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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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von der ehrsamen Bedeutung des Wortes eoenvn, wenn es von den Direc-
toren unsrer Bankinstitute gegeneinander gebraucht wird; er spricht von unsrer
Eisenbahnglorie zu den Tagen der französischen Ostbahn und denen "Bis-
marck's", von den berechtigten Eigenthümlichkeiten unsrer Zeitungen und dem
gelehrten Exgeiger und Sprachlehrer Mr. Theves, und dann immer wieder von
den Jesuiten, Wundern, Landesverräthern -- das sind wir -- und doch hat
das wirre Durcheinander diejenige Harmonie für sich, die alle unsre Zustände
durchzieht -- freilich eine eigene Art von Harmonie: die Verlogenheit. --

Indessen thun wir Unrecht, irgend etwas in unserm Großherzogthum
tragisch zu nehmen. Darin hat Hilarius Jocundus wiederum völlig recht.
So etwas soll man nicht thun. In dieser Hinsicht kann man sich ihn zum
Muster nehmen. Wir verfolgen also unsre gesammten Zustände am besten
an seiner Hand, in seiner Art. Von was wollen Sie zuerst hören? Ich
denke, von unsrer Neutralität z. B.; denn unsre Neutralität ist eine unsrer
wichtigsten häuslichen Einrichtungen.

Ihre Leser werden mir erlassen, sie mit einer Darstellung darüber zu be¬
helligen, wie unsre Neutralität allmählich sich historisch entwickelt hat. Immer¬
hin ist auch eine solche Abhandlung nicht ohne Interesse. Denn um ein
deutsches Land mit vorwiegend deutscher Bevölkerung kunstvoll aus der deut¬
schen Nation loszulösen und auf einen politischen Isolirschemel zu setzen, dazu
gehören immerhin einige große Kunststücke. Aber am größten bleibt doch
immerhin das letzte Kunststück in dieser Hinsicht, die Neutralitätsgarantie
unsres Großherzogthums durch die solidarische Verpflichtung sämmtlicher euro¬
päischer Großmächte durch den Londoner Vertrag v. 1867. Was schreibe ich
da von solidarischer Verpflichtung? Das ist absolut unrichtig, mindestens
plump ausgedrückt. Denn nach der Auslegung jenes Garantievertrages durch
den damaligen englischen Premier, die er vor dem englischen Parlament ab¬
gab, als kaum die Unterschriften des Londoner Vertrags trocken waren, be¬
deutete die Solidargarantie der Großmächte für unsre Neutralität keineswegs
eine Verpflichtung derselben Mächte, diese Neutralität im Kriegsfalle etwa
zu schützen, sondern nur eine Gutsage auf dem Papier eum bemeüeio exeussionis.
In Preußen, wo man die Solidargarantie der Mächte als ein Aequivalent
für das weitgehende eigene Entgegenkommen in der Luxemburger Frage be¬
trachtet hatte, merkte man sich die englische Fides und behielt sich die Frei¬
heit der Entschließung vor für alle aus dieser unerhörten Auslegung folgen¬
den Consequenzen. In Frankreich hielt man den ?rü8Sion gründlich blamirt.
Luxemburg war als neutral garantirt, die Festung mußte Preußen schleifen
lassen und seine Besatzung abberufen -- und dazu erklärte England nun,
wenn Frankreich etwa Luxemburg trotz der Neutralität angreife, so werde
England keinesfalls das Schwert ziehen. Man hatte also, wie die Chauvi-


von der ehrsamen Bedeutung des Wortes eoenvn, wenn es von den Direc-
toren unsrer Bankinstitute gegeneinander gebraucht wird; er spricht von unsrer
Eisenbahnglorie zu den Tagen der französischen Ostbahn und denen „Bis-
marck's", von den berechtigten Eigenthümlichkeiten unsrer Zeitungen und dem
gelehrten Exgeiger und Sprachlehrer Mr. Theves, und dann immer wieder von
den Jesuiten, Wundern, Landesverräthern — das sind wir — und doch hat
das wirre Durcheinander diejenige Harmonie für sich, die alle unsre Zustände
durchzieht — freilich eine eigene Art von Harmonie: die Verlogenheit. —

Indessen thun wir Unrecht, irgend etwas in unserm Großherzogthum
tragisch zu nehmen. Darin hat Hilarius Jocundus wiederum völlig recht.
So etwas soll man nicht thun. In dieser Hinsicht kann man sich ihn zum
Muster nehmen. Wir verfolgen also unsre gesammten Zustände am besten
an seiner Hand, in seiner Art. Von was wollen Sie zuerst hören? Ich
denke, von unsrer Neutralität z. B.; denn unsre Neutralität ist eine unsrer
wichtigsten häuslichen Einrichtungen.

Ihre Leser werden mir erlassen, sie mit einer Darstellung darüber zu be¬
helligen, wie unsre Neutralität allmählich sich historisch entwickelt hat. Immer¬
hin ist auch eine solche Abhandlung nicht ohne Interesse. Denn um ein
deutsches Land mit vorwiegend deutscher Bevölkerung kunstvoll aus der deut¬
schen Nation loszulösen und auf einen politischen Isolirschemel zu setzen, dazu
gehören immerhin einige große Kunststücke. Aber am größten bleibt doch
immerhin das letzte Kunststück in dieser Hinsicht, die Neutralitätsgarantie
unsres Großherzogthums durch die solidarische Verpflichtung sämmtlicher euro¬
päischer Großmächte durch den Londoner Vertrag v. 1867. Was schreibe ich
da von solidarischer Verpflichtung? Das ist absolut unrichtig, mindestens
plump ausgedrückt. Denn nach der Auslegung jenes Garantievertrages durch
den damaligen englischen Premier, die er vor dem englischen Parlament ab¬
gab, als kaum die Unterschriften des Londoner Vertrags trocken waren, be¬
deutete die Solidargarantie der Großmächte für unsre Neutralität keineswegs
eine Verpflichtung derselben Mächte, diese Neutralität im Kriegsfalle etwa
zu schützen, sondern nur eine Gutsage auf dem Papier eum bemeüeio exeussionis.
In Preußen, wo man die Solidargarantie der Mächte als ein Aequivalent
für das weitgehende eigene Entgegenkommen in der Luxemburger Frage be¬
trachtet hatte, merkte man sich die englische Fides und behielt sich die Frei¬
heit der Entschließung vor für alle aus dieser unerhörten Auslegung folgen¬
den Consequenzen. In Frankreich hielt man den ?rü8Sion gründlich blamirt.
Luxemburg war als neutral garantirt, die Festung mußte Preußen schleifen
lassen und seine Besatzung abberufen — und dazu erklärte England nun,
wenn Frankreich etwa Luxemburg trotz der Neutralität angreife, so werde
England keinesfalls das Schwert ziehen. Man hatte also, wie die Chauvi-


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[0322] von der ehrsamen Bedeutung des Wortes eoenvn, wenn es von den Direc- toren unsrer Bankinstitute gegeneinander gebraucht wird; er spricht von unsrer Eisenbahnglorie zu den Tagen der französischen Ostbahn und denen „Bis- marck's", von den berechtigten Eigenthümlichkeiten unsrer Zeitungen und dem gelehrten Exgeiger und Sprachlehrer Mr. Theves, und dann immer wieder von den Jesuiten, Wundern, Landesverräthern — das sind wir — und doch hat das wirre Durcheinander diejenige Harmonie für sich, die alle unsre Zustände durchzieht — freilich eine eigene Art von Harmonie: die Verlogenheit. — Indessen thun wir Unrecht, irgend etwas in unserm Großherzogthum tragisch zu nehmen. Darin hat Hilarius Jocundus wiederum völlig recht. So etwas soll man nicht thun. In dieser Hinsicht kann man sich ihn zum Muster nehmen. Wir verfolgen also unsre gesammten Zustände am besten an seiner Hand, in seiner Art. Von was wollen Sie zuerst hören? Ich denke, von unsrer Neutralität z. B.; denn unsre Neutralität ist eine unsrer wichtigsten häuslichen Einrichtungen. Ihre Leser werden mir erlassen, sie mit einer Darstellung darüber zu be¬ helligen, wie unsre Neutralität allmählich sich historisch entwickelt hat. Immer¬ hin ist auch eine solche Abhandlung nicht ohne Interesse. Denn um ein deutsches Land mit vorwiegend deutscher Bevölkerung kunstvoll aus der deut¬ schen Nation loszulösen und auf einen politischen Isolirschemel zu setzen, dazu gehören immerhin einige große Kunststücke. Aber am größten bleibt doch immerhin das letzte Kunststück in dieser Hinsicht, die Neutralitätsgarantie unsres Großherzogthums durch die solidarische Verpflichtung sämmtlicher euro¬ päischer Großmächte durch den Londoner Vertrag v. 1867. Was schreibe ich da von solidarischer Verpflichtung? Das ist absolut unrichtig, mindestens plump ausgedrückt. Denn nach der Auslegung jenes Garantievertrages durch den damaligen englischen Premier, die er vor dem englischen Parlament ab¬ gab, als kaum die Unterschriften des Londoner Vertrags trocken waren, be¬ deutete die Solidargarantie der Großmächte für unsre Neutralität keineswegs eine Verpflichtung derselben Mächte, diese Neutralität im Kriegsfalle etwa zu schützen, sondern nur eine Gutsage auf dem Papier eum bemeüeio exeussionis. In Preußen, wo man die Solidargarantie der Mächte als ein Aequivalent für das weitgehende eigene Entgegenkommen in der Luxemburger Frage be¬ trachtet hatte, merkte man sich die englische Fides und behielt sich die Frei¬ heit der Entschließung vor für alle aus dieser unerhörten Auslegung folgen¬ den Consequenzen. In Frankreich hielt man den ?rü8Sion gründlich blamirt. Luxemburg war als neutral garantirt, die Festung mußte Preußen schleifen lassen und seine Besatzung abberufen — und dazu erklärte England nun, wenn Frankreich etwa Luxemburg trotz der Neutralität angreife, so werde England keinesfalls das Schwert ziehen. Man hatte also, wie die Chauvi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/322>, abgerufen am 06.02.2025.