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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Arbeiten lese die Lehrerin oder ein Kind vor, oder die erstere richte Fragen
an die Arbeitenden oder führe Unterhaltungen lehrreichen Inhalts mit ihnen.

Es muß billig Wunder nehmen, daß ein so vielseitiger und augenschein¬
lich so kräftiger Anlauf nach einer gründlichen Hebung der Volksbildung
mittelst Ergänzung der "Lernschule" durch die "Arbeitsschule" dennoch so
wenig nachhaltige Erfolge erreicht und bleibende Spuren hinterlassen hat.
Denn, wenn wir die paar Arbeitsschulen im Eutinschen, eine Anzahl sog. "In¬
dustrieschulen", die unseres Wissens noch heute in Oesterreich bestehen, endlich
einige ebenfalls noch aus dem vorigen Jahrhundert überkommene sog. "Erwerbs¬
schulen" (hauptsächlich für Mädchen) in Berlin ausnehmen, so ist diese ganze
Richtung auf Einfügung eines praktischen Unterrichts in den theoretischen,
die damals so entschieden hervortrat, im Allgemeinen so gut wie verschwun¬
den, von Theorie und Praxis, von Pädagogen und Regierungen scheinbar als
gar nicht beachtenswert!) oder doch als unausführbar aufgegeben. Erst un¬
längst, bei der Jahresversammlung der deutschen "Gesellschaft zur Verbreitung
der Volksbildung", wurde unter andern auf die Zweckmäßigkeit gewisser prak¬
tischer, mechanischer Beschäftigungen in der Schule, gleichsam wie auf etwas
ganz Neues, hingewiesen und es schien fast Staunen zu erregen, als von anderer
Seite her aus der Mitte der Versammlung daran erinnert ward, wie dieser
Gedanke schon früher einmal nicht blos lebhaft erörtert, sondern auch prak¬
tisch mehrfach erprobt worden sei.

Es ist das eben ein schlagender Beweis für das, was wir oben im Ein¬
gange dieses Artikels gesagt haben, daß im Erziehungs- und Unterrichtswesen
bis jetzt Reformen fast immer nur ruckweise, ohne rechte Stetigkeit und Nach¬
haltigkeit vor sich gegangen und zu leicht durch einen wieder die Oberhand
gewinnenden Schlendrian in den Hintergrund gedrängt worden sind, so daß
die Arbeit des Neformirens immer von neuem und gleichsam von vorn be¬
ginnen mußte. Selbst heutzutage, obschon wir es anscheinend auf diesem
wie auf allen Gebieten der Kultur "so herrlich weit gebracht", möchten Re¬
gierungen, wie damals die herzogl. mecklenburg-Schwerin'sche und Herzog Peter
von Oldenburg, die eine so durchgreifende Reform, wie die Einführung der
Arbeitsschulen so kühn in die Hand zu nehmen und zugleich so sorgfältig vor¬
zubereiten wußten, möchten Privatmänner, wie Herr v. Rochow und der De¬
chant Kindermann, welche mit solcher Energie das ganze Volksschulwesen prak¬
tisch umzugestalten und auf einen bessern Fuß zu stellen unternahmen und daran
ihre ganze Kraft, alle ihre geistigen und materiellen Mittel setzten, mit der
Diogeneslaterne zu suchen sein!




Arbeiten lese die Lehrerin oder ein Kind vor, oder die erstere richte Fragen
an die Arbeitenden oder führe Unterhaltungen lehrreichen Inhalts mit ihnen.

Es muß billig Wunder nehmen, daß ein so vielseitiger und augenschein¬
lich so kräftiger Anlauf nach einer gründlichen Hebung der Volksbildung
mittelst Ergänzung der „Lernschule" durch die „Arbeitsschule" dennoch so
wenig nachhaltige Erfolge erreicht und bleibende Spuren hinterlassen hat.
Denn, wenn wir die paar Arbeitsschulen im Eutinschen, eine Anzahl sog. „In¬
dustrieschulen", die unseres Wissens noch heute in Oesterreich bestehen, endlich
einige ebenfalls noch aus dem vorigen Jahrhundert überkommene sog. „Erwerbs¬
schulen" (hauptsächlich für Mädchen) in Berlin ausnehmen, so ist diese ganze
Richtung auf Einfügung eines praktischen Unterrichts in den theoretischen,
die damals so entschieden hervortrat, im Allgemeinen so gut wie verschwun¬
den, von Theorie und Praxis, von Pädagogen und Regierungen scheinbar als
gar nicht beachtenswert!) oder doch als unausführbar aufgegeben. Erst un¬
längst, bei der Jahresversammlung der deutschen „Gesellschaft zur Verbreitung
der Volksbildung", wurde unter andern auf die Zweckmäßigkeit gewisser prak¬
tischer, mechanischer Beschäftigungen in der Schule, gleichsam wie auf etwas
ganz Neues, hingewiesen und es schien fast Staunen zu erregen, als von anderer
Seite her aus der Mitte der Versammlung daran erinnert ward, wie dieser
Gedanke schon früher einmal nicht blos lebhaft erörtert, sondern auch prak¬
tisch mehrfach erprobt worden sei.

Es ist das eben ein schlagender Beweis für das, was wir oben im Ein¬
gange dieses Artikels gesagt haben, daß im Erziehungs- und Unterrichtswesen
bis jetzt Reformen fast immer nur ruckweise, ohne rechte Stetigkeit und Nach¬
haltigkeit vor sich gegangen und zu leicht durch einen wieder die Oberhand
gewinnenden Schlendrian in den Hintergrund gedrängt worden sind, so daß
die Arbeit des Neformirens immer von neuem und gleichsam von vorn be¬
ginnen mußte. Selbst heutzutage, obschon wir es anscheinend auf diesem
wie auf allen Gebieten der Kultur „so herrlich weit gebracht", möchten Re¬
gierungen, wie damals die herzogl. mecklenburg-Schwerin'sche und Herzog Peter
von Oldenburg, die eine so durchgreifende Reform, wie die Einführung der
Arbeitsschulen so kühn in die Hand zu nehmen und zugleich so sorgfältig vor¬
zubereiten wußten, möchten Privatmänner, wie Herr v. Rochow und der De¬
chant Kindermann, welche mit solcher Energie das ganze Volksschulwesen prak¬
tisch umzugestalten und auf einen bessern Fuß zu stellen unternahmen und daran
ihre ganze Kraft, alle ihre geistigen und materiellen Mittel setzten, mit der
Diogeneslaterne zu suchen sein!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/280>, abgerufen am 06.02.2025.