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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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die nur dazu gebraucht werden dürfe, ihn bei seiner Ankunft zu bewillkomm¬
nen und ihm bei seiner Abfahrt glückliche Reise nachzuwehen. Von da an
flatterte dieses Banner jedesmal, wenn er am Horizont der See signalisirt
wurde oder seinen Anker lichtete und absegelte, von den obersten Ziehtauen
aus dem Parlamentshause, und die Nation zog vor demselben ungeheißen
und einmüthig den Hut.

Und doch hatte er in seinem ganzen Leben nie eine Kanone abgefeuert
oder eine Schlacht geliefert. Als ich ihn an Bord des "Ajax" kennen lernte,
war er zweiundsiebzig Jahre alt und hatte einundsechzig davon die Salzfluth
durchfurcht. Sechzehn Jahre war er im Hafen von Honolulu als Befehls¬
haber eines Walfischfahrers ein- und ausgegangen und fernere sechzehn Kapi¬
tän eines Passagier-Packetschiffs gewesen, welches zwischen San Francisco und
den Sandwichsinseln fuhr, und nie hatte er Unglück gehabt oder ein Schiff
verloren. Die einfachen Eingeborenen kannten ihn als einen Freund, der nie
ermangelte, zu rechter Zeit zu erscheinen, und betrachteten ihn, wie Kinder
einen Vater betrachten. Es war gefährlich, sie schlecht zu behandeln, wenn
der Admiral mit seiner Brüllstimme in der Nähe war.

Zwei Jahre, bevor ich den Admiral kennen lernte, hatte er sich mit
einem Jahrgehalt von der See zurückgezogen und dabei einen riesigen neun-
gliedrigen Eid geschworen, "in seinem Leben dem Salzwasser nie wieder auch
nur bis auf Geruchsweite zu nahe zu kommen". Und er hatte denselben ge¬
wissenhaft gehalten. Das heißt, er war der Meinung, daß er ihn gehalten,
und es würde mehr als gefahrvoll gewesen sein, wenn ihm Jemand ange¬
deutet hätte, daß er, indem er im Laufe der zwei Jahre, seit er "sich zurück¬
gezogen", elf lange Seereisen als Passagier gemacht, sich doch eigentlich nur
im Allgemeinen an den Geist und nicht genau an den Buchstaben desselben
gehalten habe.

Der Admiral kannte nur einen einzigen schmalen Weg des Verfahrens
für alle Fälle, wo es Streit gab, und der bestand darin, daß man, die
Schulter voran, geradeaus vorrückte und ohne sich um Recht oder Verdienst
zu kümmern, für die schwächere Seite Partei nahm. Und dieß war die Ur¬
sache, weshalb er sich bei Aburtheilung eines allgemein verabscheuten Ver¬
brechers stets einstellte, um die Geschwornen durch drohende Geberden zu äng¬
stigen und einzuschüchtern, wie wenn er ihnen wunder was anthun wollte,
wenn er sie je außerhalb ihrer Schranken zu fassen kriegte. Und das war's
serner, wenn gehetzte Katzen und für vogelfrei erklärte Hunde, die mit ihm
auf vertrautem Fuße standen, in Zeiten der Trübsal und Verfolgung unter
seinem Stuhle Zuflucht suchten. Zu Anfang des Bürgerkrieges war er der
wüthendste und blutdürstigste Unionist gewesen, der im Schatten des Ster¬
nenbanners athmete, aber im selben Augenblicke, wo die Südleute vor dem


die nur dazu gebraucht werden dürfe, ihn bei seiner Ankunft zu bewillkomm¬
nen und ihm bei seiner Abfahrt glückliche Reise nachzuwehen. Von da an
flatterte dieses Banner jedesmal, wenn er am Horizont der See signalisirt
wurde oder seinen Anker lichtete und absegelte, von den obersten Ziehtauen
aus dem Parlamentshause, und die Nation zog vor demselben ungeheißen
und einmüthig den Hut.

Und doch hatte er in seinem ganzen Leben nie eine Kanone abgefeuert
oder eine Schlacht geliefert. Als ich ihn an Bord des „Ajax" kennen lernte,
war er zweiundsiebzig Jahre alt und hatte einundsechzig davon die Salzfluth
durchfurcht. Sechzehn Jahre war er im Hafen von Honolulu als Befehls¬
haber eines Walfischfahrers ein- und ausgegangen und fernere sechzehn Kapi¬
tän eines Passagier-Packetschiffs gewesen, welches zwischen San Francisco und
den Sandwichsinseln fuhr, und nie hatte er Unglück gehabt oder ein Schiff
verloren. Die einfachen Eingeborenen kannten ihn als einen Freund, der nie
ermangelte, zu rechter Zeit zu erscheinen, und betrachteten ihn, wie Kinder
einen Vater betrachten. Es war gefährlich, sie schlecht zu behandeln, wenn
der Admiral mit seiner Brüllstimme in der Nähe war.

Zwei Jahre, bevor ich den Admiral kennen lernte, hatte er sich mit
einem Jahrgehalt von der See zurückgezogen und dabei einen riesigen neun-
gliedrigen Eid geschworen, „in seinem Leben dem Salzwasser nie wieder auch
nur bis auf Geruchsweite zu nahe zu kommen". Und er hatte denselben ge¬
wissenhaft gehalten. Das heißt, er war der Meinung, daß er ihn gehalten,
und es würde mehr als gefahrvoll gewesen sein, wenn ihm Jemand ange¬
deutet hätte, daß er, indem er im Laufe der zwei Jahre, seit er „sich zurück¬
gezogen", elf lange Seereisen als Passagier gemacht, sich doch eigentlich nur
im Allgemeinen an den Geist und nicht genau an den Buchstaben desselben
gehalten habe.

Der Admiral kannte nur einen einzigen schmalen Weg des Verfahrens
für alle Fälle, wo es Streit gab, und der bestand darin, daß man, die
Schulter voran, geradeaus vorrückte und ohne sich um Recht oder Verdienst
zu kümmern, für die schwächere Seite Partei nahm. Und dieß war die Ur¬
sache, weshalb er sich bei Aburtheilung eines allgemein verabscheuten Ver¬
brechers stets einstellte, um die Geschwornen durch drohende Geberden zu äng¬
stigen und einzuschüchtern, wie wenn er ihnen wunder was anthun wollte,
wenn er sie je außerhalb ihrer Schranken zu fassen kriegte. Und das war's
serner, wenn gehetzte Katzen und für vogelfrei erklärte Hunde, die mit ihm
auf vertrautem Fuße standen, in Zeiten der Trübsal und Verfolgung unter
seinem Stuhle Zuflucht suchten. Zu Anfang des Bürgerkrieges war er der
wüthendste und blutdürstigste Unionist gewesen, der im Schatten des Ster¬
nenbanners athmete, aber im selben Augenblicke, wo die Südleute vor dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/34>, abgerufen am 06.02.2025.