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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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und Billigkeit. Wer da das größte Gehalt hatte, brauchte am wenigsten zu
thun und fuhr erste Classe gratis. Die Arbeit ist Sache des gemeinen Haufen.
Die Leute find des Teufels gewohnt, und so fällt ihnen die Hölle nicht schwer.
Doch bei der neuen deutschen Verwaltung muß alles arbeiten, was Hände
hat, sogar die Bahnvorsteher und die Betriebs- und Güter-Jnspectoren. Ja!
je höher das Gehalt, desto größer die Arbeit! -- Sind das Zustände? Und
dabei hat alle hohe Protectton aufgehört! Wer sich nicht selbst rccomman-
dirt und, durch Kenntnisse und gute Antecedentien, als durchaus tauglich quali-
stcirt, der mag gehen, und wenn er zehnmal auf das "Luxemburger Wort"
oder die "Jude'pendance Luxembourgeoise" schwört. Ist das erlaubt? Was
Teufel sollen wir mit all unserm jungen Volke machen, wenn die deutsche
Eisenbahnverwaltung nur taugliche Subjecte, Leute, die sie brauchen kann,
Wie sie sagt, anstellen will. In den katholischen Ländern sind die Leute nicht
bezahlt, um tauglich für den Eisenbahndienst zu sein. Wenn sie zum Himmel
tauglich sind, ihren Katechismus wissen und den Dienern der Kirche folgen,
das genügt. Wen die Eisenbahnverwaltung nicht brauchen kann, den können
andere Leute brauchen. Entgleisungen und dergleichen müssen auch vorkom¬
men. Das gehört zum Eisenbahnwesen, wie der Hahn auf den Kirchthum.
Hol' der Kukuk unsern Staatsminister, der sich vom Bismarck ein X für ein U
hat machen und die verfluchte Clausel, daß die deutsche Eisenbahnverwaltung
nur taugliche Leute anzustellen brauche, in den Vertrag hat einrücken lassen!
Wenn wir ihm das je einschränken können! -- Unsre Patrone haben sich
darüber schon schwarz und blau geärgert. Sie können nun niemand
so recht mehr protegiren, der nichts taugt, und das ist ein großer Nachtheil.
Aber die Clausel steht nun einmal im Vertrag, und wir sind -- geprellt. Es
ist schwer leben auf der Welt, wenn es gar keine Vergünstigung mehr gibt für
die Leute. Auch bei den Tarifen soll alles stritte nach einem Leisten gehen.
Es wird dabei weder Hinz noch Kunz, weder Gala-Diners noch lucullische
Soupers in Betracht gezogen. So wenig Civilisation findet man nur bei den
Bären und -- deutschen Eisenbahnverwaltungen. -- Hat nun unsere "Jude'¬
pendance" nicht Recht wenn sie knirscht, die neue Betriebsverwaltung möge
sich je eher je lieber wieder zum Teufel scheren?

Nächstens mehr über unsere Zustände.




i.

Stehen jetzt, wo die hohe Politik noch Ferien hält, die Spalten dieses
Blattes wohl einmal einem Schmerzensschrei aus der niedrigen und niedrig¬
sten Socialpolitik offen? Ein ansehnlicher Bruchtheil des deutschen Volkes


und Billigkeit. Wer da das größte Gehalt hatte, brauchte am wenigsten zu
thun und fuhr erste Classe gratis. Die Arbeit ist Sache des gemeinen Haufen.
Die Leute find des Teufels gewohnt, und so fällt ihnen die Hölle nicht schwer.
Doch bei der neuen deutschen Verwaltung muß alles arbeiten, was Hände
hat, sogar die Bahnvorsteher und die Betriebs- und Güter-Jnspectoren. Ja!
je höher das Gehalt, desto größer die Arbeit! — Sind das Zustände? Und
dabei hat alle hohe Protectton aufgehört! Wer sich nicht selbst rccomman-
dirt und, durch Kenntnisse und gute Antecedentien, als durchaus tauglich quali-
stcirt, der mag gehen, und wenn er zehnmal auf das „Luxemburger Wort"
oder die „Jude'pendance Luxembourgeoise" schwört. Ist das erlaubt? Was
Teufel sollen wir mit all unserm jungen Volke machen, wenn die deutsche
Eisenbahnverwaltung nur taugliche Subjecte, Leute, die sie brauchen kann,
Wie sie sagt, anstellen will. In den katholischen Ländern sind die Leute nicht
bezahlt, um tauglich für den Eisenbahndienst zu sein. Wenn sie zum Himmel
tauglich sind, ihren Katechismus wissen und den Dienern der Kirche folgen,
das genügt. Wen die Eisenbahnverwaltung nicht brauchen kann, den können
andere Leute brauchen. Entgleisungen und dergleichen müssen auch vorkom¬
men. Das gehört zum Eisenbahnwesen, wie der Hahn auf den Kirchthum.
Hol' der Kukuk unsern Staatsminister, der sich vom Bismarck ein X für ein U
hat machen und die verfluchte Clausel, daß die deutsche Eisenbahnverwaltung
nur taugliche Leute anzustellen brauche, in den Vertrag hat einrücken lassen!
Wenn wir ihm das je einschränken können! — Unsre Patrone haben sich
darüber schon schwarz und blau geärgert. Sie können nun niemand
so recht mehr protegiren, der nichts taugt, und das ist ein großer Nachtheil.
Aber die Clausel steht nun einmal im Vertrag, und wir sind — geprellt. Es
ist schwer leben auf der Welt, wenn es gar keine Vergünstigung mehr gibt für
die Leute. Auch bei den Tarifen soll alles stritte nach einem Leisten gehen.
Es wird dabei weder Hinz noch Kunz, weder Gala-Diners noch lucullische
Soupers in Betracht gezogen. So wenig Civilisation findet man nur bei den
Bären und — deutschen Eisenbahnverwaltungen. — Hat nun unsere „Jude'¬
pendance" nicht Recht wenn sie knirscht, die neue Betriebsverwaltung möge
sich je eher je lieber wieder zum Teufel scheren?

Nächstens mehr über unsere Zustände.




i.

Stehen jetzt, wo die hohe Politik noch Ferien hält, die Spalten dieses
Blattes wohl einmal einem Schmerzensschrei aus der niedrigen und niedrig¬
sten Socialpolitik offen? Ein ansehnlicher Bruchtheil des deutschen Volkes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/325>, abgerufen am 06.02.2025.