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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Ist dem Leser nicht schon die schattenlose breite Behandlung der Por¬
traits z. B. der Cranachs aufgefallen? Ich meine, daß diese Auffassung
Wohl mit dem Local zusammenhängt, in dem gemalt wurde, dessen niedrige
Decke und seitlich einfallendes zerstreutes Licht einen kräftigen Schatten in den
Augenhöhlen und unter der Nase nicht aufkommen ließ. Das direkte Gegen¬
theil hiervon bezeichnet Rem brant. Auch wenn wir nicht Malerscenen
aus niederländischen Ateliers hätten, so müßte die kräftige Schattengevung,
die bisweilen die ganze untere Hälfte des Gesichtes im Halbschatten erscheinen
und den Nasenschatten bis zum Kinn heruntergehen läßt, auf ein scharfes
Oberlicht schließen lassen.

In Italien scheint man in den äußeren Einrichtungen der Ateliers viel
weiter vorgeschritten gewesen zu sein, als gleichzeitig in Deutschland. So
verlangt Lionardo da Vinci in seinem Traktat von der Malerei "Ein
großes oder ausgebreitetes und hohes Licht, das nicht allzusehr strahlet" als
das vortheilhafteste . . . "Wenn man nach der Natur malen will, so soll
das Licht gegen Mitternachtseite genommen werden, damit es sich nicht ändere.
Die Höhe des Lichtes soll dergestalt genommen werden, daß die Länge des
Schattens von jedem Körper gleich der Höhe des Körpers sei . . . Es sollen
die Fenster an den Malerzimmern ganz aus ölgetränktem Papier bestehen,
daß in der Mitte gar nichts vom Holz oder Kreuz, auch weder an selbigen
Noch an der Mauer die Rahmen zu sehen sind." (Dürer thut dies nicht; bei
ihm spiegelt sich das Fensterkreuz in großer Stärke in den Augensternen seiner
Portraits. Darum kann auch damals das Fenster seines Ateliers die rundlicheForm
nicht gehabt haben, die es heute hat.) "Man muß eine Kammer haben, wo die
Luft frei aufgedeckt ist. und die Wände sollen fleischfarben (!) gefärbt
sein. Hernach soll man im Sommer malen, wenn die Sonne mit Wolken be¬
deckt ist. Noch besser ist es zum Malen, wenn von der Mittagsseite die
Mauern dergestalt erhöhet sind, daß die Strahlen der Sonne nicht an die
Mauern gegen Mitternacht zurückfallen und mit ihren Widerstrahlungen den
Schatten verderben." Dieser Malerraum hat den Zweck, dem Modell die
Beleuchtung zu geben, die sie im Freien haben würde -- ein übrigens nur
in Italien mögliches Verfahren. Den oben erwähnten Reflexen wendet
Lionardo besondere Aufmerksamkeit zu; der ganze sechste Theil seines Trak¬
tates handelt von ihnen; auch weiß er seine Reflexe durch Schirme wohl zu
reguliren.

Das Meublement des deutschen Ateliers -- ich denke hier an den Se.
Lucas eines schlesischen Malers des 16. Jahrhunderts, welches Bild in För¬
ster's Denkmalen zu finden ist, sowie an die Illustrationen, die Dürer seiner
Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit beigegeben hat -- ent¬
sprach ganz dem der damaligen Bürgerhäuser. Ein gewaltiger Ofen, ein


Ist dem Leser nicht schon die schattenlose breite Behandlung der Por¬
traits z. B. der Cranachs aufgefallen? Ich meine, daß diese Auffassung
Wohl mit dem Local zusammenhängt, in dem gemalt wurde, dessen niedrige
Decke und seitlich einfallendes zerstreutes Licht einen kräftigen Schatten in den
Augenhöhlen und unter der Nase nicht aufkommen ließ. Das direkte Gegen¬
theil hiervon bezeichnet Rem brant. Auch wenn wir nicht Malerscenen
aus niederländischen Ateliers hätten, so müßte die kräftige Schattengevung,
die bisweilen die ganze untere Hälfte des Gesichtes im Halbschatten erscheinen
und den Nasenschatten bis zum Kinn heruntergehen läßt, auf ein scharfes
Oberlicht schließen lassen.

In Italien scheint man in den äußeren Einrichtungen der Ateliers viel
weiter vorgeschritten gewesen zu sein, als gleichzeitig in Deutschland. So
verlangt Lionardo da Vinci in seinem Traktat von der Malerei „Ein
großes oder ausgebreitetes und hohes Licht, das nicht allzusehr strahlet" als
das vortheilhafteste . . . „Wenn man nach der Natur malen will, so soll
das Licht gegen Mitternachtseite genommen werden, damit es sich nicht ändere.
Die Höhe des Lichtes soll dergestalt genommen werden, daß die Länge des
Schattens von jedem Körper gleich der Höhe des Körpers sei . . . Es sollen
die Fenster an den Malerzimmern ganz aus ölgetränktem Papier bestehen,
daß in der Mitte gar nichts vom Holz oder Kreuz, auch weder an selbigen
Noch an der Mauer die Rahmen zu sehen sind." (Dürer thut dies nicht; bei
ihm spiegelt sich das Fensterkreuz in großer Stärke in den Augensternen seiner
Portraits. Darum kann auch damals das Fenster seines Ateliers die rundlicheForm
nicht gehabt haben, die es heute hat.) „Man muß eine Kammer haben, wo die
Luft frei aufgedeckt ist. und die Wände sollen fleischfarben (!) gefärbt
sein. Hernach soll man im Sommer malen, wenn die Sonne mit Wolken be¬
deckt ist. Noch besser ist es zum Malen, wenn von der Mittagsseite die
Mauern dergestalt erhöhet sind, daß die Strahlen der Sonne nicht an die
Mauern gegen Mitternacht zurückfallen und mit ihren Widerstrahlungen den
Schatten verderben." Dieser Malerraum hat den Zweck, dem Modell die
Beleuchtung zu geben, die sie im Freien haben würde — ein übrigens nur
in Italien mögliches Verfahren. Den oben erwähnten Reflexen wendet
Lionardo besondere Aufmerksamkeit zu; der ganze sechste Theil seines Trak¬
tates handelt von ihnen; auch weiß er seine Reflexe durch Schirme wohl zu
reguliren.

Das Meublement des deutschen Ateliers — ich denke hier an den Se.
Lucas eines schlesischen Malers des 16. Jahrhunderts, welches Bild in För¬
ster's Denkmalen zu finden ist, sowie an die Illustrationen, die Dürer seiner
Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit beigegeben hat — ent¬
sprach ganz dem der damaligen Bürgerhäuser. Ein gewaltiger Ofen, ein


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[0331] Ist dem Leser nicht schon die schattenlose breite Behandlung der Por¬ traits z. B. der Cranachs aufgefallen? Ich meine, daß diese Auffassung Wohl mit dem Local zusammenhängt, in dem gemalt wurde, dessen niedrige Decke und seitlich einfallendes zerstreutes Licht einen kräftigen Schatten in den Augenhöhlen und unter der Nase nicht aufkommen ließ. Das direkte Gegen¬ theil hiervon bezeichnet Rem brant. Auch wenn wir nicht Malerscenen aus niederländischen Ateliers hätten, so müßte die kräftige Schattengevung, die bisweilen die ganze untere Hälfte des Gesichtes im Halbschatten erscheinen und den Nasenschatten bis zum Kinn heruntergehen läßt, auf ein scharfes Oberlicht schließen lassen. In Italien scheint man in den äußeren Einrichtungen der Ateliers viel weiter vorgeschritten gewesen zu sein, als gleichzeitig in Deutschland. So verlangt Lionardo da Vinci in seinem Traktat von der Malerei „Ein großes oder ausgebreitetes und hohes Licht, das nicht allzusehr strahlet" als das vortheilhafteste . . . „Wenn man nach der Natur malen will, so soll das Licht gegen Mitternachtseite genommen werden, damit es sich nicht ändere. Die Höhe des Lichtes soll dergestalt genommen werden, daß die Länge des Schattens von jedem Körper gleich der Höhe des Körpers sei . . . Es sollen die Fenster an den Malerzimmern ganz aus ölgetränktem Papier bestehen, daß in der Mitte gar nichts vom Holz oder Kreuz, auch weder an selbigen Noch an der Mauer die Rahmen zu sehen sind." (Dürer thut dies nicht; bei ihm spiegelt sich das Fensterkreuz in großer Stärke in den Augensternen seiner Portraits. Darum kann auch damals das Fenster seines Ateliers die rundlicheForm nicht gehabt haben, die es heute hat.) „Man muß eine Kammer haben, wo die Luft frei aufgedeckt ist. und die Wände sollen fleischfarben (!) gefärbt sein. Hernach soll man im Sommer malen, wenn die Sonne mit Wolken be¬ deckt ist. Noch besser ist es zum Malen, wenn von der Mittagsseite die Mauern dergestalt erhöhet sind, daß die Strahlen der Sonne nicht an die Mauern gegen Mitternacht zurückfallen und mit ihren Widerstrahlungen den Schatten verderben." Dieser Malerraum hat den Zweck, dem Modell die Beleuchtung zu geben, die sie im Freien haben würde — ein übrigens nur in Italien mögliches Verfahren. Den oben erwähnten Reflexen wendet Lionardo besondere Aufmerksamkeit zu; der ganze sechste Theil seines Trak¬ tates handelt von ihnen; auch weiß er seine Reflexe durch Schirme wohl zu reguliren. Das Meublement des deutschen Ateliers — ich denke hier an den Se. Lucas eines schlesischen Malers des 16. Jahrhunderts, welches Bild in För¬ ster's Denkmalen zu finden ist, sowie an die Illustrationen, die Dürer seiner Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit beigegeben hat — ent¬ sprach ganz dem der damaligen Bürgerhäuser. Ein gewaltiger Ofen, ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/331>, abgerufen am 06.02.2025.