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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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nisten in Paris ihren gläubigen Lesern damals dedueirten, die schwere Leistung
der Räumung und Schleifung der Festung von Preußen erzwungen, ohne
irgend eine Gegenleistung dafür zu entrichten.

Und wir nun? Was sagten wir zu alledem? Unsretwegen war ja der
ganze Streit entbrannt. Wir hatten im tiefsten Brustton beleidigter Men¬
schenwürde, die biedre Rechte auf dem biedern Herzen betheuert: wenn wir
einmal nicht Frankreich an Luxemburg annectiren dürfen, wie wir und unser
König-Großherzog im Frühjahr 1867 ja so gerne gemocht hätten, dann müssen
wir neutral gemacht werden und nichts als neutral, und alle Großmächte
müssen mit dem anbinden, der unsre Neutralität etwa antastet. Was sagten
unsre Neutralitätsfanatiker nun zu der englischen Erklärung und zu dem fran¬
zösischen Beifall für den Lordkanzler? Nichts, gar nichts. Sie schwiegen mit
verschämten Lächeln nach Paris. Denn daß der Preuß unsre Neutralität
nicht zuerst verletzen würde, wußte man, und daß der Franzos ins Land käme,
sobald es ihm paßte, ohne von England und den übrigen Mächten grob be¬
handelt zu werden, dessen freute man sich im Stillen oberkräftig.

Nur die Kleinigkeiten, die bei Weißenburg, Wörth, Spicheren und in den
Augustschlachten den französischen Kriegsplänen in den Weg kamen, hinderten
die Erfüllung der Wünsche, welche unsre Fransquillons an die practische Ge¬
staltung unsrer Neutralität im Kriegsfalle knüpften. Der Franzos kam nicht
ins Land. Unsre Neutralität wurde ganz genau so streng gehalten, wie sie
im Londoner Bertrag v. 1867 definirt ist -- vom "Preuß" nämlich. Denn
der Franzos kann für seine Vertragstreue, wie man sieht, füglich nicht ver¬
antwortlich gemacht werden. Nun hätte man denken sollen, wir würden dasür
dem "Preuß" Dank wissen, daß er uns so anständig behandle, als stünde an
unsern Grenzen eine Armee von einer halben Million und nicht blos das
Blatt Papier von London zu unserm Schutz. Hören wir über diesen Punkt
Freund Hilarius Jocundus einmal wörtlich. Er schreibt:

"Sie kennen uns schon ein bischen, aber noch lange nicht gut genug, um
uns nach Verdienst zu schätzen. Wir allein kennen unser ganzes Verdienst und
respectiren uns, wie es sich gehört. Doch der richtige Patriot will, daß alle
Welt ihn und die Seinigen respectire. Und daß ich nicht zu den "Vaterlands¬
verräthern" zähle, die da mit Bismarck in dasselbe Horn blasen, wissen Sie
bereits. Wir sind klein aber rein, und "wir wollen bleiben, was wir
sein", wie unser größter Dichter sagt. Doch so klein wir auch sind, wir hätten
schon 1867 Frankreich gerettet, wenn der deutsche Michel gewollt hätte. Wie?
Herr! Sie lachen? Sie glauben mir nicht? Seh' ich aus wie ein Mann, der
Spaß machen will? Wir hätten 67 Frankreich nur zu annectiren brauchen,
so wäre ihm geholfen gewesen und uns ebenfalls. Sie, Herr! säßen heute
nicht zu Metz als Redacteur einer deutschen Reichszeitung, und wir -- denn


nisten in Paris ihren gläubigen Lesern damals dedueirten, die schwere Leistung
der Räumung und Schleifung der Festung von Preußen erzwungen, ohne
irgend eine Gegenleistung dafür zu entrichten.

Und wir nun? Was sagten wir zu alledem? Unsretwegen war ja der
ganze Streit entbrannt. Wir hatten im tiefsten Brustton beleidigter Men¬
schenwürde, die biedre Rechte auf dem biedern Herzen betheuert: wenn wir
einmal nicht Frankreich an Luxemburg annectiren dürfen, wie wir und unser
König-Großherzog im Frühjahr 1867 ja so gerne gemocht hätten, dann müssen
wir neutral gemacht werden und nichts als neutral, und alle Großmächte
müssen mit dem anbinden, der unsre Neutralität etwa antastet. Was sagten
unsre Neutralitätsfanatiker nun zu der englischen Erklärung und zu dem fran¬
zösischen Beifall für den Lordkanzler? Nichts, gar nichts. Sie schwiegen mit
verschämten Lächeln nach Paris. Denn daß der Preuß unsre Neutralität
nicht zuerst verletzen würde, wußte man, und daß der Franzos ins Land käme,
sobald es ihm paßte, ohne von England und den übrigen Mächten grob be¬
handelt zu werden, dessen freute man sich im Stillen oberkräftig.

Nur die Kleinigkeiten, die bei Weißenburg, Wörth, Spicheren und in den
Augustschlachten den französischen Kriegsplänen in den Weg kamen, hinderten
die Erfüllung der Wünsche, welche unsre Fransquillons an die practische Ge¬
staltung unsrer Neutralität im Kriegsfalle knüpften. Der Franzos kam nicht
ins Land. Unsre Neutralität wurde ganz genau so streng gehalten, wie sie
im Londoner Bertrag v. 1867 definirt ist — vom „Preuß" nämlich. Denn
der Franzos kann für seine Vertragstreue, wie man sieht, füglich nicht ver¬
antwortlich gemacht werden. Nun hätte man denken sollen, wir würden dasür
dem „Preuß" Dank wissen, daß er uns so anständig behandle, als stünde an
unsern Grenzen eine Armee von einer halben Million und nicht blos das
Blatt Papier von London zu unserm Schutz. Hören wir über diesen Punkt
Freund Hilarius Jocundus einmal wörtlich. Er schreibt:

„Sie kennen uns schon ein bischen, aber noch lange nicht gut genug, um
uns nach Verdienst zu schätzen. Wir allein kennen unser ganzes Verdienst und
respectiren uns, wie es sich gehört. Doch der richtige Patriot will, daß alle
Welt ihn und die Seinigen respectire. Und daß ich nicht zu den „Vaterlands¬
verräthern" zähle, die da mit Bismarck in dasselbe Horn blasen, wissen Sie
bereits. Wir sind klein aber rein, und „wir wollen bleiben, was wir
sein", wie unser größter Dichter sagt. Doch so klein wir auch sind, wir hätten
schon 1867 Frankreich gerettet, wenn der deutsche Michel gewollt hätte. Wie?
Herr! Sie lachen? Sie glauben mir nicht? Seh' ich aus wie ein Mann, der
Spaß machen will? Wir hätten 67 Frankreich nur zu annectiren brauchen,
so wäre ihm geholfen gewesen und uns ebenfalls. Sie, Herr! säßen heute
nicht zu Metz als Redacteur einer deutschen Reichszeitung, und wir — denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/323>, abgerufen am 06.02.2025.