Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Arbeit. Der Fleiß der Kinder rege selbst die Aeltern zu gleicher Thätigkeit
an; es komme dadurch auch in das häusliche Leben der Familie mehr
Ordnung.

Auch in einem Aufsatze des "Göttingischen Magazins für Industrie und
Armenpflege" vom Pastor Wagemann (1789) finden wir die Arbeitsschule
empfohlen. Die Erfahrung lehre, heißt es dort (ähnlich wie in dem oben
mitgetheilten herzogt. Mecklenburg - Schwerin'schen Rescript), daß Kinder, die
abwechselnd lernen und arbeiten, besser fassen als andere, die blos lernen.
Auch etwas moralisch Besserndes liege in dieser früheren praktischen Beschäftig¬
ung der Kinder. Die Arbeit sei etwas Gottgefälliges, keineswegs etwas "zu
Weltliches", wie Manche wohl meinten; -- ein solcher Ausspruch ist doppelt
bedeutsam und erfreulich aus dem Munde eines Geistlichen und eines Geist¬
lichen aus einer Zeit, wo die Begriffe über den Kulturwerth der Arbeit im
Allgemeinen noch viel weniger aufgeklärt waren, als sie es heut sind oder
wenigstens sein sollten. Der Vortheil, den diese Gewöhnung zur Arbeit den
Kindern bringe, sei zu Hause für sie nicht zu erreichen, auch nicht beim Land¬
manne, der zwar selbst arbeite, aber auf seine Kinder zu wenig Acht habe.

Es folgen dann statistische Berechnungen über die Kosten einer solchen
Arbeitsschule. In Göttingen gab es, wie wir daraus ersehen, eine auf 30 Kinder
berechnete, die nur 40 Thaler im Jahr kostete, für eine andere (in einem
Orte Rosdorf) wurden folgende Ausgaben angesetzt: Heizung 16 Thaler,
der Lehrmeisterin (es war also eine Arbeitsschule für Mädchen) SO Thaler
(bei täglichem Früh- und Nachmittagsunterricht während 7 Monaten, ein¬
maligem täglich während 2 Monaten, wöchentlich dreimaligem ebenfalls wäh¬
rend 2 Monaten und 1 Monat Ferien in der Ernte); Bänke u. f. w.
10 Thaler, in Summa 76 Thaler.

Wir lesen ebendort noch weitere Bemerkungen, namentlich über die Art
d"r Betreibung dieses "Arbeits "-Unterrichts, Bemerkungen, die gleichfalls, zu¬
mal wenn man den früher geschilderten Zustand der damaligen Lernschulen damit
vergleicht, Interesse haben. Die Arbeit, heißt es, werde betrachtet als Beloh¬
nung für in der Lernschule besonders fleißige Kinder. Bei der Beurtheilung der
gefertigten Arbeiten lasse man die anderen Kinder selbst mitsprechen, dann
gebe die Lehrerin die Entscheidung. Zur Beaufsichtigung der Arbeitenden
wähle diese sich aus den Schülerinnen selbst Gehülfinnen. Als Arbeiten,
welche so in der Schule getrieben wurden, werden genannt: Stricken (und
zwar für Mädchen und Knaben). Haken (?), Kratzen und Kämmen von Wolle,
Flachs, Heede- und Baumwollspinnen, Nadelarbeiten, besonders zur Aus¬
besserung von Kleidungsstücken, Stroh-, Bast-, Drahtflechten, Klöppeln,
Holzschneiden, Seidenzucht und wo thunlich Gartenbau. Während dieser


die Arbeit. Der Fleiß der Kinder rege selbst die Aeltern zu gleicher Thätigkeit
an; es komme dadurch auch in das häusliche Leben der Familie mehr
Ordnung.

Auch in einem Aufsatze des „Göttingischen Magazins für Industrie und
Armenpflege" vom Pastor Wagemann (1789) finden wir die Arbeitsschule
empfohlen. Die Erfahrung lehre, heißt es dort (ähnlich wie in dem oben
mitgetheilten herzogt. Mecklenburg - Schwerin'schen Rescript), daß Kinder, die
abwechselnd lernen und arbeiten, besser fassen als andere, die blos lernen.
Auch etwas moralisch Besserndes liege in dieser früheren praktischen Beschäftig¬
ung der Kinder. Die Arbeit sei etwas Gottgefälliges, keineswegs etwas „zu
Weltliches", wie Manche wohl meinten; — ein solcher Ausspruch ist doppelt
bedeutsam und erfreulich aus dem Munde eines Geistlichen und eines Geist¬
lichen aus einer Zeit, wo die Begriffe über den Kulturwerth der Arbeit im
Allgemeinen noch viel weniger aufgeklärt waren, als sie es heut sind oder
wenigstens sein sollten. Der Vortheil, den diese Gewöhnung zur Arbeit den
Kindern bringe, sei zu Hause für sie nicht zu erreichen, auch nicht beim Land¬
manne, der zwar selbst arbeite, aber auf seine Kinder zu wenig Acht habe.

Es folgen dann statistische Berechnungen über die Kosten einer solchen
Arbeitsschule. In Göttingen gab es, wie wir daraus ersehen, eine auf 30 Kinder
berechnete, die nur 40 Thaler im Jahr kostete, für eine andere (in einem
Orte Rosdorf) wurden folgende Ausgaben angesetzt: Heizung 16 Thaler,
der Lehrmeisterin (es war also eine Arbeitsschule für Mädchen) SO Thaler
(bei täglichem Früh- und Nachmittagsunterricht während 7 Monaten, ein¬
maligem täglich während 2 Monaten, wöchentlich dreimaligem ebenfalls wäh¬
rend 2 Monaten und 1 Monat Ferien in der Ernte); Bänke u. f. w.
10 Thaler, in Summa 76 Thaler.

Wir lesen ebendort noch weitere Bemerkungen, namentlich über die Art
d«r Betreibung dieses „Arbeits "-Unterrichts, Bemerkungen, die gleichfalls, zu¬
mal wenn man den früher geschilderten Zustand der damaligen Lernschulen damit
vergleicht, Interesse haben. Die Arbeit, heißt es, werde betrachtet als Beloh¬
nung für in der Lernschule besonders fleißige Kinder. Bei der Beurtheilung der
gefertigten Arbeiten lasse man die anderen Kinder selbst mitsprechen, dann
gebe die Lehrerin die Entscheidung. Zur Beaufsichtigung der Arbeitenden
wähle diese sich aus den Schülerinnen selbst Gehülfinnen. Als Arbeiten,
welche so in der Schule getrieben wurden, werden genannt: Stricken (und
zwar für Mädchen und Knaben). Haken (?), Kratzen und Kämmen von Wolle,
Flachs, Heede- und Baumwollspinnen, Nadelarbeiten, besonders zur Aus¬
besserung von Kleidungsstücken, Stroh-, Bast-, Drahtflechten, Klöppeln,
Holzschneiden, Seidenzucht und wo thunlich Gartenbau. Während dieser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193082"/>
            <p xml:id="ID_893" prev="#ID_892"> die Arbeit. Der Fleiß der Kinder rege selbst die Aeltern zu gleicher Thätigkeit<lb/>
an; es komme dadurch auch in das häusliche Leben der Familie mehr<lb/>
Ordnung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_894"> Auch in einem Aufsatze des &#x201E;Göttingischen Magazins für Industrie und<lb/>
Armenpflege" vom Pastor Wagemann (1789) finden wir die Arbeitsschule<lb/>
empfohlen. Die Erfahrung lehre, heißt es dort (ähnlich wie in dem oben<lb/>
mitgetheilten herzogt. Mecklenburg - Schwerin'schen Rescript), daß Kinder, die<lb/>
abwechselnd lernen und arbeiten, besser fassen als andere, die blos lernen.<lb/>
Auch etwas moralisch Besserndes liege in dieser früheren praktischen Beschäftig¬<lb/>
ung der Kinder. Die Arbeit sei etwas Gottgefälliges, keineswegs etwas &#x201E;zu<lb/>
Weltliches", wie Manche wohl meinten; &#x2014; ein solcher Ausspruch ist doppelt<lb/>
bedeutsam und erfreulich aus dem Munde eines Geistlichen und eines Geist¬<lb/>
lichen aus einer Zeit, wo die Begriffe über den Kulturwerth der Arbeit im<lb/>
Allgemeinen noch viel weniger aufgeklärt waren, als sie es heut sind oder<lb/>
wenigstens sein sollten. Der Vortheil, den diese Gewöhnung zur Arbeit den<lb/>
Kindern bringe, sei zu Hause für sie nicht zu erreichen, auch nicht beim Land¬<lb/>
manne, der zwar selbst arbeite, aber auf seine Kinder zu wenig Acht habe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_895"> Es folgen dann statistische Berechnungen über die Kosten einer solchen<lb/>
Arbeitsschule. In Göttingen gab es, wie wir daraus ersehen, eine auf 30 Kinder<lb/>
berechnete, die nur 40 Thaler im Jahr kostete, für eine andere (in einem<lb/>
Orte Rosdorf) wurden folgende Ausgaben angesetzt: Heizung 16 Thaler,<lb/>
der Lehrmeisterin (es war also eine Arbeitsschule für Mädchen) SO Thaler<lb/>
(bei täglichem Früh- und Nachmittagsunterricht während 7 Monaten, ein¬<lb/>
maligem täglich während 2 Monaten, wöchentlich dreimaligem ebenfalls wäh¬<lb/>
rend 2 Monaten und 1 Monat Ferien in der Ernte); Bänke u. f. w.<lb/>
10 Thaler, in Summa 76 Thaler.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_896" next="#ID_897"> Wir lesen ebendort noch weitere Bemerkungen, namentlich über die Art<lb/>
d«r Betreibung dieses &#x201E;Arbeits "-Unterrichts, Bemerkungen, die gleichfalls, zu¬<lb/>
mal wenn man den früher geschilderten Zustand der damaligen Lernschulen damit<lb/>
vergleicht, Interesse haben. Die Arbeit, heißt es, werde betrachtet als Beloh¬<lb/>
nung für in der Lernschule besonders fleißige Kinder. Bei der Beurtheilung der<lb/>
gefertigten Arbeiten lasse man die anderen Kinder selbst mitsprechen, dann<lb/>
gebe die Lehrerin die Entscheidung. Zur Beaufsichtigung der Arbeitenden<lb/>
wähle diese sich aus den Schülerinnen selbst Gehülfinnen. Als Arbeiten,<lb/>
welche so in der Schule getrieben wurden, werden genannt: Stricken (und<lb/>
zwar für Mädchen und Knaben). Haken (?), Kratzen und Kämmen von Wolle,<lb/>
Flachs, Heede- und Baumwollspinnen, Nadelarbeiten, besonders zur Aus¬<lb/>
besserung von Kleidungsstücken, Stroh-, Bast-, Drahtflechten, Klöppeln,<lb/>
Holzschneiden, Seidenzucht und wo thunlich Gartenbau. Während dieser</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0279] die Arbeit. Der Fleiß der Kinder rege selbst die Aeltern zu gleicher Thätigkeit an; es komme dadurch auch in das häusliche Leben der Familie mehr Ordnung. Auch in einem Aufsatze des „Göttingischen Magazins für Industrie und Armenpflege" vom Pastor Wagemann (1789) finden wir die Arbeitsschule empfohlen. Die Erfahrung lehre, heißt es dort (ähnlich wie in dem oben mitgetheilten herzogt. Mecklenburg - Schwerin'schen Rescript), daß Kinder, die abwechselnd lernen und arbeiten, besser fassen als andere, die blos lernen. Auch etwas moralisch Besserndes liege in dieser früheren praktischen Beschäftig¬ ung der Kinder. Die Arbeit sei etwas Gottgefälliges, keineswegs etwas „zu Weltliches", wie Manche wohl meinten; — ein solcher Ausspruch ist doppelt bedeutsam und erfreulich aus dem Munde eines Geistlichen und eines Geist¬ lichen aus einer Zeit, wo die Begriffe über den Kulturwerth der Arbeit im Allgemeinen noch viel weniger aufgeklärt waren, als sie es heut sind oder wenigstens sein sollten. Der Vortheil, den diese Gewöhnung zur Arbeit den Kindern bringe, sei zu Hause für sie nicht zu erreichen, auch nicht beim Land¬ manne, der zwar selbst arbeite, aber auf seine Kinder zu wenig Acht habe. Es folgen dann statistische Berechnungen über die Kosten einer solchen Arbeitsschule. In Göttingen gab es, wie wir daraus ersehen, eine auf 30 Kinder berechnete, die nur 40 Thaler im Jahr kostete, für eine andere (in einem Orte Rosdorf) wurden folgende Ausgaben angesetzt: Heizung 16 Thaler, der Lehrmeisterin (es war also eine Arbeitsschule für Mädchen) SO Thaler (bei täglichem Früh- und Nachmittagsunterricht während 7 Monaten, ein¬ maligem täglich während 2 Monaten, wöchentlich dreimaligem ebenfalls wäh¬ rend 2 Monaten und 1 Monat Ferien in der Ernte); Bänke u. f. w. 10 Thaler, in Summa 76 Thaler. Wir lesen ebendort noch weitere Bemerkungen, namentlich über die Art d«r Betreibung dieses „Arbeits "-Unterrichts, Bemerkungen, die gleichfalls, zu¬ mal wenn man den früher geschilderten Zustand der damaligen Lernschulen damit vergleicht, Interesse haben. Die Arbeit, heißt es, werde betrachtet als Beloh¬ nung für in der Lernschule besonders fleißige Kinder. Bei der Beurtheilung der gefertigten Arbeiten lasse man die anderen Kinder selbst mitsprechen, dann gebe die Lehrerin die Entscheidung. Zur Beaufsichtigung der Arbeitenden wähle diese sich aus den Schülerinnen selbst Gehülfinnen. Als Arbeiten, welche so in der Schule getrieben wurden, werden genannt: Stricken (und zwar für Mädchen und Knaben). Haken (?), Kratzen und Kämmen von Wolle, Flachs, Heede- und Baumwollspinnen, Nadelarbeiten, besonders zur Aus¬ besserung von Kleidungsstücken, Stroh-, Bast-, Drahtflechten, Klöppeln, Holzschneiden, Seidenzucht und wo thunlich Gartenbau. Während dieser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/279
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/279>, abgerufen am 06.02.2025.