Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.Mann könnte, ohne in das landesübliche Raub- und Aussaugesystem der Ein Geschichtchen, wie es sich letzte Woche hier zugetragen, kann wohl Zum großen Theil trägt an der ganzen faulen Wirthschaft, wie so oft, Verantwortlicher Redakteur: Dr, Hans Blum. Verlag von F. L. Hervig. -- Druck von Hiithel K Legler in Leipzig. Mann könnte, ohne in das landesübliche Raub- und Aussaugesystem der Ein Geschichtchen, wie es sich letzte Woche hier zugetragen, kann wohl Zum großen Theil trägt an der ganzen faulen Wirthschaft, wie so oft, Verantwortlicher Redakteur: Dr, Hans Blum. Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hiithel K Legler in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193131"/> <p xml:id="ID_1119" prev="#ID_1118"> Mann könnte, ohne in das landesübliche Raub- und Aussaugesystem der<lb/> Hotelwirthe zu verfallen, einen ganz erklecklichen Gewinn nehmen und dennoch<lb/> sicher sein, daß ihm der größte Theil des hier verkehrenden Publikums ganz<lb/> von selbst zufallen würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1120"> Ein Geschichtchen, wie es sich letzte Woche hier zugetragen, kann wohl<lb/> in keinem zweiten deutschen „Curorte" vorkommen. Der Wirth im „Löwen"<lb/> und der Conditor am Markte, diejenigen beiden Herren, bei denen der Haupt¬<lb/> verkehr ab- und zuströmt, vernachlässigen ihr Exterieur in ziemlich rücksichts¬<lb/> loser Weise. Nun hatte sich wohl irgend ein Tourist den Scherz gemacht,<lb/> draußen unter der Colonnade am schwarzen Brett einen Anschlag zu befestigen<lb/> des Inhaltes, der Löwenwirth und der Lebruchner hätten ihre Halstücher<lb/> und Halskragen verloren, und der ehrliche Finder werde gebeten u. s. w u. s. w.<lb/> Ganz Berneck gerieth in gelinde Aufregung. Der Conditor erschien andern<lb/> Tags mit einer großen weißen Halsbinde, machte beim Löwenwirth feierlich<lb/> damit Visite, jeder behauptete, daß er die Sache „von der spaßhaften Seite"<lb/> ansehe und daß bloß der andere sich darüber ärgere, was sehr thöricht sei, der<lb/> Conditor trank sich vor Desperation einen „Niesenbrand", mißhandelte hinter¬<lb/> her wie gewöhnlich sein besseres Ich und war dann längere Zeit nicht zu<lb/> sehen. Und fast alles das spielte sich unter den Augen der Curgäste ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_1121"> Zum großen Theil trägt an der ganzen faulen Wirthschaft, wie so oft,<lb/> das Publikum selbst die Schuld. Die hiesigen Curgäste sind meistens mittlere<lb/> und kleinere Beamte, also eine namentlich in Mittel- und Süddeutschland<lb/> schüchterne, leisetreterische Menschenklasse, die zwar die Köpfe zusammensteckt<lb/> und im Stillen klatscht, schimpft und räsonnirr, aber sich doch thatsächlich un¬<lb/> endlich viel gefallen läßt; Nürnberg, Fürth, Bayreuth, Hof, Chemnitz, Zwickau<lb/> und Leipzig' liefern das Hauptcontingent. Namentlich der Volksschullehrer,<lb/> insonderheit der sächsische, scheint stark vertreten zu sein. Vorm Jahre in<lb/> der Pfingstwoche fuhr ich von Hamburg zurück und hatte das Vergnügen<lb/> in einem Wagen zu sitzen, der ganz mit sächsischen Schulmeistern aus kleineren<lb/> Städten und vom Lande angefüllt war, die von der Hamburger Lehrerver¬<lb/> sammlung zurückkehrten. Ein kleiner, dicker, runder Kerl mir einem Voll¬<lb/> mondsgesichte, der den Rock ausgezogen und eine Zipfelmütze aufgesetzt hatte<lb/> und täuschend aussah wie ein Schenkwirth, brüllte nach Herzenslust, schlug<lb/> den Takt dazu und oirigirte die ganze Sippe. Einzelne Gruppen spielten<lb/> Skat, eine Thätigkeit, die sich auf den sächsischen Seminaren einer außer¬<lb/> ordentlichen Pflege erfreuen muß, und zwar mit Recht. Denn wie andre<lb/> Zeitungen neulich dem „Sächsischen Wochenblatte" nachdruckten, ist ja vor<lb/> Kurzem von einer sächsischen Landgemeinde ein Schulmeister deshalb nicht an¬<lb/> gestellt worden, weil er des Skatspiels nicht gehörig mächtig war. Von Ham¬<lb/> burg bis Wittenberge hatte ich also genügende Gelegenheit die Species „Säch¬<lb/> sischer Schulmeister" kennen zu lernen. Als ich nun dies Jahr nach Berneck<lb/> kam, war das erste, was mir im Gasthofe in die Augen fiel, eine Skatgesell¬<lb/> schaft von vier Mann. Kaum hatte ich ein paar Worte ihrer Unterhaltung<lb/> gehört, so schoß mir eine Parallele durch den Kopf. In demselben Augen¬<lb/> blicke sagt einer mit herzlichem Lachen zu dem eben hereintretenden Wirthe:<lb/> „Die Schulmeester Sinn doch immer bei der Schkaterei, s' is scheißlich!" Siehe<lb/> da, meine Parallele war schlagend richtig.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortlicher Redakteur: Dr, Hans Blum.<lb/> Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hiithel K Legler in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0328]
Mann könnte, ohne in das landesübliche Raub- und Aussaugesystem der
Hotelwirthe zu verfallen, einen ganz erklecklichen Gewinn nehmen und dennoch
sicher sein, daß ihm der größte Theil des hier verkehrenden Publikums ganz
von selbst zufallen würde.
Ein Geschichtchen, wie es sich letzte Woche hier zugetragen, kann wohl
in keinem zweiten deutschen „Curorte" vorkommen. Der Wirth im „Löwen"
und der Conditor am Markte, diejenigen beiden Herren, bei denen der Haupt¬
verkehr ab- und zuströmt, vernachlässigen ihr Exterieur in ziemlich rücksichts¬
loser Weise. Nun hatte sich wohl irgend ein Tourist den Scherz gemacht,
draußen unter der Colonnade am schwarzen Brett einen Anschlag zu befestigen
des Inhaltes, der Löwenwirth und der Lebruchner hätten ihre Halstücher
und Halskragen verloren, und der ehrliche Finder werde gebeten u. s. w u. s. w.
Ganz Berneck gerieth in gelinde Aufregung. Der Conditor erschien andern
Tags mit einer großen weißen Halsbinde, machte beim Löwenwirth feierlich
damit Visite, jeder behauptete, daß er die Sache „von der spaßhaften Seite"
ansehe und daß bloß der andere sich darüber ärgere, was sehr thöricht sei, der
Conditor trank sich vor Desperation einen „Niesenbrand", mißhandelte hinter¬
her wie gewöhnlich sein besseres Ich und war dann längere Zeit nicht zu
sehen. Und fast alles das spielte sich unter den Augen der Curgäste ab.
Zum großen Theil trägt an der ganzen faulen Wirthschaft, wie so oft,
das Publikum selbst die Schuld. Die hiesigen Curgäste sind meistens mittlere
und kleinere Beamte, also eine namentlich in Mittel- und Süddeutschland
schüchterne, leisetreterische Menschenklasse, die zwar die Köpfe zusammensteckt
und im Stillen klatscht, schimpft und räsonnirr, aber sich doch thatsächlich un¬
endlich viel gefallen läßt; Nürnberg, Fürth, Bayreuth, Hof, Chemnitz, Zwickau
und Leipzig' liefern das Hauptcontingent. Namentlich der Volksschullehrer,
insonderheit der sächsische, scheint stark vertreten zu sein. Vorm Jahre in
der Pfingstwoche fuhr ich von Hamburg zurück und hatte das Vergnügen
in einem Wagen zu sitzen, der ganz mit sächsischen Schulmeistern aus kleineren
Städten und vom Lande angefüllt war, die von der Hamburger Lehrerver¬
sammlung zurückkehrten. Ein kleiner, dicker, runder Kerl mir einem Voll¬
mondsgesichte, der den Rock ausgezogen und eine Zipfelmütze aufgesetzt hatte
und täuschend aussah wie ein Schenkwirth, brüllte nach Herzenslust, schlug
den Takt dazu und oirigirte die ganze Sippe. Einzelne Gruppen spielten
Skat, eine Thätigkeit, die sich auf den sächsischen Seminaren einer außer¬
ordentlichen Pflege erfreuen muß, und zwar mit Recht. Denn wie andre
Zeitungen neulich dem „Sächsischen Wochenblatte" nachdruckten, ist ja vor
Kurzem von einer sächsischen Landgemeinde ein Schulmeister deshalb nicht an¬
gestellt worden, weil er des Skatspiels nicht gehörig mächtig war. Von Ham¬
burg bis Wittenberge hatte ich also genügende Gelegenheit die Species „Säch¬
sischer Schulmeister" kennen zu lernen. Als ich nun dies Jahr nach Berneck
kam, war das erste, was mir im Gasthofe in die Augen fiel, eine Skatgesell¬
schaft von vier Mann. Kaum hatte ich ein paar Worte ihrer Unterhaltung
gehört, so schoß mir eine Parallele durch den Kopf. In demselben Augen¬
blicke sagt einer mit herzlichem Lachen zu dem eben hereintretenden Wirthe:
„Die Schulmeester Sinn doch immer bei der Schkaterei, s' is scheißlich!" Siehe
da, meine Parallele war schlagend richtig.
Verantwortlicher Redakteur: Dr, Hans Blum.
Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hiithel K Legler in Leipzig.
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