Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.fällt, wenn ein Fall mit so eclatanter Verletzung des öffentlichen Rechtsge¬ Daraus läßt es sich woyl erklären, mit welcher Spannung man dem Freilich ist damit das Drama nicht zu Ende und der Richterspruch, der Neben dieser Calamität, welche die Ultramontanen leichter leugnen als fällt, wenn ein Fall mit so eclatanter Verletzung des öffentlichen Rechtsge¬ Daraus läßt es sich woyl erklären, mit welcher Spannung man dem Freilich ist damit das Drama nicht zu Ende und der Richterspruch, der Neben dieser Calamität, welche die Ultramontanen leichter leugnen als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193085"/> <p xml:id="ID_902" prev="#ID_901"> fällt, wenn ein Fall mit so eclatanter Verletzung des öffentlichen Rechtsge¬<lb/> fühls die feierliche Absolution durch ein Volksgericht erlangt hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_903"> Daraus läßt es sich woyl erklären, mit welcher Spannung man dem<lb/> Wahrspruch der Geschworenen entgegensah. Derselbe lautete auf „Schuldig"<lb/> und der öffentlichen Moral war so wenigstens eine öffentliche Sühne ge¬<lb/> boten.</p><lb/> <p xml:id="ID_904"> Freilich ist damit das Drama nicht zu Ende und der Richterspruch, der<lb/> nun gefallen ist, enthält nicht das letzte Wort. Denn der schauerliche Ab¬<lb/> grund und die socialen Wunden, welche dieser Fall vor den Augen Aller er¬<lb/> öffnet hat, bleiben bestehen und sie zu heilen wird eine jahrelange Aufgabe<lb/> der Staatsverwaltung sein; nicht uur die Gläubiger dieser leichtsinnigen In¬<lb/> stitute, sondern alle jene Faktoren, welche für die Volkserziehung haftbar<lb/> sind, haben durch das was geschehen ist, eine ernste Lehre erhalten. Welche<lb/> Schmach ist es gewesen, daß gerade die katholischen Organe mit soviel Eifer<lb/> für den Betrieb jenes Wuchers wirkten, wie ernst muß es die Regierung<lb/> stimmen, daß ihre wohlgemeinten Warnungen so wenig Gehör fanden, wel¬<lb/> ches Licht siel dadurch auf den Bildungszustand der Massen, vor allem in<lb/> jenen katholischen Gebietstheilen, die fast ausschließlich jenem Raubge¬<lb/> schäfte seine Millionen lieferten! Und welchen Eindruck mußte es ferner ma¬<lb/> chen, daß sich unter den Anwälten jenes Geschäftes z. B. ein Mann befand<lb/> wie Dr. Carl Barth, den die Klerikalen als frommen Mann, als Führer<lb/> ihrer Partei verehren, der im Landtage durch seine p a rtikul'a ri se isch e n<lb/> Gelüste und hier durch seine kosmopolitische Vertheidigung eines uner¬<lb/> hörten Schwindels hervorragte: VaricitÄS äeleetAt. Ohne Zweifel werden von<lb/> betheiligter Seite noch ernste Schritte eingeleitet, um die Kollegialität mit<lb/> jenen Elementen, welche sich am schwersten compromittirt haben, zu anulliren,<lb/> kurzum die Folgen dieser Katastrophe werden fast aus jedem Gebiete fühl¬<lb/> bar sein und auf Jahre hinaus zur traurigen Lehre dienen.</p><lb/> <p xml:id="ID_905" next="#ID_906"> Neben dieser Calamität, welche die Ultramontanen leichter leugnen als<lb/> verschmerzen können, gibt es noch eine Reihe anderer Momente, die schwer auf<lb/> dem klerikalen Herzen lasten. Denn fast zu gleicher Zeit, da die Schlußver¬<lb/> handlung gegen die Dachauer Banken gepflogen ward, wurde vor dem ober¬<lb/> pfälzischen Schwurgericht ein Mordanfall verhandelt, der selbst nach alt¬<lb/> väterischen Begriffen kannibalisch war. Und das Alles geschah in einem hoch¬<lb/> katholischen Bezirke, von einem Menschen, der sich am Abend mit seiner Ge¬<lb/> liebten über die Predigt unterhielt, nachdem er wenige Stunden zuvor seine<lb/> nächsten Anverwandten, darunter ein Kind in der Wiege abgeschlachtet hatte.<lb/> So schauerlich ist der Formalismus jener Volkserziehung, bei der die Leute<lb/> in der einen Hand den „Rosenkranz" und in der anderen das Messer fest¬<lb/> halten, bei der ein Mensch sich Skrupel macht, wenn er die Messe versäumt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0282]
fällt, wenn ein Fall mit so eclatanter Verletzung des öffentlichen Rechtsge¬
fühls die feierliche Absolution durch ein Volksgericht erlangt hätte.
Daraus läßt es sich woyl erklären, mit welcher Spannung man dem
Wahrspruch der Geschworenen entgegensah. Derselbe lautete auf „Schuldig"
und der öffentlichen Moral war so wenigstens eine öffentliche Sühne ge¬
boten.
Freilich ist damit das Drama nicht zu Ende und der Richterspruch, der
nun gefallen ist, enthält nicht das letzte Wort. Denn der schauerliche Ab¬
grund und die socialen Wunden, welche dieser Fall vor den Augen Aller er¬
öffnet hat, bleiben bestehen und sie zu heilen wird eine jahrelange Aufgabe
der Staatsverwaltung sein; nicht uur die Gläubiger dieser leichtsinnigen In¬
stitute, sondern alle jene Faktoren, welche für die Volkserziehung haftbar
sind, haben durch das was geschehen ist, eine ernste Lehre erhalten. Welche
Schmach ist es gewesen, daß gerade die katholischen Organe mit soviel Eifer
für den Betrieb jenes Wuchers wirkten, wie ernst muß es die Regierung
stimmen, daß ihre wohlgemeinten Warnungen so wenig Gehör fanden, wel¬
ches Licht siel dadurch auf den Bildungszustand der Massen, vor allem in
jenen katholischen Gebietstheilen, die fast ausschließlich jenem Raubge¬
schäfte seine Millionen lieferten! Und welchen Eindruck mußte es ferner ma¬
chen, daß sich unter den Anwälten jenes Geschäftes z. B. ein Mann befand
wie Dr. Carl Barth, den die Klerikalen als frommen Mann, als Führer
ihrer Partei verehren, der im Landtage durch seine p a rtikul'a ri se isch e n
Gelüste und hier durch seine kosmopolitische Vertheidigung eines uner¬
hörten Schwindels hervorragte: VaricitÄS äeleetAt. Ohne Zweifel werden von
betheiligter Seite noch ernste Schritte eingeleitet, um die Kollegialität mit
jenen Elementen, welche sich am schwersten compromittirt haben, zu anulliren,
kurzum die Folgen dieser Katastrophe werden fast aus jedem Gebiete fühl¬
bar sein und auf Jahre hinaus zur traurigen Lehre dienen.
Neben dieser Calamität, welche die Ultramontanen leichter leugnen als
verschmerzen können, gibt es noch eine Reihe anderer Momente, die schwer auf
dem klerikalen Herzen lasten. Denn fast zu gleicher Zeit, da die Schlußver¬
handlung gegen die Dachauer Banken gepflogen ward, wurde vor dem ober¬
pfälzischen Schwurgericht ein Mordanfall verhandelt, der selbst nach alt¬
väterischen Begriffen kannibalisch war. Und das Alles geschah in einem hoch¬
katholischen Bezirke, von einem Menschen, der sich am Abend mit seiner Ge¬
liebten über die Predigt unterhielt, nachdem er wenige Stunden zuvor seine
nächsten Anverwandten, darunter ein Kind in der Wiege abgeschlachtet hatte.
So schauerlich ist der Formalismus jener Volkserziehung, bei der die Leute
in der einen Hand den „Rosenkranz" und in der anderen das Messer fest¬
halten, bei der ein Mensch sich Skrupel macht, wenn er die Messe versäumt.
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