast ist auch für
jedem und dem eifrigsten Beschauern am meisten sehr anstrengend und er¬
müdend, besonders bei der drückend schwülen Hitze, welche wir während
der letzten Monate hier hatten. Man hat bald genug, sucht dann Ruhe auf
dem Mozart-Platze, wo man beim Anhören der Walzer von Strauß in dem
Italienischen Cafe' seinen Cafe oder seinen "Gelato" genießen kann. Vor der Re¬
doute spielt während mehreren Abendstunden täglich eine große Militär-Capelle.
Auch sonst gibt's noch Musik genug. Von dem Hügel, aus welchem das reizend
angelegte Czarda (Ungarisches Weinhaus) mit seinen Bogenhallen und Zel¬
ten liegt, tönen die wilden Weisen der Zigeuner herab und laden den Vor-


Wien, das ich von früher her noch nicht kannte, macht durchaus und in
jeder Beziehung den Eindruck einer Großstadt ersten Ranges. Das überaus
rege und bunte Treiben erinnerte mich lebhaft an Paris und Berlin. Die An¬
lage der Ringstraße mit ihren prachtvollen Palästen ist überaus großartig.
Doch finde ich den Gesammteindruck von Wien nicht so sehr verschieden von
dem von Berlin, als er mir von manchen Seiten geschildert worden ist. Ber¬
lin kann sich Wien dreist an die Seite stellen.

Mein erster Weg war am Morgen des 29. Juni, einem herrlichen Som¬
mertage, nach der Ausstellung. Ich bewegte mich im Schatten der schönen
alten Bäume der großen Prater - Allee, inmitten eines dichten Stromes
fröhlicher, geputzter Menschen, welche alle dasselbe Ziel mit mir hatten. Es
waren fast nur Wiener, welche mit Weib und Kind zum Sonntags-Ver-
gnügen in die Ausstellung zogen. Und sie hatten Recht; denn der Wiener fin¬
det kaum ein billigeres Local, geschweige denn ein anderes, das ihm auch
nur annähernd so viel böte, als der Weltausstellungs-Platz. Für Jeden ist
Etwas da; und selbst derjenige, den von den unzähligen ausgestellten Gegen¬
ständen gar nichts interessirt, findet in dem bunten Treiben, bei den Musik¬
chören, in den verschiedenen Cafes und Restaurationen Unterhaltung zur Ge¬
nüge. Und in der That sind, besonders an Sonntagen, einige Cafe's und
Restaurationen, welche besonders günstig liegen, stets überfüllt, während
man das von den Hallen des Industrie-Palastes wohl nur selten behaupten
kann. Dieses Sonntags-Publikum, anscheinend zum großen Theil Handwerker
und kleine Kaufleute, junge Mädchen in geschmackvoller Toilette mit ihren
Begleitern, Soldaten,.Landleute in ihren oft interessanten Trachten, überhaupt
Leute der untern Stände, geht ohne besonderes Interesse und nach einigen
Stunden Aufenthalts schon völlig theilnahmlos an den ausgestellten Gegen¬
ständen vorüber. Gegen Mittag füllen sich die billigern Restaurationen an
und in den abgelegenen Theilen des Parkes werden Feldlager aufgeschla¬
gen, und die in großen Taschen mitgebrachten Speisen ausgepackt und ver¬
zehrt. Am Nachmittag findet man in der Redoute wohl auch eine junge
Frau mit ihrem Kinde an der Brust sitzen, Mutter und Kind von Müdigkeit
eingeschlafen. Aber ein Gang durch den Ausstellungs-Palast ist auch für
jedem und dem eifrigsten Beschauern am meisten sehr anstrengend und er¬
müdend, besonders bei der drückend schwülen Hitze, welche wir während
der letzten Monate hier hatten. Man hat bald genug, sucht dann Ruhe auf
dem Mozart-Platze, wo man beim Anhören der Walzer von Strauß in dem
Italienischen Cafe' seinen Cafe oder seinen „Gelato" genießen kann. Vor der Re¬
doute spielt während mehreren Abendstunden täglich eine große Militär-Capelle.
Auch sonst gibt's noch Musik genug. Von dem Hügel, aus welchem das reizend
angelegte Czarda (Ungarisches Weinhaus) mit seinen Bogenhallen und Zel¬
ten liegt, tönen die wilden Weisen der Zigeuner herab und laden den Vor-


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[0360] Wien, das ich von früher her noch nicht kannte, macht durchaus und in jeder Beziehung den Eindruck einer Großstadt ersten Ranges. Das überaus rege und bunte Treiben erinnerte mich lebhaft an Paris und Berlin. Die An¬ lage der Ringstraße mit ihren prachtvollen Palästen ist überaus großartig. Doch finde ich den Gesammteindruck von Wien nicht so sehr verschieden von dem von Berlin, als er mir von manchen Seiten geschildert worden ist. Ber¬ lin kann sich Wien dreist an die Seite stellen. Mein erster Weg war am Morgen des 29. Juni, einem herrlichen Som¬ mertage, nach der Ausstellung. Ich bewegte mich im Schatten der schönen alten Bäume der großen Prater - Allee, inmitten eines dichten Stromes fröhlicher, geputzter Menschen, welche alle dasselbe Ziel mit mir hatten. Es waren fast nur Wiener, welche mit Weib und Kind zum Sonntags-Ver- gnügen in die Ausstellung zogen. Und sie hatten Recht; denn der Wiener fin¬ det kaum ein billigeres Local, geschweige denn ein anderes, das ihm auch nur annähernd so viel böte, als der Weltausstellungs-Platz. Für Jeden ist Etwas da; und selbst derjenige, den von den unzähligen ausgestellten Gegen¬ ständen gar nichts interessirt, findet in dem bunten Treiben, bei den Musik¬ chören, in den verschiedenen Cafes und Restaurationen Unterhaltung zur Ge¬ nüge. Und in der That sind, besonders an Sonntagen, einige Cafe's und Restaurationen, welche besonders günstig liegen, stets überfüllt, während man das von den Hallen des Industrie-Palastes wohl nur selten behaupten kann. Dieses Sonntags-Publikum, anscheinend zum großen Theil Handwerker und kleine Kaufleute, junge Mädchen in geschmackvoller Toilette mit ihren Begleitern, Soldaten,.Landleute in ihren oft interessanten Trachten, überhaupt Leute der untern Stände, geht ohne besonderes Interesse und nach einigen Stunden Aufenthalts schon völlig theilnahmlos an den ausgestellten Gegen¬ ständen vorüber. Gegen Mittag füllen sich die billigern Restaurationen an und in den abgelegenen Theilen des Parkes werden Feldlager aufgeschla¬ gen, und die in großen Taschen mitgebrachten Speisen ausgepackt und ver¬ zehrt. Am Nachmittag findet man in der Redoute wohl auch eine junge Frau mit ihrem Kinde an der Brust sitzen, Mutter und Kind von Müdigkeit eingeschlafen. Aber ein Gang durch den Ausstellungs-Palast ist auch für jedem und dem eifrigsten Beschauern am meisten sehr anstrengend und er¬ müdend, besonders bei der drückend schwülen Hitze, welche wir während der letzten Monate hier hatten. Man hat bald genug, sucht dann Ruhe auf dem Mozart-Platze, wo man beim Anhören der Walzer von Strauß in dem Italienischen Cafe' seinen Cafe oder seinen „Gelato" genießen kann. Vor der Re¬ doute spielt während mehreren Abendstunden täglich eine große Militär-Capelle. Auch sonst gibt's noch Musik genug. Von dem Hügel, aus welchem das reizend angelegte Czarda (Ungarisches Weinhaus) mit seinen Bogenhallen und Zel¬ ten liegt, tönen die wilden Weisen der Zigeuner herab und laden den Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/360>, abgerufen am 06.02.2025.